Rechte sorgen sich um Arbeitslose: Aus Eigennutz

Wolfgang Kubicki, die Bild und die AfD nutzen das Elend im Lande, um ihre eigene Agenda durchzusetzen. Das Wort Solidarität? Verwaist.

Eine rote Nelke.

Eine rote Nelke, Sinnbild der internationalen Solidarität Foto: Hartmut Müller-Stauffenberg/imago

Das Konzept der Solidarität hat nicht erst seit der pandemischen Gegenwart einen schweren Stand. Eigentlich geht es schon seit Ende der großen revolutionären Erzählungen vor 50 Jahren baden. Die Revolutionäre von damals sind heute Regierende. Und ein verwaister Begriff der Solidarität sucht neue Heimat. Zum Glück gibt es da FDP- und AfD-Politiker, zum Glück die Springer-Medien.

Lange haben sie nicht gewartet, als Detlef Scheele, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, kürzlich in einem Interview sagte, Arbeitgeber könnten ungeimpfte und nicht genesene Be­wer­be­r:in­nen ablehnen, wenn eine Impfpflicht mit entsprechenden Rechtsfolgen bei Verstößen beschlossen werde. „Auch wir als Bundesagentur müssen dann prüfen, ob eine fehlende Impfung zu einer Sperrzeit führt“, ergänzte Scheele. Bei einer Sperrfrist bekommt eine arbeitslose Person für bestimmte Zeit keine Leistungen mehr.

„Dass man Menschen in den Senkel stellt einfach aufgrund ihres Impfstatus, wird mittlerweile für mich unerträglich“, wütete FDP-Politiker Wolfgang Kubicki daraufhin bei Bild TV. „Damit setzt ein mächtiger Behördenchef die Axt an die Grundpfeiler unseres Landes: Sozialstaat und Solidaritätsprinzip“, kommentierte die Bild. Und die Schwester Welt erkannte eine „große Lust an der Bestrafung“. Ein AfD-Bundestagsabgeordneter kritisierte Scheeles Aussage als „maximal unsozial“.

Unabhängig davon, wie problematisch eine solche Sanktionierung wäre, fragt man sich: Was steckt hinter diesem Einsatz rechtsliberaler bis rechtsextremer Kreise für die Elenden des Landes? Die Antwort lautet: Eigennutz.

Wettbewerbswillige Porsche-Subjekte

Denn der Arbeitslose, der ja faul ist und nicht arbeitet und deshalb schmarotzt, eignet sich nicht nur hervorragend als Negativfolie des eigenen Selbstverständnisses wettbewerbswilliger Porsche-Subjektivtät. Man kann den Arbeitslosen auch immer dann gebrauchen, wenn die eigene unsoziale Weltsicht, die sich etwa in der egoistischen Ablehnung solidarischer Coronamaßnahmen ausdrückt, gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar ist.

Immer dann, wenn die Allgemeinheit nicht darauf reinfällt, dass die Freiheit, von der Porsche-Subjekte sprechen, nicht die Freiheit aller, sondern nur die der Porsche-Subjekte meint. Der rhetorische Pseudo-Klassenkampf dient dann als trojanisches Pferd, um Partikularinteressen als Allgemeininteresse zu verkaufen.

Scheele ist da nur ein Beispiel, es gibt viele andere: das Böllerverbot, das anscheinend vor allem die Arbeiterkultur einschränke; die Einschränkungen für das Auto, die vor allem Arme träfen; die gendersensible oder rassismuskritische Sprache, bei der vor allem Ar­bei­te­r:in­nen nicht mitkämen. Der Skandal dabei ist weniger, dass die Porsche-Subjekte unsolidarisch Solidarität vorheucheln. Das ist nur konsequent. Sondern dass der Begriff der Solidarität derzeit dermaßen verwaist ist, dass sie sich das überhaupt trauen.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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