Reaktion der EU auf Johnsons Brief: Abwarten, auf alles gefasst
Die EU schaltet beim Brexit-Abkommen in den „Wait and see“-Modus. Kann ja sein, dass der Deal doch noch durchkommt.
Und so waren die 27 EU-Botschafter ziemlich ratlos, als sie sich am Sonntag in Brüssel zu einer Krisensitzung trafen. Statt über ein „Yes“ oder ein „No“ mussten sie über einen nicht unterschriebenen Antrag auf Verlängerung diskutieren – und über einen Begleitbrief von Premier Boris Johnson, in dem dieser von einer Verzögerung abrät.
„Eine weitere Verlängerung würde den Interessen des Vereinigten Königreichs und der EU schaden, und unsere Beziehungen beschädigen“, schrieb Johnson dem „lieben Donald“, womit EU-Ratspräsident Donald Tusk gemeint ist. „Wir müssen diesen Prozess zu einem Ende bringen.“ De facto distanzierte sich Johnson damit vom Verlängerungs-Antrag, zu dem ihn das Unterhaus per Gesetz verpflichtet hatte.
Doch die Botschafter hielten sich nicht lange mit Johnsons handsigniertem Brief auf. Man habe das Schreiben „zur Kenntnis genommen“, sagte ein EU-Diplomat – ebenso wie den Antrag auf Verlängerung. Offenbar hatte niemand Lust, Johnsons Doppelbotschaft zu diskutieren. Am Ende reichten die Botschafter lediglich den Brexit-Deal zur Ratifizierung an das Europaparlament weiter – für alle Fälle.
Besonders eilig haben sie es nicht
Es sei ja nicht ausgeschlossen, dass das Unterhaus den Deal doch noch rechtzeitig vor dem 31. Oktober billige, so die Begründung. In diesem Fall könnte der Schwarze Peter beim Europaparlament hängen bleiben, das auf EU-Seite für die Ratifizierung zuständig ist. Die Europaabgeordneten wollen am Montag über das weitere Vorgehen beraten, besonders eilig haben sie es nicht.
Das gilt auch für die Staats- und Regierungschefs – auch sie wollen sich Zeit lassen. Ratspräsident Tusk werde die Mitgliedstaaten „in den nächsten Tagen“ konsultieren, sagte EU-Verhandlungsführer Michel Barnier nach dem Treffen mit den Botschaftern. Dabei würden „weitere Entwicklungen auf der britischen Seite“ einbezogen.
Damit schaltet die EU wieder in den „Wait and see“-Modus – wie so oft im Brexit-Streit. Die entscheidende Frage, ob eine Verlängerung gewährt wird und für wie lange, bleibt unbeantwortet. Sie könnte erst auf einem Sondergipfel kurz vor dem 31. Oktober geklärt werden. Dabei droht Streit, denn schon beim Gipfel letzte Woche lagen die Positionen weit auseinander.
Merkel soll eine Verlängerung als unausweichlich bezeichnet haben, um einen „No Deal“ zu verhindern. Demgegenüber betonte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron am Sonntag, dass eine Verzögerung „in niemandes Interesse“ sei. Macron hat es eilig, den Brexit hinter sich zu bringen, Merkel spielt auf Zeit – die Ungewissheit bleibt, trotz des neuen Deals.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte