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Rechtsextreme im WahlkampfWas sind eigentlich „gemäßigte Rechsradikale“?

Im Wahlkampf fallen bei den Rechten die letzten Hemmungen. Leider ist Ironie keine Lösung. Ein fiktives Gespräch voller Sehnsucht nach den 1980ern.

Mag Fake-News und Fake-Herzen: AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel bei einem Wahlkampfauftritt am 16. Januar im Hamburger Rathaus Foto: dpa | Christian Charisius

W as sollen eigentlich gemäßigte Rechtsradikale sein?“, fragt die Freundin und zieht vor dem Restaurant bibbernd an der Zigarette.„Wer sagt denn so was?“, fragt der Freund und zieht die Mütze tiefer. „Na, das war wieder irgendeiner von den Mainstream-Polit-Pod­castern!

„So einer mit guten Kontakten in alle Richtungen, der den Hals nicht voll genug kriegt!“, sagt die andere Freundin. „Der sich bei jedem Thema erst mal locker macht und ein milderndes Grinsen in die Stimme webt!“

„Ein Schleim, wer Böses dabei denkt!“„Superlative kann man nicht relativieren.“ „Sind Meloni und Le Pen mit gemäßigt gemeint?“ „Weil die nicht wirklich mit der AfD wollen?“ „War das nicht nur bei der Europawahl?“

„Ach, Europa! Wisst ihr noch das Lied von Billy Ocean?!“ „European Queen!“„Das waren noch hedonistisch selbstvergessene Zeiten.“ „Weltvergessene Glitzerglückseligkeit der Achtziger.“„Metallic statt Politik.“

Mein Kartenhaus stürzt ein! Ging es den Tech-Konzernen etwa immer nur um Profitgier?

„Einfach mal wieder tanzen und vergessen.“ „Den Rechtsradikalismus?“ „Und Mainstream-Podcasts mit illustren Gästen jeder Richtung.“ „Der Mainstream tanzt längst mit dem Rechtsradikalismus.“ „Dirty Dancing.“

„Und jetzt ist Wahlkampf, da fallen die allerletzten Hemmungen.“ „Habeck als Wattwurm war jetzt aber eher gemäßigter Wahlkampf.“ „Besser ein Habeck im Watt als eine Weidel als Fangirl.“„Oder Weidel als Goebbels.“ „Merz als Merz.“ „Wieso nicht Weidel als Weidel?“

„Sie imitiert das Böse nicht bloß.“ „Niemand imitiert das Böse. Es ist, was es ist.“ „Aber das Böse imitiert das Gute.“ „Man könnte die Hoffnung imitieren, dass es nicht ganz so schlimm kommt, wie es derzeit aussieht.“ „Oder schlimmer.“

„Meta, McDonalds und Amazon canceln gerade ihre Programme zur Gleichstellung und Diversität.“ „Trumps Gesellen eben.“ „Oh nein, ich bin schockiert, waren diese Konzerne etwa doch nicht mit humanistischem Idealismus am Guten interessiert?“ „Mein Kartenhaus stürzt ein! Ging es immer nur um Profitgier?“

„Galt Wokeness einen Spatzenschiss lang bloß als kapitalistisch neu zu erschließender Markt!?“ „Ironie hilft uns jetzt auch keinen Deut weiter.“ „Was dann?“ „Na, zumindest wählen gehen.“

Rache am Transgender-Kind

„Das war’s an Ideen?“ „Die AfD hatte die Idee, Abschiebeflyer zu drucken und in Briefkästen zu stecken.“ „Wozu?“ „Damit sich viele aufregen und drüber reden.“ „Nee, die peilen genau diese Praxis der Menschenverachtung an und wer Rassismus ebenso bürokratisch verankert haben will, wird das wählen.“

„Gibt es nicht ein kleines Licht am Horizont?“

„In meinem Telefon steht, Steve Bannon sei voll wutschnaubender Abneigung gegen Musk.“ „Musk ist ihm nicht rechts genug, weil er nicht nur Weiße einstellen will oder so.“ „Dann ist Musk ein gemäßigter Rechtsradikaler?“ „Im Space des thematisch pluralen Unterhaltungspodcasts schon.“

„Neulich sagte da jemand, die Rechtsradikalität bei Musk sei nur passiert, weil er sich an seinem Transgender-Kind rächen wolle, das den Kontakt zu ihm abgebrochen hat.“ „Wohin genau führen solche Erklärungen?“ „Ins Nichts?“ „Zu Ausdrücken wie gemäßigter Rechtsradikalismus.“ „Sprache strukturiert die Welt.“

„Und das Gelaber haut voll in die faschistische Kerbe.“

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Jasmin Ramadan
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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