Rechtsextreme Drohmailserie: Polizeichef ist Job los
Auch die Kabarettistin İdil Baydar wurde von hessischen Polizeicomputern ausgespäht. Nun tritt der Landespolizeipräsident zurück.
Zuletzt war bekannt geworden, dass es auch zu der Kabarettistin İdil Baydar eine Datenabfrage auf einem hessischen Polizeicomputer gegeben hatte. Baydar erhält seit vielen Monaten rechtsextreme Drohschreiben, nach eigenen Angaben zuletzt auch von einem Absender namens „SS Obersturmbannführer“. Unter dem gleichen Alias wurden zuletzt die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler, die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Berliner Linken-Fraktionschefin Anne Helm bedroht – hier zusätzlich mit dem Kürzel „NSU 2.0“ und unter Angabe persönlicher Adressdaten.
Beuth bestätigte, dass es zu Baydar eine Datenabfrage auf einem Wiesbadener Polizeirevier gab. Dies und einen möglichen Zusammenhang zu der Bedrohungsserie nannte er „ungeheuerlich“. Die Abfrage soll im März 2019 erfolgt sein. Wer dafür verantwortlich war, sei noch nicht geklärt. Ein identifizierter Beamter bestreitet offenbar die Abfrage – er wird in den Ermittlungen nur als Zeuge geführt.
Auch im Fall Wissler erfolgte die Abfrage in Wiesbaden, und auch hier bestreitet der Beamte, unter dessen Login dies erfolgte, diese Abfrage. Demnach nutzten womöglich andere Polizisten seinen Account. Schon im August 2018 war es zudem zu „NSU 2.0“-Drohschreiben gegen die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız gekommen, auch hier mit Nennung persönlicher Daten und ebenfalls zuvor abgerufener Polizeidaten, damals in einem Frankfurter Revier.
Ermittlungen mit „höchster Priorität“
Der Verdacht, dass es einen Zusammenhang zwischen all diesen Drohungen und eine Polizeibeteiligung geben könnte, „lastet schwer“, sagte Beuth. Noch aber sei ein kausaler Zusammenhang nicht nachgewiesen. Die Ermittlungen dazu liefen mit „höchster Priorität“. Beuth bekräftigte, dass er erst am vergangenen Mittwoch von den Datenabfragen gegen Wissler und Baydar von Landespolizeipräsident Münch informiert wurde.
Diese späte Mitteilung sei „nicht akzeptabel“. Beuth hatte zunächst das LKA Hessen dafür verantwortlich gemacht und einen Sonderermittler für die Behörde ernannt. Mehrere Medien berichteten dann aber über interne Vermerke, nach denen das LKA das Polizeipräsidium bereits im März über die Datenabfrage zu Wissler informierte.
Dies räumte Münch, der die hessische Polizei seit zehn Jahren anführte, nun ein. Er habe in einer Videokonferenz von der Datenabfrage erfahren, diesen Sachverhalt aber nicht bewusst wahrgenommen und deshalb auch Beuth nicht informiert. Münch selbst habe um seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand gebeten, so Beuth. Dem sei er nachgekommen. Der Minister lobte Münch als „redlichen und verbindlichen Mann“. „Er übernimmt als oberster Polizist Verantwortung für Versäumnisse, die er nicht allein zu vertreten hat.“
İdil Baydar machte der Polizei dagegen schwere Vorwürfe. „Was ich wirklich seltsam finde, ist, dass sich kein einziger Polizist bei mir meldet“, sagte sie der taz. „Meine Bedrohungslage scheint der Polizei egal zu sein.“ Auch Martina Renner und Anne Helm hatten das LKA scharf kritisiert. Seda Başay-Yıldız sagte dagegen, das LKA sei die einzige Institution, die sie schütze.
Opfert sich der Präsident?
Beuth kündigte nochmals Reformen bei der hessischen Polizei an. Alle Strukturen würden nun „gründlich geprüft“, um Missstände abzustellen. Auch sollen alle Polizisten neue Log-in-Daten für die Datensysteme erhalten und eine Weitergabe bestraft werden. Man drücke den „Reset-Knopf“.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen zu den Drohmails führt, erklärte, dass sie in dem Komplex seit August 2018 „unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden und kriminalistisch sinnvollen Ermittlungsmöglichkeiten ohne Unterlass“ ermittele. Neben den Beschuldigten seien mehr als 30 Zeugen befragt und eine Vielzahl an Kommunikationsüberwachungen veranlasst worden. Dass die Bedrohungen aber „aus der Anonymität des Internets“ kämen, schaffe Herausforderungen.
Die hessische SPD nannte den Münch-Rücktritt einen „Akt der politischen Verzweiflung“. Dessen Loyalität zu Beuth sei legendär. Dass er den Minister nicht informierte, sei „schlicht nicht glaubhaft“. Der Polizeipräsident opfere sich, um Beuth zu schützen. Auch die Linke forderte, dass sich Beuth „nicht länger wegducke“ und für Fehler geradestehe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour