Rechte Hetze gegen Journalist*innen: Fest, frei, vogelfrei
Öffentlich-rechtliche Sender tun sich schwer, ihre freien Mitarbeiter*innen vor rechten Angriffen zu schützen. Das zeigen zwei aktuelle Fälle.
Gewiss war es schon immer so, dass man als Journalist*in einiges vertragen können muss. Auch als Zeitungen und Sender noch nicht vom Getöse der sozialen Netzwerke umgeben war. Auch da gab es böse Briefe, Anrufe, gelegentlich Proteste vor den Redaktionen.
Aber seit das Internet zum Alltag von Journalist*innen dazugehört, mit seinen unberechenbaren Erregungszyklen, mit seiner Anonymität einerseits und der Möglichkeit, private Adressen zu veröffentlichen, andererseits, ist der Druck gestiegen. Wenig reicht mittlerweile aus, um zur Zielscheibe rechter Zermürbungsstrategien zu werden. Das beginnt mit Beleidigungen in den sozialen Medien und per Mail, dann kommen Drohungen, persönliche Informationen werden veröffentlicht, manchmal kommt es zu Stalking, im Extremfall zu Kundgebungen gegen eine Person.
Zwei solcher Fälle haben über die Feiertage Aufsehen erregt. Da ist einmal der Fall eines freien Mitarbeiters beim WDR, Danny Hollek, der wegen einer absurden Auseinandersetzung um ein Kinderlied bedroht wurde.
Kurz vor Weihnachten hatte der WDR auf Facebook ein satirisches Video gepostet, in dem der sendereigene Kinderchor über „Oma“ singt, die „eine alte Umweltsau“ sei, weil sie SUV fährt und täglich Kotelett isst.
Ein paar Tage später wird in den sozialen Netzwerken um das Hashtag #Umweltsau herum von rechts gegen das Video angeschrien, bis sich der WDR genötigt sieht, es zu löschen. In diese Stimmung hinein tweetet der WDR-Mitarbeiter Danny Hollek, auf seinem Privataccount: „Lass mal über die Großeltern reden, von denen, die jetzt sich über #Umweltsau aufregen. Eure Oma war keine #Umweltsau. Stimmt. Sondern eine #Nazisau.“ Der Sender distanziert sich kurz darauf von Holleks Tweet. Am Tag darauf filmt sich ein bekannter Rechtsextremer vor dem Haus von Holleks Familie.
Ein offener Brief an den Intendanten
Nicht ein Wochenende, sondern Jahre schon hält die Bedrohungskampagne an, der der ehemalige BR-Journalist Richard Gutjahr ausgesetzt ist. Sein Fall ist der andere, der in diesen Tagen für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Gutjahr hat am Silvestertag in einem offenen Brief an den BR-Intendanten Ulrich Wilhelm dargelegt, warum er sich von dem Sender im Stich gelassen fühlt und nicht mehr für den BR arbeiten werde.
Gutjahr und seine Familie erreichen seit über drei Jahren Drohungen und Beleidigungen, bei öffentlichen Auftritten braucht er teils Personenschutz. Und das, weil er im Sommer 2016 prominent von zwei Großnachrichtenlagen berichtet hat: dem islamistischen Terroranschlag in Nizza und dem rechtsideologisch inspirierten Amoklauf eines Schülers in München.
Gutjahr war in diesen Fällen weder als Akteur involviert, noch hob er sich besonders durch Meinungsäußerungen hervor. Er machte seinen Job als Reporter, und das übrigens sensibel und vorbildlich, wie viele im Nachhinein lobten. Doch bei beiden Ereignissen war Gutjahr zufällig anwesend – das und die Tatsache, dass er eine jüdische Frau hat, reichten als Anlass der rechten Hetze.
Rechte Mobilisierung im Netz benutzt Feindbilder und Reizwörter, um die herum sich schnell Erregung bildet. Dazu gehören neben Begriffen wie „Klima“, „Asyl“ und „Gender“ der öffentlich-rechtliche Rundfunk und potenziell alle, die für ihn arbeiten.
Es kostet Zeit, Geld und Energie
Gutjahr versucht seit Jahren, die schlimmsten Videos und Posts über sich löschen zu lassen, Personen juristisch zu belangen. Das erfordert Wissen, Zeit, Geld und Energie. Dem BR-Chef wirft Gutjahr nun vor, dass dieser sich zu wenig für ihn eingesetzt habe. Gutjahr habe bei einem persönlichen Treffen an Wilhelms Mitgefühl appelliert, ihn „gebeten, mich bei der Bekämpfung dieser Kräfte aktiv zu unterstützen“. Aber: „Stattdessen verwiesen Sie persönlich und Ihre juristische Direktion immer wieder darauf, dass der BR freien Mitarbeitern keine Rechtsberatung geben dürfe.“
Der Sender nennt diese Darstellung falsch. „Journalistinnen und Journalisten – ob fest oder frei –, die im Auftrag des BR beruflich unterwegs sind, werden juristisch unterstützt“, heißt es auf taz-Anfrage. „Neben der Juristischen Direktion etwa auch ganz besonders durch die Informationsdirektion und die jeweiligen Redaktionsleitungen. Das reicht von Austausch und Beratung bezüglich der Einleitung rechtlicher Schritte oder konkrete Unterstützung bei Schutzmaßnahmen wie Auskunftssperren bis hin zu konkreter Hilfe, etwa beim Dokumentieren von Hassbotschaften, Recherche nach deren Absendern oder der Steuerung der Reaktionen.“
Einig sind sich Gutjahr und der BR darüber, dass der Sender etwas unternommen hat. Justiziariat und Rundfunkrat haben sich zeitweise mit dem Fall befasst. Die Frage ist, wie viel denn nun „genug“ ist. Interessant ist dabei, dass der Sender schreibt: „die im Auftrag des BR beruflich unterwegs sind“. Das schließt Angriffe aus, die auf jemand niedergehen, der oder die gerade nicht im Dienst ist. Wer privat angegriffen wird oder für einen Beitrag, der vor längerer Zeit gesendet wurde, kann also nicht unbedingt auf Schutz hoffen. Aber wie ist es mit jemandem, der zwar privat, aber doch eindeutig stellvertretend für seinen Sender belästigt wird? Wer ist zuständig?
Im Fall Danny Hollek twitterte der WDR mitten in den Shitstorm gegen Hollek hinein: „Der betroffene Mitarbeiter ist kein Redakteur beim WDR, sondern freier Mitarbeiter“ – als käme es in dem Moment, wo jemand stellvertretend für den Sender attackiert wird, darauf an, was sein tariflicher Status ist. Erst zwei Tage später zeigte sich WDR-Chef Tom Buhrow schockiert über die Angriffe auf Hollek und versprach juristische Unterstützung.
Ohne Freie geht es nicht
Das ist nicht nur deshalb bitter, weil die Sender offenbar weiter die Geschwindigkeit unterschätzen, in der Hass auf Einzelne niedergehen kann. Sondern weil freie Journalist*innen wesentlich angreifbarer sind als fest angestellte.
Unser Autor stand schon als Kind auf Skiern, heute verspürt er wegen des Klimawandels vor allem eines: Skischam. Für die taz am wochenende vom 15. Februar nimmt er Abschied von der Piste und fährt ein letztes Mal. Außerdem: Wer gewinnt die Bürgerschaftswahlen in Hamburg? Auf Wahlkampftour mit den Kandidaten der Grünen und der SPD. Und: Waffel kann auch Döner sein, Obstdöner. Über das heilendste Gericht der Welt. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Zwei Drittel der Beschäftigten im Programmbereich der Sender sind „frei“, schätzt die Gewerkschaft Verdi. Ohne Freie gäbe es morgen keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Sender sparen, weil die Landesregierungen den Rundfunkbeitrag niedrig halten. Dieser wird zwar bald wohl um 86 Cent angehoben, doch liegt das unter der Teuerungsrate. Gleichzeitig stecken die Sender mitten in der Digitalisierung und brauchen mehr Personal; schließlich gilt es mehr Kanäle zu bespielen – die alten und die neuen gleichzeitig – und innovative Ideen auszuprobieren, die möglicherweise scheitern.
Wem gegenüber ist ein öffentlich-rechtlicher Sender also verantwortlich? Man unterscheidet tariflich gerne zwischen den „Freien“, die wirklich selbstständig arbeiten, Texte oder Beiträge liefern und ansonsten nicht weiter mit dem Sender verknüpft sind, und den „festen Freien“, die ähnlich arbeiten wie Festangestellte, aber auf Honorarbasis und ohne Verträge. Richard Gutjahr war so ein „fester Freier“ beim BR. Hollek, der beim WDR in einer Nachrichtenredaktion arbeitet, ist zumindest nahe dran.
Nimmt das die Sender also ein wenig aus der Verantwortung? Nicht unbedingt: Wenn Rechte jemanden stellvertretend für das Feindbild Rundfunk attackieren, scheren sie sich einen Dreck darum, wie die- oder derjenige arbeitsrechtlich eingeordnet wird. Dazu kommt, dass die Sender sich natürlich andersherum auch mit den Gesichtern der Freien schmücken. Sowohl Gutjahr als auch Hollek wird prominent mit Bild auf den Webseiten der Sender aufgeführt. Gesichter schaffen Vertrauen. Aber machen auch angreifbar.
Nur eine Handvoll juristisches Personal
Der BR schreibt auf die Frage, welche Unterstützung bei Angriffen von rechts die Journalist*innen künftig erwarten können: „Jeder Einzelfall wird sorgfältig geprüft und dann über das angemessene Vorgehen entschieden. Genauso kommt es bei der Frage nach den juristischen Kosten auf den Einzelfall an. Hierbei ist der BR als öffentlich-rechtliche Einrichtung zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den ihm anvertrauten Beitragsgeldern verpflichtet.“ Will sagen: Wir wollen uns nicht auf Kosten der Haushalte in lange Hasskampagnen verwickeln lassen.
Die Sender (und übrigens auch die Verlagshäuser) sind nicht auf derartige juristische Projekte eingestellt. Sie beschäftigen höchstens eine Handvoll juristisches Personal für Fragen rund ums tägliche Programm. Aber rechte Hetzmobs werden in absehbarer Zeit nicht verschwinden. Treffen kann es jede*n – im besonderen Maße übrigens Frauen und People of Color, also diejenigen, deren Stimme wir eigentlich öfter im Journalismus hören wollen.
Wer also sollte künftig die Kosten derartiger Folgeerscheinungen journalistischer Arbeit tragen? Da gibt es drei Möglichkeiten: die Betroffenen selbst; die Journalist*innenverbände, die von den Beiträgen ihrer Mitglieder leben; oder die beitragsfinanzierten Sender, und damit die Allgemeinheit.
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