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Reaktionen auf Brexit-AbstimmungAlle sehen Großbritannien am Zug

Das Unterhaus hat den Brexit-Deal klar abgelehnt. Die EU und führende europäische Staatschefs und Politiker erwarten nun eine Ansage aus Großbritannien.

Trauriges Pro-Brexit-Schild liegt in London vor den Houses of Parliament Foto: reuters

London/Berlin afp/dpa | Nach der Ablehnung des Brexit-Vertrags im britischen Unterhaus hat die EU Klarheit von Großbritannien über den weiteren Kurs gefordert. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verlangte von London am Dienstagabend dringend, „seine Absichten so bald wie möglich klarzustellen“. Die Zeit dafür sei vor dem geplanten Brexit am 29. März „fast abgelaufen“. Juncker zufolge ist mit dem negativen Votum die Gefahr eines „ungeordneten Austritts“ ohne Abkommen gestiegen.

Das britische Unterhaus hatte den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag zuvor mit 432 zu 202 Stimmen klar abgelehnt. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk forderte von Großbritannien nun eine klare Ansage, wie es weitergehen soll. Wenn ein Abkommen unmöglich sei, niemand aber einen Austritt ohne Vereinbarung wolle, „wer wird dann letztlich den Mut haben zu sagen, was die einzig positive Lösung ist?“, erklärte er auf Twitter.

Die verbleibenden 27 EU-Staaten würden „geeint bleiben“ und wie bisher eine verantwortungsvolle Haltung einnehmen, erklärte ein Sprecher Tusks. Die EU werde sich „auf alle“ Szenarien vorbereiten. Ziel sei es, „den Schaden durch den Brexit zu begrenzen“. Diese Haltung sei mit den Regierungen der 27 verbleibenden EU-Staaten abgestimmt, erklärte Tusks Sprecher.

Juncker betonte, die Kommission und EU-Chefunterhändler Michel Barnier hätten „enorme Zeit und Mühe in die Aushandlung des Austrittsabkommens investiert“. Dabei habe die EU „durchweg Kreativität und Flexibilität“ bewiesen und auch zuletzt zusätzliche Klarstellungen und Zusicherungen angeboten. Der über 17 Monate ausgehandelte Brexit-Vertrag sei „ein fairer Kompromiss und der bestmögliche Deal“. Er sei „der einzige Weg, um einen geordneten Austritt sicherzustellen“.

Die EU nehme die Ablehnung mit Bedauern zur Kenntnis, erklärte Juncker. Sie werde ihrerseits die Ratifizierung des Abkommens weiter fortsetzen

EU will Ratifizierung fortsetzen

Die EU nehme die Ablehnung „mit Bedauern zur Kenntnis“, erklärte Juncker weiter. Sie werde ihrerseits die Ratifizierung des Abkommens weiter fortsetzen. Die Kommission werde gleichzeitig ihre Notfallplanungen weiterverfolgen, damit die EU im Falle eines ungeordneten Austritts ohne Abkommen „vollständig vorbereitet“ sei. „Auch wenn wir nicht wollen, dass es dazu kommt, werden wir darauf vorbereitet sein“, erklärte Tusks Sprecher.

Auch EU-Verhandlungsführer Michel Barnier sagte in Straßburg, er erwarte nun von der britischen Regierung die Aussage, „was der nächste Schritt ist“. Die EU bleibe „entschlossen, einen Deal zu finden“.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht die Briten nach der Ablehnung des Brexitvertrags im Unterhaus unter Druck, sie haben seiner Ansicht nach aber noch Möglichkeiten. Zunächst könnten sie sagen, es gebe keinen Austrittsvertrag, sagte Macron nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP am Dienstagabend. „Das macht allen Angst.“ Die ersten Verlierer dabei seien die Briten selbst.

Bei einer anderen Option könnten die Briten versuchen, die mit den übrigen EU-Partnern erzielten Ergebnisse zu verbessern, um dann erneut abzustimmen. Er vermute, dieser Weg könnte gewählt werden – „ich kenne sie (die Briten) ein wenig.“ Er sei aber nicht sonderlich davon überzeugt, denn beim Brexit-Deal sei man schon zum Äußersten gegangen.

Maas: Wir brauchen eine schnelle Lösung

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) verlangte Klarheit von Großbritannien. Das Land sei jetzt „am Zug“, sagte Maas am Mittwoch im Deutschlandfunk. Die Abgeordneten des Unterhauses hätten nicht klar gemacht, was sie wollen – lediglich, was sie nicht wollen. „Das ist nicht ausreichend“, betonte der Außenminister. Es brauche eine schnelle Lösung. Nachverhandlungen des vorgelegten Vertrags mit der EU sehe er aber er kritisch. „Wir haben einen Kompromiss“, sagte Maas. Beide Seiten seien bereits aufeinander zugegangen. „Wenn man noch mehr hätte anbieten können, hätte man das schon vor Wochen tun müssen.“

Nun müsse erst einmal der Ausgang des Misstrauensvotum gegen Premierministerin Theresa May abgewartet werden sowie ihr neuer Vorschlag für das Parlament. Ein Sturz Mays würde die Lage noch komplizierter machen, sagte Maas. Für Verhandlungen brauche es eine stabile Regierung in London.

Misstrauensvotum am Abend

Theresa May muss sich am Mittwochabend einem von Oppositionschef Jeremy Corbyn eingereichten Misstrauensantrag stellen. Der Antrag hat allerdings wenig Aussichten auf Erfolg. Die verbündete nordirische Partei DUP, die am Dienstag gegen das Brexit-Abkommen gestimmt hatte, kündigte an, am Mittwochabend für die Premierministerin votieren zu wollen. Auch parteiinterne Kritiker wollen beim Misstrauensvotum für die Regierungschefin stimmen. Das konservative Boulevard-Blatt Daily Mail schrieb gleichwohl, Mays Schicksal hänge nur noch an einem „seidenen Faden“. Übersteht May die Abstimmung, will sie bis kommenden Montag einen neuen Plan vorlegen. Sie könnte versuchen, weitere Zugeständnisse von der EU zu erreichen und das Abkommen dann erneut zur Abstimmung stellen.

Der niederländische Premier Mark Rutte zeigte sich enttäuscht über die Ablehnung des Brexit-Deals: „Ich bedauere, aber respektiere das Ergebnis“, schrieb er am Dienstagabend auf Twitter. „Die Niederlande und die EU stehen hinter der jetzigen Vereinbarung, aber wir bereiten uns weiterhin auf alle Szenarien vor.“ Der Rückschlag bedeute noch keine No-Deal-Situation. „Nun ist Großbritannien am Zug.“

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13 Kommentare

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  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...Frage: Beide Parlamente müssen der Vereinbarung zum sog. Brexit zustimmen, wie sieht's eigentlich mit dem EU-Parlament aus, wurde dort darüber schon abgestimmt, oder nicht?

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Steht doch da, die Ratifizierung auf EU-Ebene wird fortgesetzt. Nach anderen Meldungen wird über den Vertrag das EU-Parlamement im Februar abstimmen.

  • Die Frau May ..hat.. das "NEIN" der britischen Wähler nie akzeptiert... und hat ..durch ihre Suche nach Kompromiss... die britische Wählerschaft arg verwirrt, fast die Nation gespalten ! .. und die EU geht sowieso weiter.. Und nun ? .. es möge wieder sowat´ wie "klare Sicht" im Vereinten Königreich eintreffen !



    Das Grundproblem im UK ist die, seit Thatcher und Blair eingerissene neoliberale Zerstörung des einstigen Sozialstaats.. in deren vielfältigen links in die `dumm-neoliberale´EU !



    Zu Hoffen bleibt das die Labour Party mit Jeremy Corbyn, das entstandene "britische Disaster" zu sozial gesunder Politik leiten wird !

  • Es hätte mich wirklich erstaunt, wenn das Abkommen beim ersten Mal zustandegekommen wäre.



    Schließlich müssen ja beide Seiten, gerade aber May beweisen, wie hart sie verhandelt haben.

    Das ist bis jetzt Politikinszenierung.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @rero:

      Da ist wahrlich etwas dran. Zur Inszenierung von Politik und Medien gehört auch der ganze Hype.

      Es wird alles nicht so warm gegessen wie es gekocht wird ... und pünktlich am 01. April erfolgt die Verkündigung einer chinesisch-nordkoreanisch-britischen Wirtschaftsunion.

      Titel: The new empire.

  • Theresa May, Jeremy Corbyn, Briten sind drauf, we Schachspieler, die mit der Zahl der Figuren auf dem Brett nicht klarkommen, auf Strategie der Vereinfachug setzen, jeden Figur, Verlist, sorich Optionen Verlust, behubeln, weol das mehr Übersicht schafft, zur Tagesordnung übergehen, Ausbund an Fairness, siegesgewiss klappert das Gebiss, einer wird siegen, beunden, sie hätten gut gespeist, als ginge sie die Wrklichkeit in der Europa,der Welt nichts an.



    Theresa May, Jeremy Corbyn, Briten nehmen nach Scheitern des Brexit Vertragsvorlage hinhaltende Haltung von Schuldnern ein, die beim London City Spekulationsspiel mit global verbrieften Schuldentitelpaketen wg Verlusten, weiteres Kapital als Sicherheiten nachzuschoeßen genötigt sind, das sie nicht haben, weil deren Sicherheiten alle hinterlegt, verpfändet sind, die aber so tun, als verfügen sie über weitere Sicherheiten, die unterwegs sind, über die die sie aber erst in 20 Jahren verfügen können, wennalles in ihrem Sinne verläuft, was hochspekulativ unsicher ist, diese Fakten aber für sich behalten wollen, weil die, , anderweitig verpfändet sind

    Seit Nine Eleven 2001 ist United Kingdom Seit an Seit mit EU Ländern im Krieg gegen Internationalen Terrorismus, da erscheint mir Brexit als Ausbund an Wurstigkeit an Hans Guck in die Luft, Vogel Strauss Politik, Kopf in den Sand Mentalität in allen EU Ländern zu verleiten, sich nur noch um selber zu drehen, gleichzeitig großmäulig für weltweit mehr Verantwortung durch militärische Stabilisierungsmissionen zu Lasten der Staatshaushalte zu Gunsten bestimmter Branchen, Private Militärpersonalentwickler zu werben, oder Schlimmeres, nämlich Vorsatz, sich der Verantwortung nicht nur für ein Exit Programm aus dem Krieg sondern Verpflichtung gemäß Genfer Flüchtlingskonvention, Europäischen Menschenrechtscharta der Aufnahme von Kriegs- . Krisen- . Katastrophenflüchtlingen aus Afghanistan, Irak, Syrien, Nordafrika zu entziehen, angesichts der asymmetrisch aufgestellten Weltwirtschaft

  • Der Plan, insbesondere Deutschlands, den Briten so viel Steine in den Weg zu legen wie maximal möglich, ist ja irgendwie nicht aufgegangen. Jetzt jaulen deutsche Importeure Über Umsatzrückgang, Logistiker prophezeien lange Staus beim Zoll. Niemand beklagt sich über hunderte Kilometer Staus täglich auf deutschen Autobahnen. Apokalyptiker sehen bei uns hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr. Niemand redet von Nachteilen für ganz normale EU BürgerInnen. Eine ziemlich verlogene Sache die ganze Diskussion um den Brexit.

    Die Briten waren es gewohnt, dass man Ihnen innerhalb der EU so manche Extras zugestand. Und wie kein anderes Volk in Europa gibt es in Teilen der britischen Gesellschaft ein Misstrauen gegen den Hegemon Deutschland, der ganz eindeutig die miese Stimmung in GB gegen die EU beeinflusste.



    Seltsamerweise hat innerhalb der EU der Brexit nicht zum Nachdenken angeregt. Es gibt keine Diskussion darüber, was alles falsch gelaufen ist in der EU und warum in Europa EU kritische Stimmen zunehmen. Das einfach mit "Populismus" vom Tisch zu wischen, wird die Probleme nicht lösen, es wird schlimmer werden in der EU.

    Anhänger des Radikalkapitalismus wie Macron oder Merkel werden die Stimmung nicht verändern. Im Gegenteil. Selbst aus dem Parlament kommen zumindest bei der Bevölkerung keine Vorschläge an, diese extrem wirtschaftspolitisch ausgerichtete EU menschenfreundlicher und demokratischer zu gestalten. Wie Mehltau hat sich über die Bürokratie der Lobbyismus gelegt, der demokratische Entwicklungen verhindert. Mit billigsten Argumenten wie Reisefreiheit sind aber aufgeklärte BürgerInnen nicht zu ködern. Der Brexit ist nur ein Symptom für einen äußerst desolaten Zustand der EU.



    Da frage ich mich: Was sollen die Briten denn jetzt liefern?

    • 8G
      83191 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Ich stimme Ihnen in den allermeisten Punkten zu.



      Lediglich der Gefahr des Verlustes von großen Mengen an Arbeitsplätzen (bzw. Probleme von Importeuren) widersprechen den Analysen von Dt. und Brit. Wirtschafts"experten" deren Argumentation mich überzeugt.

      Hintergrund: Wenn durch zusätzliche Zölle die Brit. Firmen in der EU nicht mehr konkurrenzfähig sind, werden deren Märkte von EU-Firmen erschlossen. Da die brit. Firmen auf ähnlichen oder den gleichen Märkten aktiv sind wie u.a. die Dt. werden also viele dieser Lücken durch Dt. Unternehmen gestopft. Oder ein "notwendiger" Personalabbau aufgrund überkapazitäten (z.B. Automobilzulieferer) auf diese Weise erledigt. Was auch einer der Gründe ist warum wir als BRD im Ganzen wirtschaftlich nicht viel zu verlieren haben. Im Gegenteil !

      Alles Andere jedoch..da stimme ich ihnen zu.

    • 8G
      87233 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Rof, ich denke Sie liegen völlig falsch. Zwischen UK und Deutschland war die Zusammenarbeit innerhalb unbd ausserhalb EU Themen in die letzten 30 Jahren gut und wurde immer besser.

      Die UK haben selber entschieden auszutreten, und Deutschland (oder Frankreich) dafür verantwortlich zu machen geht an die Gründe vorbei.

      Und zu behaupten das keine auf die Auswirkungen hingewiesen hat ist genauso falsch.

      Die Briten haben der Vertrag mit die EU ausgehandelt - es worde nicht vorgegeben.

      Mays grosste Fehler war die DUP soviel Einfluss zu geben und gleichzeitig zu meinen sie könnte die EU "Zusagen" machen dass sie nie vor hat einzuhalten.

      Das Problem liegt in London - nicht in Brussel.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Alte Indianerweisheit: wie bei einer gescheiterten (Liebes)Beziehung ist auch hier nicht allein eine Seite verantwortlich zu machen. Großbritannien mag am Zug sein, aber betreten muss diesen Zug auch die Gegenseite: die EU-Repräsentanten. Regel 1 der Konfliktbearbeitung.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Mama, der Wolfgang hat mir das Sandförmchen abgenommen ...

      Wer es deutlicher braucht: BEIDE Seiten haben dazu beigetragen, dass der Karren im Dreck steckt. Ich mag nicht darüber orakeln, wessen Beitrag GRÖSSER ist. Das sollen Historiker späterer Generationen tun.

      Mich nervt es, wenn erwachsene Menschen im Konfliktfall keine einvernehmliche Lösung hinbekommen.Und ständig nur über die - tatsächlichen oder vermeintlichen - Fehler des Anderen JAMMERN.

      Dabei ist eines so gewiss wie das Amen in der Kirche: ohne Bereitschaft zum Kompromiss wird NIE eine Lösung gefunden.

    • 8G
      87233 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Na ja, die Briten haben die Scheidung eingereicht - nicht die EU.



      Und die EU hat der Vertrag die vereinbart worden ist abgestimmt. Wie kann es jetzt noch an die EU liegen?

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Naja, die warten ja nur drauf. Aber wenn sich im Unterhaus kein für beide Seiten tragbares Abkommen durchsetzen lässt, dann ist das halt so.