Reaktionen nach dem Diesel-Urteil: Fahrverbote und blaue Plakette
Erwartet wurde ein wegweisendes Urteil – ein Schlussstrich unter der Debatte ist es aber noch lange nicht. Städte wollen Fahrverbote vermeiden.
„Die von den Herstellern gezahlten Kaufprämien für Neufahrzeuge müssen von den Unternehmen erhöht werden“, verlangen die SPD-Vizefraktionschefs im Bundestag, Sören Bartol, Matthias Miersch und Hubertus Heil. Dies sei nötig, „da sich viele Besitzer älterer Fahrzeuge ansonsten keinen Neuwagen leisten können“, heißt es in einem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Autobauer hatten solche Prämien nach dem Dieselgipfel im Sommer eingeführt.
Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) sieht mit dem Leipziger Urteil die Kommunen nicht zu Fahrverboten gezwungen. Es sollte keinen Wettlauf geben, wer am schnellsten solche Verbote startet, sagte Schmidt am Dienstagabend in einem „Brennpunkt“ der ARD. Es müsse mit einem Mix intelligenter Lösungen gearbeitet werden. Dazu gehörten die Verbesserung des Nahverkehrs, neue Antriebe wie Elektro und Brennstoffzelle sowie Verbesserungen beim Diesel.
Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) betonte, dass trotz des Urteils das politische Ziel weiterbestehe, Fahrverbote zu vermeiden. Falls sie kämen, wären sie „ja auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nur als letztes Mittel gedacht“, sagte sie dem ZDF. Für Anwohner, Handwerker und auch öffentliche Einsatzfahrzeuge wie die Feuerwehr könne es selbstverständlich Ausnahmen geben.
Justizminister Heiko Maas (SPD) forderte in der Rheinischen Post die Konzerne auf, die Finanzierung neuer Abgas-Hardware für die Autofahrer bei neueren Modellen zu übernehmen: „Wir erwarten von der Automobilindustrie, dass sie Euro-5- und Euro-6-Fahrzeuge technisch nachrüstet. Alleinige Software-Updates reichen nicht aus.“
Verkehrsminister Schmidt betonte, Lösungen müssten ökologisch und ökonomisch darstellbar sein. Man sollte nicht in alte Autos investieren, sondern lieber neue Technologien nutzen. Zu einer blauen Plakette für neuere Diesel äußerte sich der CSU-Politiker ablehnend. Es gehe um Probleme in einzelnen Städten, deren Zahl sich ständig reduziere.
„Eine gute Entscheidung“
Unionsfraktionschef Volker Kauder begrüßte das Urteil. Es gebe nun endlich Klarheit und bestätige, was die CDU schon immer gesagt habe, sagte Kauder am Dienstag vor einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. „Dass es keine Fahrverbote flächendeckend gibt, ist eine gute Entscheidung“, sagte der CDU-Politiker. „Wir brauchen jetzt also nicht davon ausgehen, dass die Menschen pauschal von ihrem Dieselfahrzeug getrennt werden.“ Es sei richtig, dass eine blaue Plakette nicht notwendig sei. Die Kommunen seien nun aufgerufen, zu handeln, sagte Kauder. Nun werde man vielleicht auch die Bedeutung neuer Straßen und Ortsumfahrungen in einem neuen Licht sehen. In Stuttgart etwa könne man durch bauliche Maßnahmen „für eine bessere Durchlüftung der Stadt“ sorgen.
Berlin kommt nach Einschätzung von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) auf einigen Straßen kaum an Fahrverboten für Dieselfahrzeuge vorbei. „Fahrverbote sind jetzt zugelassen“, sagte Günther nach dem zuvor verkündeten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. „Damit müssen wir uns auseinandersetzen.“ Berlin habe schon eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um gefährliche Stickoxide zu reduzieren. „Wir werden jetzt auswerten bis Ende des Jahres, wie erfolgreich das sein wird“, bemerkte Günther, die für die Grünen in der Berliner Landesregierung sitzt. Gerade an Hotspots könnten Fahrverbote aber die einzige Maßnahme sein, um die Grenzwerte einzuhalten.
Fraglich ist, wie ein Fahrverbot zu kontrollieren wäre. So ist denkbar, dass Polizisten Autofahrer herauswinken und die Papiere überprüfen. Günther spricht sich dagegen für eine „blaue Plakette“ aus, so wie es sie schon in Grün für Umweltzonen gibt. Kommunen und Umweltschützer wollen eine Plakette als bundesweite Kennzeichnung relativ sauberer Autos. Das lehnt die Bundesregierung bisher ab.
Fahrerbote vermeiden
In Niedersachsen will sich Umweltminister Olaf Lies (SPD) am 19. März mit Vertretern betroffener Kommunen über alternative Möglichkeiten austauschen. Er gehe davon aus, dass es durch das Urteil im Land nicht zu Fahrverboten komme. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte, das Land werde „alles tun“, um die Richtwerte für Stickoxid möglichst ohne Fahrverbote zu erreichen.
Auch Kiel will ein generelles Fahrverbot für Dieselfahrzeuge auf einer stark belasteten Verkehrsachse der Stadt vermeiden. „Meine bisherige Auffassung ist, dass ein weitreichendes Fahrverbot auf dem Theodor-Heuss-Ring die Hauptverkehrsader der Stadt für viele Fahrzeuge abschneiden und zu Verkehrschaos führen würde“, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD). Die Entscheidung fällt aber im schleswig-holsteinischen Umweltministerium, das derzeit einen Luftreinhalteplan erarbeitet.
Umweltminister Robert Habeck (Grüne) will ebenfalls ein Verbot in Kiel vermeiden. „Wir müssen genau prüfen, ob eine Umlenkung der Verkehre an anderen Stellen größeren Schaden nach sich zieht“, sagte er. Zwar wolle niemand ein Fahrverbot, Anwohner müssten aber vor Stickstoffoxiden geschützt werden. „Es kann nicht ausgeschlossen werden – auch unter dem Lichte des Urteils –, dass für diese 200, 300 Meter auf dem Theodor-Heuss-Ring Einschränkungen notwendig sind.“
Der Städte- und Gemeindebund sieht nun auf Städte und Autobauer eine Prozessflut zukommen. „Es besteht nicht nur die Gefahr einer „Mammut-Fahrverbotsbürokratie“, sondern es ist auch eine Prozessflut zu befürchten, mit der sich betroffene Dieselfahrzeug-Besitzer, aber auch Anlieger von Straßen, die dann unter dem Umwegeverkehr leiden, zur Wehr setzen werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Rheinischen Post. Gerade weil das Gericht die Verhältnismäßigkeit und die Fahrverbote als allerletztes Mittel hervorgehoben habe, sei eine solche Entwicklung vorstellbar.
Blaue Plakette einführen
In Hessen stehen bald Entscheidungen an Verwaltungsgerichten in dieser Frage an – etwa am 28. März in Wiesbaden. Das Land gehe davon aus, dass sich die hessischen Gerichte an dem Leipziger Urteilsspruch orientieren und ebenfalls Fahrverbote unter bestimmten Bedingungen verlangen werden, sagte Umweltministerin Priska Hinz (Grüne). Sie forderte, die Bundesregierung müsse endlich eine blaue Plakette einführen. Nur damit könnte ein Fahrverbot auch kontrolliert werden.
Die bayerische Regierung muss bis Ende Mai Diesel-Fahrverbote für bestimmte Straßenabschnitte in München planen – andernfalls droht dort das Verwaltungsgericht mit einem Zwangsgeld. Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) lehnte pauschale Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ab. Sie träfen viele Bürger unverhältnismäßig und könnten den Wirtschaftsstandort Bayern gefährden. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagte dem Bayerischen Rundfunk, im Fall klarer rechtlicher Voraussetzungen würde er die Verbote verhängen: „Es geht um die Gesundheit der Münchner, und die ist für mich das oberste Gut. Und wenn es dafür notwendig ist, dass wir Fahrzeuge aussperren, dann werde ich das soweit umsetzen, wie es erforderlich ist.“
Handwerksvertreter warnen nach dem Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vor den Folgen von möglichen Fahrverboten. „Den meisten Betrieben würde durch ein Fahrverbot die Existenzgrundlage entzogen. Die Folgen wären Unternehmensschließungen und Arbeitsplatzverluste“, sagte der Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf, Andreas Ehlert, dem Handelsblatt. Viele Betriebe hätten Fuhrparks mit Dutzenden Dieselfahrzeugen. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge seien drei, maximal vier Jahre alt. „Diese Betriebe könnten es wirtschaftlich nicht verkraften, wenn sie gezwungen wären, ihre Fahrzeugflotte zu erneuern.“
Der Fahrgastverband Pro Bahn wies darauf hin, dass auch nach dem Urteil die Frage offen bleibe, wie genau mehr Autofahrer zum Umsteigen auf öffentlichen Nahverkehr bewegt werden können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken