Reaktion auf Raketeneinschlag in Polen: Nato behält die Nerven
Die Ukraine behauptete, Russland habe die tödliche Rakete abgefeuert. Trotz der Anschuldigungen blieben die Nato-Länder ruhig.
Die Nato-Sitzung war kurzfristig einberufen worden. Die Alliierten wurden dabei vom obersten Befehlshaber General Christopher Cavoli und vom polnischen Botschafter Tomasz Szatkowski informiert. Beide wiesen die Hypothese eines gezielten russischen Angriffs zurück. Es fehlten die für eine Attacke üblichen „Charakteristika“, sagte Stoltenberg, ohne auf Details einzugehen. Gemeint sind offenbar Parameter wie Flugbahn, Geschwindigkeit und andere typische Signale einer angreifenden Rakete, die von Abwehrsystemen erkannt werden können.
Der Bündnisfall wurde bei dem Treffen nicht ausgelöst, die Nato ist auch nicht in erhöhter Alarmbereitschaft. Das Bündnis sei auf Vorfälle wie in Polen vorbereitet, betonte Stoltenberg. Der Luftraum werde ständig überwacht, die dafür nötigen Verfahren hätten sich bewährt.
Allerdings konnte Stoltenberg nicht erklären, wieso ukrainische Raketen trotzdem in Polen landeten. Er blieb auch Antworten auf die Frage nach Falschmeldungen aus der Ukraine schuldig, in denen zunächst von „russischen Raketen“ und einem gezielten Angriff die Rede war.
Haarscharf am Weltkrieg vorbei
Falsche Behauptungen im Krieg sind gefährlich, in diesem Fall waren sie besonders gefährlich. Hätte Russland tatsächlich einen gezielten Angriff auf Polen gestartet, so wäre die Nato gezwungen gewesen, den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrags auszurufen. Dies hätte den dritten Weltkrieg auslösen können, zumindest aber eine weitere gefährliche Eskalation des Krieges.
Auch Deutschland wäre dann gefragt gewesen. Allerdings hat sich die Nato korrekt verhalten – und die voreiligen Anschuldigungen aus Kiew nicht übernommen.
Auch Polen hielt sich zurück. Statt auf Artikel 5 berief sich die Regierung in Warschau zunächst auf Artikel 4. Er sieht Konsultationen vor, wenn die Sicherheit eines Nato-Mitglieds bedroht ist. Diese Beratungen sind jedoch unverbindlich, sie ziehen keine Beistandspflicht nach sich.
Artikel 5 des Nato-Vertrags wurde bisher erst einmal ausgelöst – nach den Terror-Anschlägen auf die USA am 11. September 2001. Artikel 4 ist dagegen fast schon Routine. Er wurde schon siebenmal in Anspruch genommen, zuletzt zu Beginn des Ukrainekriegs am 24. Februar – ohne Folgen.
Deutsche Schützenhilfe für Polen
Doch diesmal reicht es wohl nicht einmal dafür. Die bislang gesammelten Beweise deuteten darauf hin, dass „die Auslösung von Artikel 4 dieses Mal vielleicht nicht notwendig sein wird“, sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki in Warschau. Die Krisensitzung der Nato in Brüssel dürfte daher zunächst ohne Folgen bleiben.
Nachbarland Deutschland allerdings hat Polen bereits als „Sofortreaktion“ angeboten, Eurofighter zur Verstärkung bei der Überwachung des Luftraums zu schicken. Und zwar „ab morgen, wenn Polen dies wünscht“, wie ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am Mittwoch in der Bundespressekonferenz erklärte. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wolle dazu noch am selben Tag das Gespräch mit ihrem polnischen Kollegen suchen. Wie viele Eurofighter Deutschland schickt, hänge dann von Polen ab.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits aus Bali vom G20-Gipfel mit Polens Staatspräsident Andrzej Duda telefoniert, um ihm sein Beileid und Mitgefühl auszusprechen. Gleichzeitig bemühte sich Scholz umgehend zu deeskalieren. „Das ist ein schrecklicher Vorfall und es ist notwendig aufzuklären, wie es dazu gekommen ist“, so der Kanzler. Subtext: keine voreiligen Schuldzuweisungen.
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Die Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenski, wonach Russland verantwortlich sei, wollte der Sprecher der Bundesregierung später am Mittwoch in der Bundespressekonferenz nicht weiter kommentieren. Man halte sich zurück, angesichts des massiven Drucks, unter dem die Ukraine stehe. Ohne den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wäre es zu diesem Vorfall nicht gekommen. Russland habe seine Raketenangriffe auf zivile Infrastruktur, wie Elektrizitätswerke und die Wasserversorgung, massiv verstärkt. „Das ist keine akzeptable Form der Kriegsführung“, stellte Scholz klar.
Mitarbeit: Anna Lehmann
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