piwik no script img

Rechte Anschlagsserie in Berlin-NeuköllnEndlich beginnt die Aufklärung

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Der Neukölln-Untersuchungsausschuss nimmt die Arbeit auf, der Prozess gegen zwei Hauptverdächtige beginnt. Ist das nur Zufall?

Auch der Mord an Burak Bektas 2012 in Neukölln ist bisher nicht aufgeklärt Foto: dpa

M anche Zufälle lassen daran zweifeln, dass es sich um Zufälle handelt, erst recht, wenn es um die Aufklärung einer rechten Anschlagsserie geht, in diesem Fall im Berliner Bezirk Neukölln. Am Donnerstag hat der entsprechende Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses die Arbeit aufgenommen; er soll unter anderem klären, warum die Ermittlungen jahrelang nicht von der Stelle gekommen sind, obwohl die Namen der beiden Hauptverdächtigen allseits bekannt waren. Zwei Tage zuvor wurde bekannt, dass der Prozess gegen die 35 und 39 Jahre alten Männer aus der rechtsextremen Szene im August tatsächlich beginnen soll.

Sebastian T. und Tilo P. müssen sich für die Brandstiftungen an den Autos des Linken-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann verantworten. Die beiden Anschläge gehören zu den bekanntesten und schwerwiegendsten Taten der Terrorserie mit insgesamt rund 70 Vorfällen. Das die Justiz nach vielen vergeblichen Anläufen endlich die Hauptverhandlung eröffnen kann, ist ein großer Erfolg.

Ebenso zäh verlief das Ringen um die Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Bereits in der vergangenen Legislatur hat die Linke dies gefordert; die SPD und ihr damaliger Innensenator Andreas Geisel blockierten. Doch als selbst ihre Sonderermittler zu keinen neuen Erkenntnissen gelangten, lenkte sie ein. Zuletzt hatte die Wahl des AfD-Mitglieds im Ausschuss für Kontroversen gesorgt: Das Gesetz schreibt die Teilnahme aller Fraktionen vor; im Abgeordnetenhaus war der Abgeordnete der extrem rechten Partei zwei Mal durchgefallen – Teile der Berliner AfD sind nach bisherigen Erkenntnissen in die Anschlagsserie verwickelt.

Bremst der Prozess gegen Sebastian T. und Tilo P. die Arbeit des lang erwarteten Untersuchungsausschusses jetzt aus, etwa weil Erkenntnisse über rechte Netzwerke bis in staatliche Institutionen hinein vor Gericht von Zeugen öffentlich geäußert werden, während der Untersuchungsausschuss zumindest teilweise hinter verschlossenen Türen tagt? Ja und nein.

Die Arbeit des Ausschusses wird aufwändig und kleinteilig, mehr als 60 Fragen sollen geklärt werden. Und andere Ausschüsse dieser Art etwa zum BER und zum Anschlag auf den Breitscheidplatz haben gezeigt, dass die Mitglieder sich bisweilen in Details verlieren und die öffentliche Aufmerksamkeit schnell nachlassen kann. Da wirkt ein Prozess gegen zwei Angeklagte, die zugleich sehr wahrscheinlich zentrale Rollen in der Terrorserie gespielt haben, viel zielgerichteter.

Aber auch das Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten dürfte sich ziehen. Zwar sind bisher ab 29. August lediglich zehn Verhandlungstage anberaumt, es sollen aber 90 Zeu­g*in­nen geladen werden. Und die in solchen Verfahren übliche Verzögerungstaktik der Anwälte dürfte den Prozess gehörig in die Länge ziehen. Eine schnelle, umfassende Aufklärung der Anschlagserie ist auch hier nicht zu erwarten.

So bleibt als Nachricht dieser Woche, dass die Aufklärung in dieser für die Berliner Sicherheitsbehörden mehr als peinliche Serie rechter Straftaten endlich beginnt – und dass diese Aufklärung endlich auch von mehreren Seiten vorangetrieben wird. Dass beide Meldungen innerhalb von nur zwei Tagen kamen, muss nicht verwundern: Der Prozessauftakt hatte sich lange abgezeichnet.

Bei anderen Zufällen, die sich durch die Ermittlungen vor Gericht und im Abgeordnetenhaus ergeben, darf man skeptischer sein, ob es auch wirklich Zufälle sind.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!