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Reaktion auf WeltlageAus dem Boomer-Komfort-Schlafwagen in den Fatalismus-Express

Wie kann man mit Putin, Trump und AfD noch zuversichtlich sein?

Die aktuelle Weltlage macht unzufrieden, unglücklich, bestürzt fatalistisch und manchmal gelingt das Verdrängen Foto: Adrienne Bresnahan/getty images

A ls Superboomer habe ich eine historisch einmalige Infrastruktur für mein Leben. Jedenfalls bisher gehabt. Der Ami schützte uns, der Russe lieferte die billige Energie, der Chinese kaufte unsere Autos, die EU brachte Europa zusammen. Und die abwechselnd oder zusammen von CDU und SPD praktizierte Sozialdemokratie auf Grundlage fossiler Verbrennung stellte Straßen, Schulen, Unis, Renten, Gesundheitssystem und mehr sehr ordentlich zur Verfügung.

Das war mir aber überhaupt nicht klar. Das nahm unsereins als selbstverständlich und kritisierte immer nur, was alles schlimm sei. Was man ja so sehen kann, nur sahen wir halt nie, dass wir dem Höhepunkt der liberal-emanzipatorischen Entwicklung entgegen schimpften.

Nun sind diese Zeiten vorbei, Rechtspopulisten wollen Gesellschaften zerbrechen, Demokratie und Freiheit einschränken und Wahrheit abschaffen. Aber Freiheit und Wahrheit gibt es nur in liberalen Demokratien und auch deren planetarische Basis ist die Bewahrung der menschlichen Lebensgrundlagen, weshalb die CO2-Emissionen zügig auf null müssen. Das geht, wenn überhaupt, nur mit allen anderen Arschlöchern und nicht gegen sie.

Dazu muss man jetzt beitragen. Aber was mache ich? Wechsle aus dem Boomer-Komfort-Schlafwagen direkt in den Fatalismus-Express. Jedenfalls manchmal. Dann denke ich: Das klappt doch nie, das wird böse enden. Und das liegt daran, dass „die Leute“ (also die anderen) schwach oder schlimm sind oder beides.

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Scham für Boomer-Larmoyanz

Diese durchaus menschliche, aber letztlich selbstgefällige und unproduktive Haltung, bei der „die da oben“ allenfalls mit „die da drüben“ variiert wird, steht im krassen Gegensatz zu der Zuversicht, die die jüdische Denkerin Hannah Arendt postuliert. Das ist die politische Theoretikerin, mit der Winfried Kretschmann seit fast 15 Jahren Baden-Württemberg „in großer Koalition regiert, jedenfalls laut SZ.

Wie kann es sein, dass unsereins fatalistisch zu werden droht und Arendt Zuversicht in Menschen hat im Angesicht ihrer biografischen Erfahrung des Holocaust? Das fragte ich bei der Vorstellung von Kretschmanns Arendt-Buch „Der Sinn von Politik ist Freiheit“ den Mitdiskutanten Robert Habeck. Er sagte sinngemäß, dass das Grauen so groß gewesen sei, dass man darin nicht verharren konnte. Sondern sich entweder das Leben nehmen wie der jüdische Dichter Paul Celan oder in einer dialektischen Umdrehung im furchtbarsten Abgrund Hoffnung finden. In dem Moment schämte ich mich für meine Boomer-Larmoyanz.

Kretschmann hat ein ganzes Kapitel seiner Zuversicht gewidmet, die, wie so vieles, auf Hannah Arendt gründet. Es geht hier nicht um Larifari-Optimismus, es geht um begründetes Grundvertrauen. Menschen, sagen Arendt/Kretschmann sind als Gleiche geboren, und gleichzeitig sind sie einzigartig. Man muss übrigens nur die eigenen Kinder anschauen, dann sieht man das sofort.

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Menschen sind in der Lage, neue Dinge hinzukriegen und ihre Besonderheit gegenüber anderen Spezies ist, dass sie sich in sehr großen Gruppen organisieren können und gemeinsam handeln, sogar global. Das sieht im Moment zwar nicht so aus, aber sie können es! Und das Mittel dafür ist – na? – Politik.

Weshalb Politik, das ist Arendt/Kretschmanns Kerngedanke, das System ist, aus dem „Wunder“ entstehen können. Wunder sind demnach nichts, was im äußersten Glücksfall von außen daherkommt. Ein Wunder ist das, was Menschen geschehen lassen, weil wir uns mehrheitlich hinter einer Idee versammeln und dafür sorgen, dass politisch in eine bestimmte Richtung gehandelt wird. Man hofft also nicht auf ein Wunder, man macht es.

Ich fürchte, das ist jetzt unser Job.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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