Von wegen nur eine „Protestwahl“

Viele Ostdeutsche teilen nationalistische sowie ausländerfeindliche Ansichten und wünschen sich einen autoritären Staat. Das zeigt eine repräsentative Studie

Aus Berlin Gareth Joswig
und Rieke Wiemann

Viele Menschen in Ostdeutschland wünschen sich einen autoritären Staat und fremdeln mit der Demokratie. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) der Universität Leipzig, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Für ihre Studie „Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie“ hat das For­sche­r:in­nen­team im Sommer 2022 mehr als 3.500 Menschen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Ostberlin befragt. Ihnen wurden Aussagen vorgelegt, in denen es um die Befürwortung einer Diktatur, von Antisemitismus, NS-Verharmlosung, Sozialdarwinismus, Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus geht.

„Rechtsextreme Einstellungen sind in den neuen Ländern seit Jahrzehnten in hohem Maße vorhanden“, sagte Elmar Brähler, einer der Studienleiter. Zugenommen hätte diese aber nicht. Sein Kollege Oliver Decker ergänzte mit Blick auf das derzeitige Umfragehoch der AfD: „Ausländerfeindlichkeit ist das zentrale Bindeglied für rechtsextreme Parteien.“ Für die Erhebung haben sie Einstellung auch mit der Parteipräferenz gekoppelt.

Insbesondere spielten bei der AfD-Wahl Ausländerfeindlichkeit, Verschwörungsmentalität und Wunsch nach Autorität eine Rolle. Sie seien relevanter geworden für die Wahlentscheidung und ein Scharnier in die Mitte der Gesellschaft. Besonders interessant: „Die Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage spielt bei rechtsex­tremen Einstellungen überhaupt keine Rolle“, sagte Decker.

Die Studie enthält wie in den Vorjahren teils erschreckende Befunde: 26 Prozent glauben, Deutschland brauche „eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“, ein Viertel sieht das zum Teil so. 33 Prozent sind vollständig oder teilweise der Ansicht, es brauche einen „Führer“, der Deutschland „zum Wohle aller mit starker Hand regiert“.

Je sechs Prozent gaben an, dass der Nationalsozialismus „auch seine guten Seiten“ gehabt habe und dessen Verbrechen „in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden“ sei. Diesen beiden Aussagen stimmten 17 beziehungsweise 14 Prozent teilweise zu. Je­de:r zehn­te:r Be­frag­te:r bejahte, Deutsche seien „anderen Völkern von Natur aus überlegen“. Eben so viele gaben an, dass es „wertvolles und unwertes Leben“ gebe. Der Anteil derer, die diesen Aussagen teils zustimmten, liegt bei 20 Prozent.

28 Prozent der Stu­di­en­teil­neh­me­r:in­nen sind vollständig oder zum Teil der Ansicht, Juden arbeiteten „mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen“. Der Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ stimmten knapp 24 Prozent teilweise oder voll zu.

Noch stärker ist die Zustimmung zu chauvinistischen und ausländerfeindlichen Aussagen. Knapp 27 Prozent finden, „wir sollten endlich wieder mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl“ haben. 27,5 Prozent wünschen sich ein „hartes Durchsetzen deutscher Interessen“. Rund 30 Prozent stimmten beidem zum Teil zu. Knapp 37 Prozent glauben, Deutschland sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Ein Viertel stimmte dieser Aussage zum Teil zu.

Mit Blick auf die Zukunft sehen die Studienau­to­r:in­nen „deutliche Anzeichen“, dass die Polarisierung der Gesellschaft in den nächsten Jahren „in einer weitergehenden Radikalisierungsspirale mündet“. Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst 2024 bezeichnen sie als „Kipppunkte“.