Reaktionen auf Massaker in Butscha: Druck auf Russland steigt
Westliche Länder reagieren auf das Massaker in der Stadt Butscha. Sie verstärken ihre diplomatische und militärische Unterstützung.
Das verunglückte russische Dementi zu den Massakern in Orten, die unter russischer Besatzung in der Ukraine sind, war Teil einer zunehmenden Konfrontation auf UN-Ebene. Russland hatte am Sonntag, als die Horrorbilder aus Butscha weltweit für Entsetzen sorgten, eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats für Montag beantragt, um über die „Provokationen ukrainischer Radikaler in Butscha“ zu sprechen. Großbritannien, das im laufenden Monat den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates hält, lehnte das ab.
Großbritannien verwies darauf, dass für Dienstag ohnehin eine öffentliche Ratssitzung zur Ukraine angesetzt war, auf der umfassend über die Lage beraten werden sollte, unter Teilnahme von UN-Generalsekretär Antonio Guterres und Ukraines Präsident Wolodimir Selenski. Eine zusätzliche Sitzung einen Tag vorher sei nicht nötig. Das ärgerte Moskau so, dass es kurzfristig sein eigenes Briefing einberief.
Die Massaker von Butscha führen jedenfalls zu verstärktem diplomatischem Druck auf Moskau. Die USA und Großbritannien wollen in der UN-Vollversammlung über eine Suspendierung der Mitgliedschaft Russlands im UN-Menschenrechtsrat abstimmen lassen. Dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig.
Auf der Sitzung am Dienstag bezeichnete Guterres die russische Invasion der Ukraine als eine der größten Herausforderungen für die Weltordnung überhaupt. Selenski forderte eine UN-Reform: Ohne tiefgreifende Reformen müsse sich der Sicherheitsrat womöglich „selbst auflösen“, die UN könnten „dichtgemacht“ werden. Eine Option sei es, „Russland als Aggressor und Kriegsauslöser zu entfernen, damit es nicht länger Entscheidungen über seine eigene Aggression blockieren kann“.
Mehrere europäische Länder wiesen am Montagabend und Dienstag weitere russische Diplomaten aus. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock kündigte die Ausweisung von 40 russischen Diplomaten an, die mutmaßlich geheimdienstlich tätig waren. Frankreich wies 35 russische Diplomaten aus, Italien 30, Spanien 25, Dänemark und Slowenien je 15, Estland 14, Lettland 13 und Schweden 3 – insgesamt in der EU also fast 200 innerhalb von zwei Tagen.
Unterstützung bei Abwehr von Cyberangriffen
Auch eine neuerliche Verstärkung der westlichen militärischen Unterstützung für die Ukraine steht an. Am Mittwoch und Donnerstag wollen die Nato-Staaten nach Angaben von Nato-Chef Jens Stoltenberg über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine diskutieren. Dabei werde es auch um „High-End“-Waffensysteme gehen, „Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrsysteme und andere Ausrüstung“, sagte Stoltenberg. Die Nato wolle zudem zusätzliche Unterstützung bei der Abwehr von Cyberangriffen leisten. Aus den USA wurden am Wochenende und am Montag Drohnen und Stinger-Luftabwehrraketen an die Ukraine geliefert.
In Deutschland wird die Lieferung gebrauchter Schützenpanzer vom Typ Marder in die Ukraine erwogen. Die hat die Bundeswehr ausgemustert und sie sollen verschrottet werden. In den letzten Tagen war international kritisiert worden, dass Deutschland eine ukrainische Bitte abgelehnt habe, sie zu kaufen. In Tschechien sei am Montag ein Güterzug mit mehreren Dutzend Panzern der sowjetischen Bauart T-72 sowie BMP-1-Schützenpanzern zum Transport in die Ukraine abgefertigt worden, berichtete das Nachrichtenportal Echo24.cz am Dienstag.
Russland verschärft im Gegenzug seine Gangart gegen ausländische Organisationen im Land. Der Chef des Duma-Ausschusses zur Bekämpfung der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands, Wassili Piskarjow, erklärte am Dienstag, ein Gesuch gehe an die Generalstaatsanwaltschaft, um die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung und weitere 13 Nichtregierungsorganisationen für „unerwünscht“ erklären lassen. Das kommt in Russland einem Verbot gleich. Piskarjow kündigte zudem ein härteres Vorgehen gegen ausländische Medien an.
Allgemein wird erwartet, dass der russische Rückzug aus dem Norden der Ukraine nur das Vorspiel zu einer erneuten Offensive voraussichtlich im Donbass sein wird. Die aus den Fronten bei Kiew zurückgezogenen Einheiten, die teilweise einen Großteil ihrer Soldaten und Ausrüstung auf dem Schlachtfeld zurückließen, könnten in Belarus reorganisiert und neu aufgestellt werden. Am Dienstag wurde die Ukraine aus Belarus heraus beschossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind