Reaktionen auf den Putsch in Mali: Kontraproduktive Sanktionen
Nach dem Putsch in Mali hat Westafrika drakonische Strafen verhängt. Dabei kann die Übergangsregierung sehr wohl Erfolge vorweisen.
D ie jüngere Geschichte Malis lässt sich entlang verschiedener Stränge erzählen. Einer beginnt im Frühsommer 2020. Damals versammelten sich Zehntausende zu Massendemonstrationen in Bamako, mobilisiert von einer Regenbogenkoalition aus linken, zivilgesellschaftlichen und religiösen Kräften. Die Menschen forderten den Rücktritt von Präsident Ibrahim Boubacar Keita. Dieser fiel insbesondere durch Korruption und Vetternwirtschaft auf – zudem zeigte er sich unfähig, gegen die Vielfachkrise im Norden und Zentrum des Landes vorzugehen, nicht zuletzt gegen den dschihadistischen Terror.
Umso größer war der Jubel, als die Armee intervenierte und eine aus Militärs und Zivilist:innen zusammengesetzte Übergangsregierung bildete. Bereits damals betonte die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, dass Putsche unakzeptabel seien. Gleichzeitig war offenkundig, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung den Putsch befürwortete, die Ecowas vereinbarte daher mit ihrem Mitgliedstaat Mali eine 18-monatige Übergangsfrist.
Im Mai 2021 erhielt diese Vereinbarung erste Risse, als es zu einem neuerlichen Putsch kam, der allerdings eher einem internen Stühlerücken glich. Anfang 2022 kollabierten die Beziehungen zur Ecowas vollends. Aufhänger war die Ankündigung der Übergangsregierung, die Wahlen um bis zu 5 Jahre zu verschieben, vornehmlich aus Sicherheitsgründen.
Die Ankündigung ging aus einer Serie „Nationaler Versammlungen“ hervor, bei denen in Hunderten lokalen, regionalen und landesweiten Konferenzen Eckpunkte zum Wiederaufbau Malis diskutiert wurden – unter starker Beteiligung sämtlicher Bevölkerungskreise. Unbeeindruckt davon verhängte die Ecowas drakonische Sanktionen, darunter die Schließung der Grenzen zu Mali, das Einfrieren staatlicher Vermögen und die Beschränkung des Handels auf lebensnotwendige Güter. International wird dieses Vorgehen gutgeheißen, selbst in der taz wurden die Sanktionen am 11. Januar auf der Titelseite als unvermeidbar bezeichnet.
Desaströse Konsequenzen
Wer so argumentiert, verkennt nicht nur die innenpolitische Lage in Mali, auch die fragwürdigen Motive der Ecowas werden verschleiert, ganz zu schweigen von den desaströsen Konsequenzen der Sanktionen. Vor allem die Übergangsregierung muss differenzierter betrachtet werden. Sie ist weder fehlerfrei noch charismatisch, aber ihre Erfolge können sich durchaus sehen lassen – auch jenseits der Nationalen Versammlungen, deren Durchführung eines ihrer zentralen Versprechen war.
Sie verfolgt mit Verve Korruption und Veruntreuung, was bereits mehrere Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft hinter Gitter gebracht hat; sie betreibt eine solide Wirtschaftspolitik, Investitionen genießen Priorität; und sie geht entschieden gegen dschihadistische Gruppierungen vor, mit ersten Erfolgen. Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte deutlich werden, weshalb die Sanktionen hochgradig kontraproduktiv sind: Erstens, weil sie Mali einem ökonomischen Stresstest aussetzen, zusätzlich zur Corona-, Klima- und Sicherheitskrise. Zweitens, weil sie den demokratischen Aufbruch unterminieren.
Es sind vor allem die etablierten politischen Parteien, die die aktuellen Entwicklungen boykottieren, also jene Kräfte, die aus Sicht der Bevölkerung den Karren maßgeblich in den Dreck gefahren haben. Nach hinten verlegte Wahlen bergen auch das Versprechen, dass sich auf Basis politischer und institutioneller Reformen neue politische Gruppierungen in Stellung bringen können.
Drittens, weil sie gesellschaftliche Spannungen zuspitzen, einer der gefährlichsten Risse verläuft mittlerweile zwischen einflussreichen religiösen Führern wie Mahmoud Dicko und Ousmane Madani Haïdara, die sich teils für, teils gegen die Verschiebung der Wahlen aussprechen. Viertens, weil sie die Hinwendung zu islamistischen Kräften begünstigen, aber auch zu Ländern wie Russland, Türkei oder China. So waren es nicht zufällig Russland und China, die im UN-Sicherheitsrat eine ausgerechnet von Frankreich eingebrachte Resolution verhindert haben, mit der die Ecowas-Sanktionen unterstützt werden sollten.
Viele Regierungen treibt die Angst um
Denn die Bevölkerung durchschaut das Spiel der überwiegend prowestlich ausgerichteten Ecowas: Diese maßt sich an, im Interesse der malischen Bevölkerung zu handeln, doch die Ecowas wird überall in Westafrika als Gewerkschaft der politischen Klasse verspottet. Viele Regierungen treibt die Angst um, dass es ähnlich wie in Mali zu Massenprotesten kommen könnte. Denn die generelle Unzufriedenheit ist hoch, vor allem junge Menschen sind von der offiziellen Politik extrem entfremdet.
Will Europa nicht jede Glaubwürdigkeit verlieren, muss es endlich lernen zuzuhören. Putsche sind nichts, was verniedlicht werden sollte. Aber es ist paternalistisch, ja zynisch, davon zu reden, die Demokratie in Mali retten zu wollen, dabei jedoch zu ignorieren, dass eine deutliche Mehrheit der Gesellschaft den aktuellen Weg für richtig befindet. Und was für die Demokratiefrage gilt, trifft auch auf die Friedensfrage zu: Die Malier:innen wissen, dass der Konflikt gegen Dschihadisten nicht mit Waffengewalt zu gewinnen ist, sondern nur durch tiefgreifende sozial-ökologische Transformationen.
Dennoch sind sie auf militärische Unterstützung in puncto Ausbildung und Material angewiesen. Denn wo dschihadistische Kräfte Beinfreiheit genießen, drohen Verhältnisse wie in Somalia, Afghanistan oder zwischenzeitlich Irak. Kurzum: Mali braucht kritisch-solidarische Begleitung, nicht aber Sanktionen.
Dafür muss Deutschland seine Nibelungentreue gegenüber Frankreich endlich aufkündigen. Die ehemalige Kolonialmacht hat sich im Sahel verrannt: Sie agiert selbstherrlich, verfolgt immer wieder eigene Interessen und setzt viel zu stark auf militärische Lösungen. Stattdessen gilt es, die Übergangsregierung zu stärken – bei gleichzeitiger Tuchfühlung mit Zivilgesellschaft und sozialen Basisinitiativen.
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