RebellComedy über Racial Profiling: „Comedy entsteht aus Schmerz“

Die Mitglieder der Gruppe RebellComedy haben unterschiedliche Backgrounds. Deutsche können von ihnen was lernen.

Die Gruppe RebellComedy posiert für ein Foto

Benaissa Lamroubal (M.) und andere Mitglieder der Gruppe RebellComedy Foto: Imago/Horst Galuschka

taz.am wochenende: Herr Lamroubal, seit der letzten Silvesternacht regen sich viele über den Begriff „Nafri“ auf. Am 1. Januar hat Ihre Gruppe RebellComedy das Video „Du bist mein Visum“ rausgebracht. Da tanzt nachts ein Mann im Michael-Jackson-Look eine Frau an, bedrängt sie und singt „Du bist mein Visum“. Was haben Sie sich denn dabei gedacht?

Benaissa Lamroubal: Die Message ist: Michael Jackson hätte auch Nordafrikaner sein können, die Locken, der Teint. Und dann ist er auch noch einer, der nachts Frauen antanzt – also zumindest in seinem Video „You make me feel“. Keiner hat sich darüber aufgeregt, dass im Video zig Leute im Ghetto nachts einer Frau nachjagen. Also wenn man das heute noch mal sieht mit diesem Silvestergedanken im Hinterkopf, dann kann man nur denken: Michael Jackson muss Nordafrikaner gewesen sein.

In wenigen Tagen hatte das Video über eine halbe Million Klicks. Haben Sie mit so einem Erfolg gerechnet?

Nein, überhaupt nicht. Es sollte sich einerseits an diejenigen richten, die glauben, dass man Nordafrikaner profilen könnte. Aber es war auch ein Insider für alle, die das Thema Scheinehe kennen.

Scheinehe?

Marokkaner haben hier in der Regel keinen Anspruch auf Asyl. Die meisten Marokkaner, die hier leben, sind in den siebziger Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen – so wie mein Vater. Aber ein großer Teil kam auch über Scheinehen. Deutsche Frauen sind also der ausschlaggebende Punkt dafür, dass sie jetzt hier sind. In Marokko ist allgemein bekannt, dass sich deutsche Frauen gegen Geld für eine Scheinehe anbieten. Darauf wollten wir in unserem Video „Du bist mein Visum“ aufmerksam machen.

Aber die Frau in ihrem Video ist ja nicht irgendeine Frau, sondern Frauke Petry. Es geht um sexuelle Belästigung, Flüchtlinge, Scheinehe und Frauke Petry. Hatten Sie keine Bauchschmerzen, diese ganzen Themen zu mischen?

Nee, das hat uns eher angezogen.

Warum ausgerechnet Frauke Petry?

Die kennt halt jeder und ich hab auch nichts gegen sie, für diese Rolle schien sie einfach perfekt zu sein.

Sie haben nichts gegen die AfD und Frauke Petry?

Frauke Petry ist eine intelligente Frau. Ich würde die AfD nie wählen, aber die Partei kommt grad gut an, die haben richtig Hunger, da könnten andere Parteien mal nachlegen.

Haben Sie eine Reaktion von der AfD bekommen?

(Lacht) Nein, wir kriegen eher Kritik von Leuten, die die AfD wählen. Da merkt man auch, dass diese Leute noch viel dümmer sind als das Parteiprogramm.

Ich hab mal die Kommentare unter dem Video gelesen. Da kriegen Sie von allen Seiten etwas ab, auch von Muslimen … 

Ja, ja, die Extremen aus jeder Gruppe. Wir haben ja auch viele Dumme. Wenn wir eine AfD hätten – also „Ausländer für Deutschland“, dann gäbe es auch viele, die das wählen würden. Im Video heißt es ja zum Beispiel „Für dich esse ich sogar Schweinefleisch“, und dann kommen Kommentare wie „Nein, Schweinefleisch ist haram“ – die verstehen den Humor dahinter überhaupt nicht.

Macht Ihnen das Angst?

Nein, das ist gleich Stoff fürs nächste Comedyprogramm. Es gibt nichts Witzigeres als Menschen, die sich über Witze aufregen.

Hatten Sie keine Bedenken, dass das Video Frauen verletzen könnte, die sexuelle Gewalt erfahren haben, oder Menschen, die tatsächlich ein Visum brauchen?

Nein, wenn ich ein politisches Statement machen müsste, dann hätte ich Berührungsängste. Aber das ist Comedy. Wir fordern ja keine Männer auf, Frauen zu bedrängen. Ich finde, zwischen dem ganzen Sichaufregen kann man ruhig einmal lachen. Das ist Rumalbern, auch wenn es ein politisches Thema ist.

Wie kam es zu dem Video?

Ich hab mich schon früher mit dem Thema Scheinehe auseinandergesetzt, und ein Bühnenprogramm von mir endet mit dem Satz: „Martina, du bist mein Visum.“ Der Satz ist intern zu einem Running Gag geworden, und das Lied von Michael Jackson haben wir immer gehört, und so ist das alles zufällig entstanden.

Aber es war kein Zufall, dass Sie das Video ausgerechnet am 1. Januar veröffentlicht haben.

Nein, das war natürlich geplant. Und wir verstehen es auch als ein Geburtstagsgeschenk an viele Einwanderer. Viele kennen ihr genaues Geburtsdatum nicht, weil das in ihren Heimatländern keine Rolle spielt. Aber auf einem deutschen Amt muss man trotzdem ein Datum angeben. Deshalb haben in der ersten Gastarbeitergeneration viele offiziell am 1. Januar Geburtstag. Mein Vater zum Beispiel auch.

Sie sind ja in Marokko geboren, aber mit einem Jahr nach Deutschland gekommen. Was halten Sie eigentlich von dem Begriff „Nafri“?

Wäre der Begriff in einem anderen Kontext entstanden, hätte ich vielleicht nicht so große Probleme damit. Aber er steht direkt im Zusammenhang mit Silvester 2015 und den Ausschreitungen in Köln. Jetzt werden viele in eine Schublade mit den Straftätern gesteckt, und Racial Profiling wird mit diesem Ereignis gerechtfertigt. Die Polizei behauptet ja, sie wüsste genau, wie ein Nordafrikaner aussieht. Aber die Straftäter hatten sich teils über die Balkanroute eingeschleust und als Syrer ausgegeben. Da hat die Polizei sie nicht als Nordafrikaner erkannt. Viele der Migranten aus Marokko, die schon länger hier sind, sind hier gefestigt und gut integriert. Das Thema „Nafri“ schmeißt uns zurück auf null.

Jetzt mal ehrlich, benutzen Sie das Wort „Nafri“ im Freundeskreis untereinander?

(Lacht) Nee, wirklich nicht. Das ist so wie mit dem Wort „Kanake“. Viele denken, wir benutzen das Wort ständig unter uns. Aber wir benutzen das Wort auf der Bühne, um gesellschaftlich eine Wahrnehmung zu spiegeln. Aber im normalen Sprachgebrauch wäre das für mich wie ein Fremdkörper, ein Störfaktor.

Apropos „Kanaken“: Sie haben in einer Comedyshow mal einen Test vorgestellt, mit dem man entscheiden kann, ob man Deutscher oder „Kanake“ ist. Also alle, die mit einem gültigen Ticket fahren und trotzdem Schiss kriegen bei einer Kontrolle – das sind ganz klar „Kanaken“.

Ja, aber das bezieht sich eigentlich nicht nur auf die Herkunft. Es gibt auch viele deutsche Kanaken.

Was sind denn „deutsche Kanaken“?

Menschen, die in der gleichen sozialen Schicht aufgewachsen sind, in der Unterschicht, dort, wo die meisten Gastarbeiter halt landen, wenn sie in einem Land neu anfangen. Bei uns gab es da auch viele Deutsche, und die ticken genauso, das sind deutsche Kanaken. Umgekehrt gibt es aber auch viele Ausländer, die so gut integriert sind, dass da überhaupt nichts Kanakisches mehr ist. Die sind 100 Prozent deutsch.

Und was sind Sie?

Ich bin beides, eine Koexistenz geht auch. Ich hab auch zwei Pässe. Also ich bin auf dem Papier, aber auch innerlich deutsch und marokkanisch.

Hat dieser „Kanaken-Test“ etwas mit Ihrer Erfahrung mit der Polizei zu tun?

Ja, absolut. Wir haben eine Re­flex­­angst vor der Polizei. Wir sind es gewohnt, kontrolliert zu werden, völlig willkürlich, dass uns die Polizei auf offener Straße die Schuhe auszieht und uns durchsucht. Man kann sich in der Situation auch nicht wehren. Im Nachhinein könnte man sich vielleicht einen Anwalt nehmen. Aber das habe ich nie gemacht.

Und wurden Sie schon oft so kontrolliert?

Locker 50 Mal in meinem Leben.

Das sind vermutlich keine Situationen, über die man lacht.

Nicht in dem Moment, aber im Nachhinein. Ich glaube, Comedy entsteht aus Schmerz. Das Lachen im Nachhinein ist wie ein Signal vom Körper, okay, wir müssen hier etwas reparieren.

Sie wollten eigentlich Grundschullehrer werden. Sie haben angefangen, Deutsch und Englisch auf Lehramt zu studieren, bevor es mit Comedy losging. Bringen Sie denn heute Ihrem Publikum etwas bei?

Ja, gerade Deutsche, die wenig Berührung mit Ausländern oder Menschen mit Migrationshintergrund haben, können bei unseren Shows viel lernen. Wir bringen ja viel Insiderwissen aus verschiedenen Communitys auf die Bühne. Die Come­dians bei RebellComedy haben alle einen unterschiedlichen Background, manche sind als Flüchtlinge gekommen, manche als Gastarbeiter, andere sind hier geboren.

Mir ist aufgefallen, dass Sie oft das Wort „Wir“ benutzen. Mal meinen Sie Ihre Gruppe, mal „Wir Ausländer“, mal „Wir Marrokaner“ – ganz unterschiedlich.

Ja, es kommt auf den Kontext an. Es kann marokkanisch, aber auch deutsch meinen. Mein „Wir“ kann wandern, es teilt nicht endgültig in Wir und Ihr.

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