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Reaktion auf Raketeneinschlag in PolenNato behält die Nerven

Die Ukraine behauptete, Russland habe die tödliche Rakete abgefeuert. Trotz der Anschuldigungen blieben die Nato-Länder ruhig.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch Foto: Olivier Matthys/ap

Brüssel taz | Russland hat Polen nicht angegriffen, ist aber dennoch verantwortlich für den tödlichen Einschlag einer Rakete nahe der Grenze zur Ukraine: Dies sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einem Krisentreffen der Militärallianz am Mittwoch in Brüssel. Es gebe „keinen Hinweis auf einen vorsätzlichen Angriff“, betonte Stoltenberg. Vielmehr deute alles auf einen Unfall mit ukrainischen Abwehrraketen hin. Die Ukrai­ne treffe aber keine Schuld, der Vorfall sei allein auf den russischen Angriffskrieg zurückzuführen.

Die Nato-Sitzung war kurzfristig einberufen worden. Die Alliierten wurden dabei vom obersten Befehlshaber General Christopher Cavoli und vom polnischen Botschafter Tomasz Szatkowski informiert. Beide wiesen die Hypothese eines gezielten russischen Angriffs zurück. Es fehlten die für eine Attacke üblichen „Charakteristika“, sagte Stoltenberg, ohne auf Details einzugehen. Gemeint sind offenbar Parameter wie Flugbahn, Geschwindigkeit und andere typische Signale einer angreifenden Rakete, die von Abwehrsystemen erkannt werden können.

Der Bündnisfall wurde bei dem Treffen nicht ausgelöst, die Nato ist auch nicht in erhöhter Alarmbereitschaft. Das Bündnis sei auf Vorfälle wie in Polen vorbereitet, betonte Stoltenberg. Der Luftraum werde ständig überwacht, die dafür nötigen Verfahren hätten sich bewährt.

Allerdings konnte Stoltenberg nicht erklären, wieso ukrainische Raketen trotzdem in Polen landeten. Er blieb auch Antworten auf die Frage nach Falschmeldungen aus der Ukrai­ne schuldig, in denen zunächst von „russischen Raketen“ und einem gezielten Angriff die Rede war.

Haarscharf am Weltkrieg vorbei

Falsche Behauptungen im Krieg sind gefährlich, in diesem Fall waren sie besonders gefährlich. Hätte Russland tatsächlich einen gezielten Angriff auf Polen gestartet, so wäre die Nato gezwungen gewesen, den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrags auszurufen. Dies hätte den dritten Weltkrieg auslösen können, zumindest aber eine weitere gefährliche Eskalation des Krieges.

Auch Deutschland wäre dann gefragt gewesen. Allerdings hat sich die Nato korrekt verhalten – und die voreiligen Anschuldigungen aus Kiew nicht übernommen.

Auch Polen hielt sich zurück. Statt auf Artikel 5 berief sich die Regierung in Warschau zunächst auf Artikel 4. Er sieht Konsultationen vor, wenn die Sicherheit eines Nato-Mitglieds bedroht ist. Diese Beratungen sind jedoch unverbindlich, sie ziehen keine Beistandspflicht nach sich.

Artikel 5 des Nato-Vertrags wurde bisher erst einmal ausgelöst – nach den Terror-Anschlägen auf die USA am 11. September 2001. Artikel 4 ist dagegen fast schon Routine. Er wurde schon siebenmal in Anspruch genommen, zuletzt zu Beginn des Ukrainekriegs am 24. Februar – ohne Folgen.

Deutsche Schützenhilfe für Polen

Doch diesmal reicht es wohl nicht einmal dafür. Die bislang gesammelten Beweise deuteten darauf hin, dass „die Auslösung von Artikel 4 dieses Mal vielleicht nicht notwendig sein wird“, sagte Regierungschef Mateusz ­Morawiecki in Warschau. Die Krisensitzung der Nato in Brüssel dürfte daher zunächst ohne Folgen bleiben.

Nachbarland Deutschland allerdings hat Polen bereits als „Sofortreaktion“ angeboten, Eurofighter zur Verstärkung bei der Überwachung des Luftraums zu schicken. Und zwar „ab morgen, wenn Polen dies wünscht“, wie ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am Mittwoch in der Bundespressekonferenz erklärte. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wolle dazu noch am selben Tag das Gespräch mit ihrem polnischen Kollegen suchen. Wie viele Eurofighter Deutschland schickt, hänge dann von Polen ab.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits aus Bali vom G20-Gipfel mit Polens Staatspräsident Andrzej Duda telefoniert, um ihm sein Beileid und Mitgefühl auszusprechen. Gleich­zeitig bemühte sich Scholz umgehend zu deeskalieren. „Das ist ein schrecklicher Vorfall und es ist notwendig aufzuklären, wie es dazu gekommen ist“, so der Kanzler. Subtext: keine voreiligen Schuldzuweisungen.

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Die Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenski, wonach Russland verantwortlich sei, wollte der Sprecher der Bundesregierung später am Mittwoch in der Bundespressekonferenz nicht weiter kommentieren. Man halte sich zurück, angesichts des massiven Drucks, unter dem die Ukraine stehe. Ohne den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wäre es zu diesem Vorfall nicht gekommen. Russland habe seine Raketenangriffe auf zivile Infrastruktur, wie Elektrizitätswerke und die ­Wasserversorgung, massiv verstärkt. „Das ist keine akzeptable Form der Kriegsführung“, stellte Scholz klar.

Mitarbeit: Anna Lehmann

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "… wäre die Nato gezwungen gewesen, den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages auszurufen" - ich empfehle, den mal zu lesen, den NATO-Vertrag - ist überschaubar, nicht viel länger als dieser Artikel hier.

    Dann würde zB klar, daß der Bündnisfall nach Art 5 nicht ausgerufen wird, sondern eintritt. Aber auch (ad "… Dies hätte den dritten Weltkrieg auslösen können …") daß damit keine unausweichlichen Automatismen verbunden wären: Da steht "… die Maßnahmen, … die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten" und nicht "totaler Krieg".

    Bei einer absichtlichen aber begrenzten Provokation zB würde zwar Art 5 eintreten, die NATO-Länder könnten aber zB zu dem Schluß kommen, daß es der Sicherheit des Bündnisgebiets am zuträglichsten ist, eine diplomatische Beschwerdenote zu übergeben.

    Bitte den Alarmismus bischen zügeln!

    • @O-Weh:

      "Bei einer absichtlichen aber begrenzten Provokation"

      Und nachgewiesenen, da liegt der Haken. Dass die Untersuchungsmechanismen einigermaßen funktionieren, zeigt der aktuelle Vorfall.

    • @O-Weh:

      Da stimme ich Ihnen zu … wenn die NATO, allen voran Polen als betroffener Staat, jetzt besonnen auf diesen Vorfall reagiert, können wir hier das wohl auch so halten. Keinen Fußbreit den Provokateuren, würde ich sagen.

  • Was sagt uns das?



    Man/frau sollte nicht alles glauben, was Kiew so alles verkündet.

    • @Genderer:

      Tut im Zweifel auch niemand. "Der Nebel des Krieges" ist eine ganz bewusst neutral formulierte Bezeichnung für die generelle Tendenz, Kriegsberichterstattung taktisch zu gestalten und nicht unbedingt wahrheitsgemäß. Dass es ihn auch im Ukraine-Konflikt gibt, bezweifeln wahrscheinlich nur ein paar ganz wenige Ausnahmefälle.

      Das gesagt, kann man also davon ausgehen, dass auch Kiew lügt, wenn es ihm taktisch in den Kram passt. Aber man kann AUCH erkennen, dass das weit seltener der Fall ist als man das bei Moskau unterstellen kann: Kiew braucht möglichst viel Vertrauen im Rest der Welt, während sich Putin in eine so verfahrene infomationspoltitische Position manövriert hat, dass man als Außenstehender damit rechnen MUSS, dass er lügt, wann immer er den Mund aufmacht.

  • Also ich traue niemanden, weder Putin noch den Vertretern der Ukraine.

    • @lutz thomas:

      Sehr vernünftig.

    • @lutz thomas:

      Na, wem trauen Sie dann? Ich empfehle beispielsweise die Lektüre des Tagesschau-Interviews mit dem Militärexperten Gustav Gressel:



      www.tagesschau.de/...ine-polen-101.html



      So Allgemeinplätze wie “die lügen doch alle” oder “in diesem Krieg haben alle Dreck am Stecken” spielen letztlich nur den Putinschen Propaganda in die Hände. Es spiegelt eine “Neutralität” vor, die unter Umständen geboten sein kann, aber nicht in diesem Fall, in dem derart deutlich ist, wer der Täter, wer das Opfer ist.



      Aber das wollten Sie mit Ihrem Statement hoffentlich nicht zum Ausdruck bringen.