Rechtsextremer Terroranschlag in Halle: Höckes Enkeltrick
Während die Nachrichten aus Halle auf dem Smartphone unseres Autors eintrudelten, war er bei einem AfD-Familienfest mit Björn Höcke.
A ls Björn Höcke endlich die Bühne betritt, ist der Terroranschlag von Halle bereits vorbei. Zwei Menschen sind tot. Eine Holztür hat das große Massaker verhindert.
Ich weiß nicht, ob die durchnässten Menschen im thüringischen Mühlhausen von dem Attentat wissen. Während ich alle zwei Minuten mein Handy zittrig aus der Tasche krame, mich dabei frage, warum ich Jom Kippur an so einem beschissenen Ort verbringe und nicht bei meiner Familie bin, stehen die Leute um mich herum ganz friedselig beisammen.
Es sind vor allem gutgelaunte Rentner und Kleinbürger, dazwischen ein paar fröhliche Neonazis, die das AfD-Familienfest besuchen. Geduldig wartet man hier auf Björn Höckes Auftritt, trinkt Bier und Glühwein, schunkelt sanft zu volkstümlicher Schlagermusik, vorgetragen von zwei dauergrinsenden Musikern in Trachten, und wann immer ein neuer Regenschauer herabschüttet, flüchtet man unter die Zelte.
Und die grinsende Kapelle greift beherzt in die Schlagerkiste: „Tiefe Spuren in unsren Herzen, tausend Sünden im Gesicht / Die nächsten hundert Jahre, die liegen noch vor uns / Wir sind alle noch am Leben!“
Halb so schlimm
Der jung ergraute Kerl knurrt genervt auf, als ich ihn nach dem Attentat in Halle frage. „Waren sicher wieder die Goldstücke“, sagt er und meint damit Geflüchtete. „Aber eine Dönerbude wurde auch zusammengeschossen.“ Der graue Kerl zuckt mit den breiten Schultern: „Kennen wir doch schon alles.“
Es ist gar nicht so einfach Menschen mit Terroranschlägen noch zu beeindrucken. Sicherlich, in der Welt meines Smartphones, bevölkert von linksliberalen, antirassistischen und nicht zuletzt jüdischen Stimmen, da sitzt der Schock tief. Da erkennt man die Zäsur: Ein Nazi hat in Deutschland versucht, ein Blutbad in einer Synagoge anzurichten. Aber hier auf dem Mühlhäuser Untermarkt, gleich vor der schönen gotischen Kirche, da klingt das alles nur halb so schlimm.
„Wie viele Tote denn?“, fragt mich die alte Frau mit Bratwurst, als ich sie anspreche. „Mindestens zwei“, antworte ich. „Ah, ah ja“, sagt sie, nickt freundlich, und wir wissen beide nicht, wie wir das Gespräch noch fortsetzen können. Was kann man dieser Frau sagen? Was kann man sagen, was tun nach so einer Tat?
Gut, da sind zunächst die Floskeln. Wir müssen gegen rechts sein. Noch mehr! Und gegen jeden Antisemitismus! Wir stehen unteilbar! Wir sind mehr! Nie wieder! Keinen Millimeter nach rechts! Rassismus, pfui Spinne! Und so fort.
Anständige Floskeln
Gefordert wird das von den Anständigen, gehört von anderen Anständigen. Die Unanständigen lesen derweil unanständige Texte, in denen abgefuckte AfD-Politiker den Mörder als unpolitischen Geisteskranken darstellen. Und dann sind da noch all jene, die einfach nur weiterhin auf Familienfesten in ihre Bratwurst beißen wollen. Die einen Scheiß auf gutgemeinte Floskeln geben. Sich nicht angesprochen fühlen.
Klar erfüllen die Floskeln trotzdem einen Zweck. Sie sind beruhigende, kollektive Mantras: Die offene, pluralistische Gesellschaft ist noch lange nicht verloren. Und es liegt in der Natur des Mantras, dass man es wiederholt – und in der Natur des Menschen, sich im Moment der Hilflosigkeit Mut zuzusprechen. Sicher, man kann auch zusätzlich noch ein konsequentes Vorgehen gegen die rechte Szene verlangen.
Aber haben wir das nicht schon nach den NSU-Morden verlangt? Nach der Nordkreuz-Todesliste, nach Franco A., nach dem Mord an Walter Lübcke? Oder nach 1945? Es ist gar nicht so einfach, sich nach so einer Tat wieder Mut zu machen.
Höcke nun wiederum gelingt das Mutmachen ganz hervorragend. Er macht seinem begeistertem Publikum Mut im Kampf gegen das verlogene Establishment, gegen Zuwanderung und Multikulti. Mut, sich von Kollegen, Freunden, Enkelkindern als Rassist beschimpfen zu lassen. Mut, trotzdem die AfD zu wählen.
Eine unappetitliche Aufzählung
Und dann äußert er sich auch zu Halle. Das muss er auch. Es ist bereits 17 Uhr, es nieselt, einige Zuschauer haben sich in Deutschlandflaggen mit dem Schriftzug „Wir sind das Volk“ gehüllt, im Hintergrund kreischen die Trillerpfeifen der Gegendemonstration. Die Bluttat liegt Stunden zurück, und die Pressemitteilungen laufen heiß.
Höcke setzt den Anschlag in eine Reihe mit anderen Gewalttaten, die allesamt von Nichtdeutschen begangen wurden: Mit dem Jungen, der in Frankfurt vor einen ICE gestoßen wurde, mit dem Syrer, der zwei Tage zuvor in Limburg mit einem Lastwagen mehrere Autos gerammt hatte. „Und heute hören wir von einem Terroranschlag auf eine jüdische Gemeinde in Halle und wir fragen uns als AfD: Was ist in diesem Land los?“
Eine unappetitliche Aufzählung, eine heuchlerische Frage, erst recht aus dem Mund von Höcke: einem Faschisten, der seine geschichtsrevisionistischen und rassistischen Verbalexzesse mit ritterhafter Mannhaftigkeit und dunkelbrauner Nostalgie performt. Aber dieser Höcke ist an diesem Tag nur bedingt anzutreffen. Wie schon am Vortag in Apolda steht vor mir ein taktierender Wahlkämpfer, ein schmalbrüstiger Kerl mit brav frisiertem Scheitel.
Der, so scheint es, sich Mühe gibt, nicht allzu laut zu werden. Der sich als unschuldiges Opfer des Establishments geriert. Zwar hebt für ein paar Sätze zum Crescendo an und goebbelt herum, aber gleich darauf entschuldigt er sich artig dafür: „Entschuldigen Sie, an dieser Stelle werde ich einfach immer so emotional.“
Und wann immer er seine Verschwörungstheorien kundtut – sei es über den organisierten Wahlbetrug der antideutschen Kartellparteien oder über den jüdischen Milliardär George Soros, der für Antisemiten schon lange als Oberbösewicht herhalten muss –, danach setzt Höcke einen harmlosen Hundeblick auf: „Ich will hier aber keine Verschwörungstheorien nähren.“
Und nährt auch schon die nächste. Denn Halle und all die Gewalt auf deutschem Boden sei das Ergebnis eines „Verrohungszustandes“ und „dieser Zustand ist von Menschen, in Klammern: Politikern, gewollt und gemacht!“ Teil eines düsteren Komplotts. Der Mörder von Halle glaubte sich auch im Krieg mit einer solchen Verschwörung. Höcke guckt jetzt wie ein niedlicher Schäferhundwelpe in sein applaudierendes Wahlvolk.
Es ist eine Art Enkeltrick. Klar, die anwesenden Rassisten und Nazis bekommen all das zu hören, wofür sie gekommen sind, aber für die Rentner mimt Björn den netten Enkel. Und er bittet nicht einmal um Kreditkarte und Sicherheitscode, alles, was er will, ist ihre Stimme. „Wie kann man den Höcke nur als rechtsradikal hinstellen?“, fragte mich eine schwer indignierte Dame beim Bürgerabend in Apolda.
Höcke hat seine Rede beendet und verabschiedet sich, zwei seiner Fans in Thor-Steinar-Hoodies mit Totenkopfprint folgen ihm. „Wo soll Höcke denn rechts sein?“ Man könnte lachen über die Apoldanerin, aber das wäre wohlfeil. Diese Frau versteht sich nicht als rechts oder rassistisch, denn durch die Mantras der Anständigen weiß sie bloß, dass Rechts- und Rassistischsein unanständig und moralisch falsch ist. Und sie nimmt sich weder als das eine noch als das andere wahr.
Vergessen, was die Großeltern geglaubt haben
Nur dann kann der AfD-Enkeltrick gelingen. Wenn man vergisst, an was genau die Großeltern vor 1945 so geglaubt haben. Und man vergisst das nicht nur in der thüringischen Provinz.
ist jüdischer Autor und Theaterregisseur. Seit 2007 schreibt und inszeniert er Theaterstücke, wobei politische und gesellschaftliche Themen im Vordergrund seiner Texte, Arbeiten und oft aufwendigen Recherchen stehen. 2018 erschien sein Buchdebüt „Die Reise ins Reich“ (Eulenspiegel), eine investigative Reportage in die Welt von Reichsbürgern und rechtsextremen Verschwörungstheorien.
Seit anderthalb Jahren reise ich als Referent zu Rechtsextremismus und Antisemitismus durch Deutschland. Und egal wo ich bin – in der Hauptschule oder im Uni-Hörsaal, im hinterletzten sächsischen Dörfchen oder im hippen Großstadtviertel –, die Grundlagen rechtsextremen Denkens sind den meisten völlig fremd.
Wie sollte es auch anders sein? In der Schule liest man „Die Welle“, schaut einen kitschig-schaurigen KZ-Film, lernt Jahreszahlen – und beschwert sich hinterher, dass dieses doofe Dritte Reich und die lästige Ermordung der europäischen Juden viel zu viel durchgekaut wurde. Aber wie ein Rassist seinen Rassismus begründet, wie der Antisemit seinen Judenhass legitimiert, wo die Attraktivität solcher Vorstellungen liegt, damit beschäftigt man sich nicht.
Und Verschwörungstheorien findet man kurios und ein bisschen putzig. Die kennt man aus Fernsehbeiträgen, bei denen man sich vor armen Irren und wirren Esoterikern gruseln kann. Dass dieselben Verschwörungstheorien in Deutschland mal Konsens waren, dass sie in der rechtsextremen Szene mit religiösem Eifer geglaubt werden, dass sie Terroristen zu ihren Anschlägen verleiten – das weiß man wiederum nicht.
Kein kruder Mix
Der Mörder von Halle hatte sich zunächst überlegt, ein Massaker in einer Moschee oder einem Antifa-Kulturzentrum anzurichten, aber die Juden, wusste er, stehen eben an der Spitze der großen Verschwörung. Sind verantwortlich für den Niedergang des deutschen Volkes, für den Feminismus, die sinkenden Geburtenraten, den „großen Austausch“. Das sagt er in seinem Video, schreibt es in seinem Anschlagsplan.
„Ein schlecht durchdachter, kruder Mix aus Verschwörungstheorien“, schreibt ein ganz verwunderter Redakteur auf Spiegel Online. Was würde der sich erst wundern, wenn er Hitlers „Mein Kampf“ in die Hände bekäme.
Nein, Nazis haben sich noch nie durch Originalität ausgezeichnet. Das alles ist weder neu noch ein kruder Mix. Es ist schlicht rechtsextreme Ideologie. Und auf dem AfD-Familienfest in Mühlhausen warnt Höcke vor den sinkenden Geburtenraten und dem zerstörten Familienbild, den Linksextremisten und den vielen jungen Afrikanern und Arabern. Gegen die er aber natürlich nichts persönlich hat. Er ist ja kein Rassist.
Er ist nur ein Enkel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen