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Rechte WahlerfolgeAblenkung mit Milli Vanilli

Die Serie der Horrornachrichten wurde mit den Wahlen in Argentinien und den Niederlanden fortgesetzt. Da helfen ungewöhnliche Unterhaltungsmaßnahmen.

Das Pop-Duo „Milli Vanilli“ bei einem Auftritt in der Musiksendung „ Peter's Popshow“, 1989 Foto: Franz-Peter Tschauner/dpa

A m Dienstag war ich im Kino Babylon in Berlin-Mitte bei einer „neuen Journalismus-Show“ bei einer „neuen Journalismus-Show“. Es ging um konstruktiven Klima-Journalismus, also Geschichten, die nicht nur erklären, wie schlimm das alles mit der Klimakrise ist, sondern Lösungen aufzeigen, wie man (ein bisschen) aus ihr herauskommt. Das ist gut, war nur leider nicht sonderlich gut gemacht. Kein Wunder, auf der Bühne standen Textarbeiter*innen, keine Entertainer*innen. Es war zäh, und ich bereute schon bald, nicht wie geplant in Neukölln zum Film „Frutos de Resistencia“ mit anschließender Diskussion gegangen zu sein. Untertitel: „Warum in Spaniens Gewächshäusern Widerstand wächst“. Das klingt doch auch sehr konstruktiv.

Und konstruktive Geschichten, die können wir doch jetzt gut gebrauchen. Immer diese schlimmen Nachrichten. Corona, Krieg und wieder Krieg. Am Montag wachten wir dann auch noch mit einem Trump-Verschnitt als neuem argentinischen Präsidenten auf. Javier Milei zweifelt die Anzahl der Opfer der Militärdiktatur an. Wenn er seine Vorhaben umsetzt, den US-Dollar als Währung einführt und Sozialprogramme streicht, wird Argentinien vermutlich noch weiter in die Inflation abrutschen, und die Armen werden noch ärmer werden.

Am Mittwoch gewann ein weiterer Mini-Trump eine Wahl, dieses Mal in den Niederlanden. Geert Wilders wurde 2016 wegen einer Hassrede verurteilt. Er hatte versprochen, dafür zu sorgen, dass keine weiteren Marokkaner ins Land kommen. Als am Mittwochabend das Wahlergebnis feststand, forderte er, „dass etwas gegen den Asyl-Tsunami getan wird.“

Steigen irgendwo die Stimmenanteile für rechte Parteien, fordert immer irgendjemand schärfere Asylgesetze, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. So auch am Donnerstag. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte, die Migration nach Deutschland stärker zu steuern. Denn: „Entweder wir entwickeln in der Migrationspolitik pragmatische Lösungen, oder wir bekommen es mit Wahlergebnissen wie in den Niederlanden und in Italien zu tun“, sagte er. Man kann es auch so sagen: Wer rechte Politik macht, braucht keine AfD mehr. Klingt einleuchtend, funktioniert aber nie, siehe Hessen, wo die SPD trotz Hardliner-Faeser abschmierte und die AfD zweitstärkste Kraft wurde. Und am Ende haben wir dann nur noch rechte Parteien.

Die irrige Verwendung des Begriffs Rechtsruck

Woran liegt es eigentlich, dass diese rechten Trump-Verschnitte immer ähnliche Frisuren haben? Aber bevor wir in die Abteilung Panorama abgleiten, noch ein paar medienkritische Worte: Wie oft habe ich am Donnerstag von einem „Rechtsruck“ in den Niederladen gelesen? Laut Duden ist ein Ruck eine „kurze Bewegung, die abrupt, stoßartig einsetzt oder aufhört“. Ein langsamer Kopfruck zum Beispiel wäre ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Dass rechte Parteien bei den Wahlen in Bayern, Hessen und den Niederlanden so gut abgeschnitten haben, ist das Ergebnis kontinuierlicher Bemühungen rechter Akteure. Keine plötzliche 180-Grad-Wende der politischen Stimmung in der Gesellschaft.

Apropos kontinuierliche Bemühungen. Die FAZ bereitet offenbar schon die Kanzlerschaft von Carsten Linnemann vor. Der Generalsekretär der CDU durfte in einem Interview vorab das neue Grundsatzprogramm seiner Partei vorstellen. Er will das Bürgergeld abschaffen, Leute zu Arbeit verpflichten und erst ab 80.000 oder sogar 100.000 Euro Einkommen (statt 62.000) den Spitzensteuersatz verlangen. Rentner sollen 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können. Dabei können die meisten ja froh sein, wenn sie 2.000 Euro Rente bekommen. Klientelpolitik at it’s best.

Man kann es natürlich als Entertainment verstehen – einmal lachen und gut ist. Nur, dass die CDU gerade gute Chancen hat, den nächsten Kanzler zu stellen. Von daher: Vielleicht ist so eine Journalismus-Show doch das bessere Entertainment. Oder ich schau mir die neue Doku über Milli Vanilli an. Deren Geschichte ist zwar auch tragisch, hat aber Unterhaltungswert ohne gesellschaftliches Zerstörungspotenzial.

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Johanna Treblin
Redakteurin taz.eins und Themenchefin
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1 Kommentar

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  • Also ich würde das Erscheinen einer Doku über Milli Vanilli schon auch in die Rubrik "Horrornachrichten" sortieren...