Rechtes Attentat in Bologna: Ein später Fund

Beim Anschlag in Bologna 1980 starben 85 Menschen. Staatsanwaltschaft und Opferanwälte bringen nun den fünften mutmaßlichen Täter vor Gericht.

Blick in das Abteil eines Zuges, der von herabfallenden Trümmern stark beschädigt wurde. Auf Sitzen und dem Boden liegt Glas und Schutt.

Blick in das Abteil eines Zuges nach dem Bombenanschlag am 2. August 1980 in Bologna Foto: Ansa/dpa/picture alliance

ROM taz | Es war kein guter Tag für Paolo Bellini. Als seine Ex-Frau Maurizia Bonini im Gerichtssaal die Filmaufnahme vom 2. August 1980 sah, erklärte sie ohne den Anflug eines Zweifels, „es ist Paolo, weil er da (neben dem Kinn) ein Grübchen hat“. Gefilmt worden war der heute 68-Jährige am Tatort des blutigsten Terroranschlags der italienischen Nachkriegsgeschichte, unmittelbar nach der Explosion jenes Sprengsatzes, der im Bahnhof von Bologna 85 Menschen in den Tod riss und über 200 teils schwer verletzte.

Auch sein damaliges Alibi nahm Maurizia Bonini auseinander. Sie hatte vor Jahren ausgesagt, Bellini sei an jenem 2. August morgens um neun zusammen mit ihr in Rimini gewesen; von dort hätten sie in den Urlaub aufbrechen wollen. Damit war ausgeschlossen, dass der seinerzeit in der gewaltbereiten neofaschistischen Gruppe Aktive zur Uhrzeit des Bombenanschlags, 10.26 Uhr, in Bologna sein konnte.

Jetzt erklärte Bonini, erst nach 12 Uhr habe Bellini sich bei ihr eingefunden – genug Zeit also, um von Bologna nach Rimini zu fahren. „Erst 25 Jahre alt“ sei sie damals gewesen, rechtfertigte sie ihre damalige Lüge. Bonini habe nichts von dem Doppelleben ihres Mannes geahnt.

Bellini ist des Mordes angeklagt, weil er nach Auffassung der Staatsanwaltschaft den Sprengstoff nach Bologna gebracht haben soll. Er selbst streitet das energisch ab, wähnt sich gar – wie er zum Auftakt seines Prozesses im Jahr 2019 erklärte – in der Rolle „von Sacco und Vanzetti“, jenen italo-amerikanischen Anarchisten, die 1927 in Boston unschuldig hingerichtet worden waren.

Doch bald könnte der Neofaschist als fünfter Täter des Terroranschlags verurteilt werden. Zu keinem Zeitpunkt hat die italienische Justiz in ihrem Ermittlungseifer gegen die Rechtsterrorist_innen nachgelassen.

In bisher drei Prozessen wurden vier Personen zu lebenslang verurteilt. Das erste Verfahren lief von 1987 bis zum letztinstanzlichen Urteil vor dem Kassationsgericht im Jahr 1995: Zu verantworten hatten sich dort die beiden zum Zeitpunkt der Tat sehr jungen Anführer der kleinen rechtsterroristischen Gruppe „Nuclei armati rivoluzionari“ (NAR – Bewaffnete revolutionäre Zellen), Giusva Foiravanti und Francesca Mambro.

Auch die beiden NAR-Kumpanen Luigi Ciavardini und Gilberto Cavallini wurden in den Folgejahren verurteilt, der erste zu 30 Jahren Haft, der zweite zu lebenslänglich – ein Urteil, das erst im Jahr 2020 fiel, weil neue Beweise gegen ihn aufgetaucht waren.

Bis heute haben es die Fahnder nicht aufgegeben, sich durch die Fülle des schier unendlichen Materials zu graben, auf der Suche nach den Vollstreckern. Genauso wie nach ihren Hintermännern in Italiens Geheimdiensten und in der Geheimloge P2: Urteile gab es gegen diverse Geheimdienstler ebenso wie gegen den P2-Chef Licio Gelli, weil sie sich sofort nach dem Blutbad daran gemacht hatten, Spuren zu verwischen und falsche Fährten zu legen.

Dass der Ermittlungseifer nie nachließ, verdankt sich nicht bloß engagierten Staatsanwält_innen, sondern vorneweg auch der Vereinigung der Angehörigen der Opfer des Anschlags von Bologna. Dessen Vorsitzender Paolo Bolognesi lässt keinen Prozesstermin aus, und er lässt keine Gelegenheit verstreichen, um das Gedenken an die Opfer des Attentats wach zu halten.

Auch dass die Staatsanwaltschaft jetzt wieder die Spur aufnehmen konnte, die zu Paolo Bellini führte, verdankt sich der Vereinigung, die seit Jahren schon auch auf eigene Faust nach Beweisen sucht. Es waren drei von ihr beauftragte Rechtsanwälte, die den Super-8-Film, aufgenommen von einem Touristen, in dem Archivmaterial der Staatsanwaltschaft aufspürten – vorher hatte ihn niemand gesichtet.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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