Reaktionen auf Gesetzentwurf zu 219a: Abtreibungen bleiben ein Tabuthema
ÄrztInnen und Opposition lehnen den §219a-Kompromiss ab. Sie kritisieren, dass nach wie vor keine Rechtssicherheit bestehe.
Der Entwurf, der der taz vorliegt, sieht vor, dass ÄrztInnen und Krankenhäuser künftig „ohne Risiko der Strafverfolgung“ darüber informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Weitere Informationen über Abbrüche sollen durch Verlinkung „auf entsprechende Informationen neutraler Stellen“ zugänglich gemacht werden. Dazu soll etwa die Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gehören.
Zudem soll die Bundesärztekammer künftig eine „zentral geführte Liste“ mit ÄrztInnen veröffentlichen, die Abtreibungen durchführen. Dort darf auch über die angewandten Methoden informiert werden, die eine Ärztin oder ein Arzt anbietet: also beispielsweise darüber, ob in einer bestimmten Praxis ein medikamentöser oder operativer Schwangerschaftsabbruch möglich ist. Die Bundesärztekammer soll die Liste monatlich aktualisieren.
Im Eckpunktepapier der Bundesregierung vom Dezember war noch von einer Studie die Rede, um Informationen zu den „seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“ zu gewinnen. Neben der ungeklärten Rechtssicherheit für ÄrztInnen war insbesondere dieser Passus auf heftige Kritik gestoßen. Im nun vorgelegten Gesetzentwurf ist er nicht mehr enthalten. Stattdessen soll die Qualifizierung von ÄrztInnen ausgeweitet werden. Auch soll die Pille für Frauen künftig bis zum 22. Geburtstag kostenfrei verfügbar sein, also zwei Jahre länger als bisher.
„Klitzekleiner Schritt nach vorne“
Die VerhandlerInnen, Bundesjustizministerin Katarina Barley, Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (beide SPD), Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtsminister Helge Braun (beide CDU) zeigten sich zufrieden. Barley sagte, die Koalition stelle sicher, „dass betroffene Frauen in einer persönlichen Notsituation an die Informationen gelangen, die sie benötigen“. Die neue Vorschrift sorge für Rechtssicherheit.
Spahn sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland: „Mit diesem Kompromiss findet die große Koalition einen ausgewogenen Ausgleich.“ Werbung für Abtreibungen werde es auch in Zukunft nicht geben. „Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein medizinischer Eingriff wie jeder andere.“ Zustimmung kam auch vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Die entsprechende Liste werde die Bundesärztekammer natürlich führen.
Die von Strafverfahren betroffenen Ärztinnen hingegen kritisierten den Entwurf. Von einem „klitzekleinen Schritt nach vorne“ sprach die Allgemeinärztin Kristina Hänel, deren Verurteilung im November 2017 die Debatte um den Paragrafen ausgelöst hatte. „Unterm Strich bleibt, dass wir Ärztinnen und Ärzte zu potenziellen Kriminellen gemacht werden, wenn wir unserer ärztlichen Pflicht nachkommen und unsere Patientinnen informieren“, sagte Hänel der taz.
Ihre Webseite bleibe weiter strafbar, Kriminalisierung und Stigmatisierung blieben genauso erhalten wie das generelle Misstrauen gegenüber Frauen. „Deswegen ist das für mich kein akzeptabler Vorschlag.“ Hänel sagte, sie sei weiter bereit, bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen.
Der Entwurf ist das Resultat eines monatelangen Ringens zwischen den Ministerien. Während die SPD den Paragrafen am liebsten gestrichen hätte, wollte die Union unbedingt an ihm festhalten. Das Ergebnis soll schon Mittwoch kommender Woche im Kabinett beschlossen werden. Unklar ist bislang, ob die Bundestagsfraktionen von SPD und Union um des Koalitionsfriedens willen zustimmen werden – oder ob die Diskussion nun auf dieser Ebene weitergeht.
Ein „unwürdiger Eiertanz“
Erste Reaktionen fielen verhalten aus. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder kündigten an, den Kompromiss der Bundesregierung genau zu prüfen. Es müsse sichergestellt sein, dass das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche nicht „durch die Hintertür“ abgeschafft werde, sagte Kramp-Karrenbauer am Dienstag. Söder sagte, wenn der Entwurf nicht den „Vorstellungen der Union“ entspreche, „dann müssen wir halt nochmal drüber reden.“
Immer wieder hatten Unionsabgeordnete es abgelehnt, dass MedizinerInnen, die Abbrüche durchführen, selbst darüber informieren dürfen. Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, schlug am Dienstag einen „klar vorformulierten Textbaustein“ für ÄrztInnen vor, den diese auf ihre Homepage stellen könnten.
Bei der SPD hielt man sich zunächst mit Bewertungen zurück. Der Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs sagte, erst müsse man „noch ein paar Dinge klären und verstehen“. Dazu gehöre etwa die Frage, wie genau der Verweis auf die Methoden zu verstehen sei. Es gebe unterschiedliche Einschätzungen darüber, ob ÄrztInnen diese künftig selbst nennen können oder nicht. Um solche inhaltlichen Aspekte werde es in der Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag gehen.
Von einem „unwürdigen Eiertanz“ sprach hingegen Maria Noichl, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). „Ich kann genau sehen, welche Zeilen in diesem Entwurf mit einem roten und welche mit einem schwarzen Stift geschrieben wurden“, sagte Noichl. Die ASF bleibe bei ihrer Forderung: „219a muss weg.“
Unklar, was erlaubt und was verboten ist
Die Opposition kritisierte das Papier scharf. „Auf den ersten Blick erweckt die Bundesregierung den Eindruck, dass der Entwurf eine Verbesserung ist“, sagte die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring. „Es ist aber eine Verschlechterung.“ Die Rechtssicherheit bestehe lediglich darin, dass nun klar sei, dass jegliche weitergehende Information nicht möglich sei. „Wir brauchen die Abschaffung dieses unsäglichen Paragrafen“, sagte Cornelia Möhring.
Die FDP wertete die Einigung als „Kotau der SPD vor dem Koalitionspartner“: „Die Messlatte für uns war immer, dass die Informationen, die Kristina Hänel auf ihrer Webseite bereithält, nicht mehr strafbar sind“, sagte Fraktionsvize Stephan Thomae der taz. Das sei mit diesem Gesetzentwurf nicht der Fall. Es gebe nach wie vor eine parlamentarische Mehrheit im Bundestag für die Abschaffung des Paragrafen 219a, so Thomae. „Die SPD muss sich jetzt bekennen.“
„Rechtssicherheit schafft man so nicht“, sagte auch Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Was genau künftig erlaubt und was verboten sei, gehe aus dem Entwurf nicht hervor. „Das ist keine gute Lösung – aber die SPD versucht, es als eine zu verkaufen.“
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