Reaktionen auf Auschwitz-Schild-Diebstahl: Weltweites Entsetzen
Die Schild-Diebe von Auschwitz wurden gefasst, das Schild ist wieder da. Der Diebstahl wurde in Polen breit diskutiert – auf den Titelseiten der Zeitungen und am Küchentisch.
Nach nur drei Tagen und einer Großfahndung fanden polnische Polizisten den am Freitag gestohlenen Schriftzug in einem Wald in Nordpolen wieder. Allerdings hatten die Täter, die kein geeignetes Versteck für den vier Meter langen Schriftzug finden konnten, ihn in drei Teile zerlegt. Die aus Eisen geschmiedeten Wörter "Arbeit macht frei" versteckten sie unter einem Haufen von Schnee und Zweigen, ohne zu bemerken, dass sie dabei beobachtet wurden. "Bei den fünf Verdächtigen handelt es sich um keine Neonazis", erklärte Andrzej Rokita, der Chef der Krakauer Polizei, gestern. "Ein politisches Motiv können wir ausschließen. Alle fünf Männer sind wegen Raub und Diebstahl vorbestraft."
Wer der Polizei den entscheidenden Tipp gegeben hat, ist nicht bekannt. Nachdem die Gedenkstätte Auschwitz und andere Spender eine Belohnung von knapp 30.000 Euro ausgesetzt hatten, gingen über hundert Hinweise bei der Polizei ein. In der Gedenkstätte selbst wurde das Sicherheitssystem einer strengen Kontrolle unterworfen. Denn die Täter, die am Freitag zwischen drei und fünf Uhr früh den Schriftzug über dem Haupttor zum ehemaligen KZ abmontierten, kannten das System.
So wussten sie nicht nur, wann die Wachleute bei ihren Kontrollgängen am Eingangstor vorbeikamen, sondern auch, dass die Kameras nachts nur undeutliche Bilder lieferten. Sie wussten auch, dass diejenige Kamera, die auf das Haupttor gerichtet ist, die Bilder gar nicht aufzeichnete und daher für die Fahndung der Polizei unnütz sein würden.
Der Diebstahl löste in Polen einen Schock aus. "Das Symbol der Schoah wurde gestohlen", titelte Polens bedeutendste Tageszeitung, die Gazeta Wyborcza. "Schande!", empörte sich das Boulevardblatt Fakt: "Sie beklauten das Lager in Auschwitz". Doch auch privat diskutieren die Polen immer wieder über den Diebstahl. "Das hat mich wie ein Schlag getroffen", bekennt Andrzej Kapys, ein Linguistikstudent in Warschau. "Dass Diebe in Polen nicht einmal haltmachen vor so einem Symbol! Dass sie in ein KZ einbrechen und den Opfern ihre Erinnerung stehlen!"
Beata Lapicka, eine Kommilitonin von Andrzej, nickt: "Ich schäme mich furchtbar. Dass Polen so etwas tun können! Das ist einfach unfassbar." Zwar stört es die beiden Studenten auch, dass sich durch den Diebstahl das Negativ-Stereotyp über Polen im Ausland wahrscheinlich verfestigt, doch ist das für sie eher zweitrangig. Wichtiger sei, dass die Täter begriffen, was sie getan hätten. "Man kann nur hoffen, dass die Diebe nicht einfach nur ins Gefängnis geworfen werden", meint der 27-jährige Andrzej. "Sie sollten ihre Tat wiedergutmachen. Vielleicht indem sie eine Arbeit in der Gedenkstätte übernehmen. Sie müssen lernen, sich in andere Menschen hineinzufühlen." Beata nickt zwar, ist aber skeptisch: "Wenn es dafür nicht längst schon zu spät ist!"
Noch dauern die Ermittlungen an. Unklar sind nach wie vor die Motive der fünf Täter aus Pommern und Kujawien. Handelte es sich um einen Auftragsdiebstahl? Steht hinter der Diebesbande ein reicher und "verrückter" Sammler, wie Polens Presse spekuliert. Oder wollten die fünf Männer im Alter von 25 bis 39 Jahren den Schriftzug in Einzelteilen an Neonazis verkaufen?
Auch zum Tathergang sind noch etliche Fragen offen. Nachdem mindestens drei von ihnen den Schriftzug am Freitag auf der einen Seite abmontiert und auf der anderen Seite aus der Verankerung gerissen hatten, schleppten sie ihn noch einen Kilometer an den früheren Baracken vorbei bis zu einem Loch im Stacheldrahtzaun und der äußeren Betonmauer. Dort wartete ein Lieferwagen mit den Komplizen. Unklar ist, woher die Täter wussten, welchen Weg sie gehen mussten, um nicht von den Kameras aufgenommen zu werden. Unklar ist auch, ob die Löcher schon vorher da waren oder sie in der Nacht mit Werkzeug zugange waren.
Auch in Israel hatte der Diebstahl des Schriftzuges über dem Haupttor von Auschwitz Empörung ausgelöst. Denn die Aufschrift, die zuerst im KZ Dachau angebracht wurde, gilt als Symbol für die Gräueltaten und Millionen Opfer der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Auch über den Toreinfahrten der KZs Sachsenhausen, Groß-Rosen und Theresienstadt prangt der berüchtigte Schriftzug.
In Auschwitz allerdings ging während des Krieges kaum ein Jude durch das Tor hindurch, da die Züge mit den Transporten direkt ins drei Kilometer entfernte Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau fuhren. Dort fand die Selektion direkt an der Rampe statt. Das eiserne Tor, durch das die Züge ins Todeslager fuhren, trug keine Aufschrift. Für die Überlebenden und ihre Nachkommen aber ist das Haupttor mit seinem zynischen Schriftzug "Arbeit macht frei" am wichtigsten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett