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Rechter Terror gegen MigrantenIhr Rückzugsraum

Der Attentäter von Hanau suchte für seine Tat bewusst einen Ort migrantischen Lebens aus. Warum werden Shishabars zum Ziel?

Saif in der Leipziger Shisha Bar Foto: Sarah Ulrich

Leipzig taz | Selbstbewusst stolziert Saif zwischen den mit Samt gepolsterten Sitzecken hindurch, ein Handschlag hier, eine Umarmung da. Zwischendurch ein bisschen Labello auf die Lippen, dann wird schon die nächste Bestellung aufgenommen. Einmal schwarzer Tee und eine Shisha, Tabak: Kirschgeschmack. Saif lächelt die Gäste an, dreht sich um und läuft hüftschwingend hinter die Bar.

Vor neun Jahren kam Saif aus dem Irak nach Deutschland. Seitdem arbeitet er in der Shishabar Wunderlampe auf der Leipziger Eisenbahnstraße. Es ist ein geräumiges, sorgfältig geschmücktes, gemütliches Lokal, in dem Bilder und Statuen an die griechische Mythologie erinnern und Cardi B im Remix aus den Boxen tönt.

Saif ist weit mehr als nur Bedienung, viel eher einer, der dich willkommen fühlen lässt. Jeden Gast grüßt er mit Handschlag, die meisten kennt er persönlich. Die Arbeit in der Shishabar mache ihm Spaß, sagt Saif. „Hier sind alle so freundlich.“

Exakt 24 Stunden zuvor hat ein rechter Attentäter in einer Shishabar und einem Kiosk in Hanau bei Frankfurt am Main neun Menschen erschossen, später auch sich selbst und seine Mutter. Ein Bekennerschreiben und ein Video zeigen: Der Täter handelte aus rassistischen Motiven. Im Video spricht er von „Ausländerkriminalität“, von Migranten, die „nicht leistungsfähig“ seien. Davon, dass ihm „nichts anderes übrig geblieben“ sei, als so zu handeln.

Bundesratspräsident Dietmar Woid­ke (SPD) sagte nach dem Anschlag in Hanau, es sei ein Angriff auf „uns alle“. Tatsächlich jedoch war es ein gezielter rassistischer Angriff auf Menschen, die als „fremd“ markiert werden. Neun der Opfer hatten eine Migrationsbiografie, fünf die türkische Staatsbürgerschaft.

„Wie in Halle“

Wirklich etwas mitbekommen hat Saif von dem Anschlag nicht. Erst als ihn die Medien für ein Interview anriefen, habe er von der Tat gehört. „Wie in Halle“, sagt Saif. Im Oktober hatte ein Rechtsterrorist dort bei einem Anschlag auf eine Synagoge und einen Dönerimbiss zwei Menschen erschossen. „Und das ist gerade mal 34 Kilometer entfernt.“

Dass der Täter von Hanau die Shi­sha­bar als Angriffsziel wählte, war kein Zufall. Schon seit geraumer Zeit werden die Bars von Rechten zu Symbolorten für vermeintliche Kriminalität und Gesetzesverstöße stilisiert.

Die AfD macht Politik mit den Bars, behauptet pauschal, Shishabars seien Orte der „Vergiftungen“ und „Vergewaltigungen“. Im September 2019 stellte die hessische AfD eine parlamentarische Anfrage zu Shishabars. Thema: Steuerschaden durch „unversteuerten Wasserpfeifentabak“.

Nur einen Tag vor dem Terroranschlag von Hanau forderte Frank Pillibeit von der AfD-Fraktion Celle, der Betrieb von Shishabars müsse „gesetzlich geregelt“ werden. Der offizielle Grund: erhöhte Kohlenmonoxidwerte. Das eigentliche Argument: angebliche „kriminelle Machenschaften“ und „rechtsfreie Räume.“

Razzien mit großem Geschütz

„Durch den Diskurs findet eine Kriminalisierung statt“, sagt Rechtsanwalt Erkan Zünbül, dessen Büro nur wenige Minuten von der Shishabar Wunderlampe entfernt liegt. Denn die Läden geraten auch vermehrt in den Fokus der Behörden und werden zum Ziel von Razzien. Die Polizei fährt oftmals mit großem Geschütz auf: Bewaffnete, vermummte Einheiten, manchmal werden ganze Straßenteile abgeriegelt.

So zum Beispiel im März 2019, als die Polizei das Shishacafé X-Lounge in der Dortmunder Nordstadt durchsucht. Aoutef Mimouni, die schwangere Frau des Besitzers, verfolgt die Razzia über die Überwachungskamera live auf ihrem Handy. Sie beobachtet, wie ein Polizist die Kasse öffnet, geht zum Laden und stellt ihn zur Rede.

Ein Streit bricht aus. Später sagt Mimouni, ein Beamter habe sie gewürgt und geschlagen, die Schwangere minutenlang mit den Bauch auf den Boden gedrückt. Ein Arzt stellt eine Prellung im Kiefergelenk und Jochbein fest. In einem Handyvideo ist zu hören, wie ein Mann sagt: „Drehst du jetzt noch einmal durch, hau ich dir was in die Schnauze.“

Mimouni wird wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte angezeigt. Die Polizei sagt später, man habe einen „Einsatz zur Bekämpfung der Clankriminalität“ durchgeführt.

Ebenfalls im März 2019 durchsuchen insgesamt 357 Polizeibeamte in Berlin-Neukölln verschiedene Läden, darunter Shishabars. Im Nachhinein sagt die Polizei: „Ein konkreter Hinweis zu Aktivitäten oder Beweismaterial mit direkter Verbindung zur organisierten Kriminalität lag nicht vor.“

Eine Art Rasterfahndung

Jorinde Schulz von der Initiative „Kein Generalverdacht“ aus Neukölln sagt, es handele sich bei den Razzien um eine Art Rasterfahndungsprinzip. „Mangels konkreter Hinweise geht man wahllos in alle Lokale und hofft, irgendwo etwas zu finden“, sagt Schulz. Dabei werde „bewusst in Kauf genommen, dass man eine bestimmte Bevölkerungsgruppe pauschal kriminalisiert“.

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Das massive Polizeiaufgebot ist meist erst durch die sogenannte Amtshilfe möglich. Dann, wenn eine Gefahrenprognose besteht, können weitere Einsatzkräfte zur Verstärkung hinzugezogen werden. Rechtsanwalt Zünbül sagt, diese Gefahrenprognose sei aber oft falsch.

Natürlich gäbe es immer mal Verstöße gegen das Waffengesetz oder Steuergesetze, „aber das ist ja keine Besonderheit, die Shishabars speziell betrifft, sondern alle gastronomischen Bereiche“. Nur würden sogenannte deutsche Kneipen eben nicht gezielt durchsucht werden, sagt Zünbül. Die Razzien bei Shishabars seien „von der Präsenz her eher militaristisch als gewerberechtlich“.

Saif sagt, diese Razzien gebe es in der Shishabar Wunderlampe jedes Jahr. Zuletzt im März 2019. Dann kämen „richtig viele Polizeibeamte“, durchsuchten den Laden, von früh bis spät. Den Tabak für die Wasserpfeifen nehmen sie mit – denn dass er bereits geöffnet ist, weil er portionsweise zu den Gästen an den Tisch gebracht wird, verstößt gegen das Gesetz. Saif schüttelt den Kopf. „Sinnlos“ sei das, die Razzien seien „Ruf­schä­di­gung“.

Kein Platz in Deutschland

Auf Twitter schreibt die Nutzerin Nadire Y. Biskin: „#Hanau Monologe. Ich zu meinem Bruder: ‚Mehmet, geh nicht in die Moschee.‘ ‚Mehmet, geh nicht in die Shishabar.‘ Wo soll dieser Junge freitags hin? In eure Clubs darf er nicht rein. In eure Bibliotheken darf er höchstens als Security. (...) Sagen wir es direkt: Es gibt keinen Platz in Deutschland für Leute wie meinen Bruder, meine Mutter und mich.“

Sie meint: Menschen mit Migra­tions­biografie. Denn die Bars sind selbst organisierte Räume von Menschen, die von Rassismus betroffen sind. „Shishabars sind Orte, an die sich vor allem Jugendliche zurückziehen, die in anderen Bereichen ausgegrenzt werden“, sagt Rechtsanwalt Zünbül. Weil sie durch rassistische Türpolitik nicht in Discos kämen – oder sich ganz einfach bei Wasserpfeife und Tee wohler fühlen als bei Bier und Dart.

Warum das passiert? Weil Rechte Idioten sind. Ob er Angst hat? „Nein. Ich glaube aber, die haben Angst vor uns“

So wie Mustafa und Abdalladif. Die beiden sagen, sie hätten sich schon länger nicht gesehen und für heute in der Wunderlampe verabredet, „um mal wieder zu quatschen“. In einer silbernen Shisha mit dem Namen „Amy Deluxe“ raucht Mustafa „Grüner Apfel“. In regelmäßigen Abständen kommt eine Bedienung und tauscht die Kohle aus, damit die Pfeife richtig zieht.

Mustafa ist Mitte zwanzig und vor dreieinhalb Jahren aus Syrien nach Leipzig gekommen. Er arbeitet als Bademeister „im besten Sportbad, und auch er kennt die Leute, die heute Abend hier sind, grüßt sie, macht Witze. Warum er hier sei? „Weil Saif ein toller Typ ist.“ Mustafa lacht. „Und weil es einfach Spaß macht.“

„Es sind auch nicht alle Christen Nazis“

Von dem Anschlag in Hanau hat er auf YouTube mitbekommen. „Wie damals in Neuseeland“, sagt er. Warum das passiert? „Weil Rechte Idioten sind.“ Ob er Angst hat? „Nein. Ich glaube aber, die haben Angst vor uns.“ Warum? „Ich glaube, weil sie denken, dass alle Muslime beim IS sind. Aber das stimmt nicht. Bei euch sind ja auch nicht alle Christen Nazis.“

Abdalladif pflichtet ihm bei. So, als müsse er mit Nachdruck vom Gegenteil überzeugen. „Wir sind ja ein gutes Beispiel. Wir sind auch Muslime.“

Während die vor wenigen Tagen festgenommene rechtsextreme Gruppe um Werner S. es auf Moscheen abgesehen und der Täter von Halle gezielt eine Synagoge und einen Dönerladen angegriffen hatten – so war bei dem Attentat in Hanau mit der Shishabar erneut ein Ort migrantischen Lebens zum Ziel geworden.

Rechtsanwalt Zünbul sagt, der Diskurs sei mit Schuld daran, dass es dazu kommen konnte. „Es ist letztlich auch ein Ergebnis der rassistischen Politik im Bundes- und Landtag und der Äußerungen der AfD, mit denen Angst vor Dingen gemacht wird, die es nicht gibt.“

Alle zusammen, aber viele fehlen

In Leipzig gedenken an diesem Abend auf einem Platz wenige hundert Meter entfernt von der Shishabar Wunderlampe etwa 800 Menschen der Opfern von Hanau. Es gibt eine Schweigeminute, Redebeiträge der kurdischen Gemeinde. Die Demonstrierenden rufen: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ Gekommen sind vor allem Mi­gran­t:innen und Linke.

Mustafa, Abdalladif und Saif bekommen in der Wunderlampe von der Kundgebung nichts mit. Überhaupt ist die Stimmung hier fröhlich, ausgelassen, freundlich. „Total entspannt“, wie Saif sagt. Auch er sagt, er habe keine Angst. „Man kann sowieso nichts machen“, sagt er. „Außer hoffen, dass uns so etwas nicht passiert.“

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11 Kommentare

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  • Warum teilt auch die TAZ in "migrantisch" und (typisch unbenannt) "nicht-migrantisch". Die Shisha-Bars besuchen junge Deutsche, deren Eltern oder Großeltern eventuell in einem anderen Land geboren wurden. Wieso haben junge Leute, die in Deutschland geboren sind, eine "Migrationsbiografie"???? Hier hat ein Mann einen rassistischen Anschlag auf Deutsche verübt, die er in seinem vernebelten Hirn in "schwarz" und "weiss" einteilt.

  • Welche rassistische Politik in Bundestag und Landtag ist gemeint? Das hatte ich gerne konkret mit Beispielen belegt durch Herrn Zünbul. Die pauschale Verurteilung aller Deutschen und der Politik halte ich für nicht zulässig. Ebenso wenig wie eine pauschale Verurteilung aller Muslime. Dennoch frage ich mich auch, wo die Proteste oder Solidaritätsbekundungen seitens muslimischer Bürger sind, wenn es um antisemitische Vorfälle, Clan-Kriminalität, Ehrenmorde oder politische Entgleisungen Erdogans geht.

  • Nicht alle Shisha Bars sind ein Ort, wo sich Clanmitglieder aufhalten. Aber manche Clanmitglieder halten sich in Shisha Bars auf und Razzien sind eine logische Konsequenz dessen. Wer darin Hetze oder gar Rassismus sieht, hat nicht mehr alle Ziegel auf dem Dach. :-)

    • @Klardenker74:

      Würde ich Ihnen ja *fast* rechtgeben, wenn es denn mal Razzien gäbe in den Gaststätten, in denen sich die rechte Szene trifft. Gibt es aber nicht.

  • Im Manifest des Attentäters ist klar zu entnehmen, dass er bereits mehrmals offiziell Strafanzeige erstattet hat, wobei in diesen Strafanzeigen ganz klar seine rassistische Gesinnung zu erkennen war. Sollten da nicht die Alarmglöckchen klingeln, wenn jemand mit Verfolgungswahn so ein Gedankgengut hegt?

  • Was mir in dem Artikel eindeutig fehlt ist die Kritik an den Medien, denn gerade die sind es ja welche in den letzten Jahren einen hetzerischen Beitrag über Sisha-Bars nach dem anderen veröffentlichen. Das hat was von betriebsbedingter Blindheit.

  • Kapitalfaschisten und Rassenwahn.

    Bekanntlich saß dieses Gedankengut mit einem Anteil von mehr 30 Prozent früherer NSDAP-Mitglieder auch nach 1949 im westdeutschen Bundestag und stellte die Mehrzahl der westdeutschen Staatsbeamten. Nur gegen eine kleine Minderheit an der Spitze von vormals zwischen 8 und 9 Millionen NSDAP-Mitgliedern wurden strafrechtliche Verfahren eingeleitet. Auch die Kapitalfaschisten aus führenden Wirtschaftskreisen und Konzernvorständen blieben nicht belangt, allenfalls nach kurzer Inhaftierung fanden sie sich wieder in alten Machtpositionen und an der Spitze der Wirtschafts- und Monopolverbände Westdeutschlands [siehe doch auch nur Hanns Martin Schleyer: SS, SD, Jurist, NSDAP, Industriemanager, Verbandsfunktionär, CDU].

    Vgl. www.deutsche-biogr...e.de/sfz74724.html

    22.02.2020, R.S.

  • Ich war bisher in keiner dieser Bars, was sicher auch meiner ländlichen Umgebung ohne entsprechendes Angebot liegt. Aber vielleicht sollte man sich auch als nichtrauchender Coffeejunkie beim Spaziergang in einer Stadt mal eine Teepause in einer Shisha-Bar gönnen. Einfach um es kennen zu lernen, aber auch als Zeichen eine Normalität im Umgang miteinander.

    • @Navitrolla:

      Lass es, sonst wirst du nur Ablehnung ernten weil ihnen die Almans das auch noch wegnehmen und sich zu eigen machen. Meine Erfahrung ist dass da keinerlei Interesse an Umgang mit Leuten besteht, die nicht "dazu gehören". Fair enough. Dörfler sehens auch nicht gern wenn sich Städter in der Wirtschaft an diesen vermeintlich "noch freien" (Stamm)Tisch hocken...

      • @Heide Gehr:

        Liebe Heide, ich werde es nicht lassen - weil ich einerseits genau diese Art sich verbreitender 2nd-hand Erfahrung dafür mitverantwortlich mache, dass man nur noch übereinander und nicht miteinander redet. Ein wesentlicher Spaltungsgrund!

        Und zu den Landbewohnern: Ich übernachte rund 2x wöchentlich in Hotels - bevorzugt außerhalb der Metropolen. Deinen Eindruck kann ich ganz und garnicht bestätigen. Ich wurde sogar schon aufgefordert, mich dazu zu setzen, als ich nach dem Essen noch bei einem Radler auf meinem Handy rumtippselte.

      • @Heide Gehr:

        Habe ich nicht so erlebt, im Gegenteil.