Rechter Kandidat für Ärzteparlament: Einspruch abgelehnt
Steffen Grüner postet rechte Botschaften in sozialen Medien. Jetzt steht der Arzt für die Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen zur Wahl.
Auf Twitter stellt er muslimische Männer als generell gewalttätig dar, spricht von „Linksfaschismus“, hetzt gegen Migranten. So postete er zum Beispiel ein Vorher-Nachher-Bild eines muslimischen Pärchens. Vorher sagt sie lächelnd und unversehrt: „Ich war zu Beginn gegen das Kopftuch.“ Nachher: „Aber mein Mann hat mich doch überzeugt.“ Auf dem Nachher-Bild hat sie neben dem Kopftuch ein blaues Auge und ausgeschlagene Zähne.
Grüner kandidiert im Wahlbezirk Osnabrück/Aurich, auf Wahlliste 11, Motto: „Arzt sein verbindet“. Die Wahl läuft noch bis zum 14. Dezember. Würde Grüner gewählt, hätte er Einfluss auf die Ausschüsse, auf das Präsidium.
Das wollen einige seiner Ärztekollegen nicht zulassen. Sie haben Einspruch gegen Grüners Eintragung ins Wählerverzeichnis erhoben, sind damit aber gescheitert. Unter den Gegnern der Kandidatur ist Uwe Lankenfeld, Bezirksausschussvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Bis heute weiß er nicht, warum der Einspruch erfolglos war: „Der Wahlausschuss hat die vorgetragenen Argumente gar nicht geprüft.“
Filiz Polat, Bundestagsabgeordnete der Grünen
Dabei sprechen für den KVN-Repräsentanten formale Gründe gegen Grüner: „Ich sehe da einen Interessenkonflikt.“ Grüner praktiziert hauptsächlich in Westerkappeln, in Nordrhein-Westfalen, ist also auch Mitglied der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL). Das hatte schon bei seiner Wahl zum Leiter der Osnabrücker Bezirksstelle der ÄKN für Zündstoff gesorgt, denn die Kammersatzung besagt, dass den Bezirksstellen Kammermitglieder angehören, „die ihren Beruf überwiegend in deren Verwaltungsbezirk ausüben“. Lankenfeld hatte Grüners Wahl angefochten, mit Erfolg. Aber Grüner klagt noch vor dem Verwaltungsgericht, und das hat aufschiebende Wirkung. Seither schwebt das Verfahren und Grüner ist somit vorerst Leiter der Bezirksstelle.
In dieser Funktion mochte sich Grüner auch von Siegfried Sonneck nicht offiziell distanzieren (taz berichtete) – ungeachtet des Imageschadens, den das für die ÄKN bedeutet. Sonneck ist Mitglied der Osnabrücker Bezirksstelle der ÄKN und es läuft derzeit ein Verfahren wegen islamfeindlicher Volksverhetzung gegen ihn. Arzt sein verbindet? Hier sicher nicht. Oder eben doch, unter Gleichgesinnten.
Filiz Polat, Bundestagsabgeordnete aus Bramsche bei Osnabrück, zeigt sich fassungslos angesichts der Tatsache, dass jemand, „der das Manifest des Hanau-Attentäters in den sozialen Medien verbreitet und die Verwendung der Reichsflagge verharmlost“, Akzeptanz oder gar Zuspruch findet. „Ich bin sehr irritiert, dass so was in der Ärzteschaft unwidersprochen bleibt“, sagt Polat. Sie frage sich, ob diese Vorgänge bekannt seien. „Denn dann würde ich eine klare öffentliche Distanzierung erwarten. Doch mit der Wahl in verschiedene Vertretungsgremien findet das Gegenteil statt.“
Der ÄKN in Hannover sind Grüners rechte Postings allerdings bekannt. Das bestätigte die Organisation gegenüber der taz. „Dass hier keine Distanzierung kommt“, sagt Polat, ist wirklich befremdlich“.
Von der taz gefragt, warum Grüner trotz seiner Äußerungen für die Kammerversammlung kandidieren darf, beruft sich Thomas Spieker, Pressesprecher der ÄKN Hannover, auf Formalia: Die Wählbarkeit richte sich nach dem Niedersächsischen Heilkammergesetz. „Insoweit besteht hier für die Ärztekammer Niedersachsen bzw. den Wahlleiter kein Raum, weitere bzw. andere Kriterien aufzustellen.“ Gäbe es einen Richterspruch, der Grüner die „Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen“ abspräche oder „eine berufsgerichtliche Entscheidung“ vorläge, wäre er unwählbar.
Lankenfeld ist das zu wenig: „Untragbar“ seien Grüners rechte Äußerungen. „Da müsste er eigentlich über seine Amtseignung nachdenken.“ Es gelte nun, „wachsam“ zu bleiben.
„Ein solches Verhalten ist rufschädigend für die Kammer“, sagt auch der Kinderarzt Gisbert Voigt, der bereits im Landesvorstand der ÄKN sitzt. „Aber leider bringt es wenig, berufsrechtlich dagegen vorzugehen.“ Er kenne weitere solcher Fälle und bisher habe es meist von den Berufsgerichten geheißen: Recht auf freie Meinungsäußerung, sagt Voigt. „Ich bin da ziemlich illusionslos.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil