Razzia gegen Internethetzer: Der große Gegenschlag
Mehr als 60 Hausdurchsuchungen bundesweit: Die Bundesregierung will die Prävention gegen Extremismus ausbauen.
Die Razzien am Mittwoch waren ein Novum. Erstmalig hatte das Bundeskriminalamt (BKA) einen bundesweiten „Einsatztag“ gegen Hasspostings ausgerufen. Smartphones, Laptops und PCs beschlagnahmten die Beamten. „Wir müssen einer Verrohung der Sprache Einhalt gebieten und strafbare Inhalte konsequent verfolgen“, sagte BKA-Präsident Holger Münch.
Im Visier der Ermittler stand vor allem eine Facebookgruppe namens „Großdeutschland“. Mitschreiben durfte nur, wer von einem Mitglied aufgenommen wurde. Moderatoren waren zwei Bayern, 42 und 37 Jahre alt.
Gleich 36 der Beschuldigten tummelten sich in der Gruppe, die inzwischen gelöscht ist. Die meisten waren den Ermittlern politisch nicht bekannt. „Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude“, schrieb ein Nutzer. Gewaltfantasien gegen Flüchtlinge wurden gepostet, Politiker wüst beschimpft, Hakenkreuzbilder veröffentlicht.
Zahllose Straftaten
Die Staatsanwaltschaft Kempten ermittelt nun wegen Volksverhetzung. Das sei auch in einer geschlossenen Gruppe möglich. Die Gruppe habe mehrere hundert Teilnehmer gehabt, eine Öffentlichkeit sei damit gegeben, sagte ein Sprecher.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) begrüßte den Ermittlungsschlag. „Es gibt keine rechtsfreien Räume in unserem Land. Das Strafrecht gilt auch im Internet.“ Justizminister Heiko Maas (SPD) sekundierte: „Das entschlossene Vorgehen der Ermittlungsbehörden sollte jedem zu denken geben, bevor er bei Facebook in die Tasten haut.“
Die Zahlen von Hasspostings im Internet waren zuletzt stark gestiegen. 3.084 Straftaten notierten die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr – fast dreimal so viele wie im Jahr zuvor. Die Zahl ungeahndeter Hetze liegt noch weit höher.
Maas rief Ende des vergangenen Jahres eigens eine „Taskforce gegen Hassbotschaften“ ins Leben, an der sich auch Facebook und Google beteiligen und zur schnellen Löschung von Hetzbeiträgen verpflichten. Zivilgesellschaftliche Initiativen wie die Amadeu Antonio Stiftung beraten die Unternehmen. Gerichte verhängten zuletzt empfindliche Strafen.
Gemeinsame Präventionsstrategie
Die Gewalt war zuletzt auch außerhalb des Internets gestiegen. Mehr als jeder zweite Rechtsextreme gilt den Behörden inzwischen als gewaltbereit. Anschläge auf Asylunterkünfte stiegen im vergangenen Jahr rapide an. Auch die linke Gewalt wuchs: Um fast zwei Drittel auf 1.600 Taten, viele davon verübt auf Protestaktionen. Und die Zahl radikaler Muslime, der Salafisten, stieg auf ein Hoch von 8.350.
Auch deshalb folgte am Mittwochnachmittag ein zweiter Schlag, diesmal ein präventiver: Thomas de Maizière und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) präsentierten erstmals eine gemeinsame „Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung“. Bereits tätige Initiativen sollen enger vernetzt, Beratungslücken geschlossen werden. „Vieles lief nebeneinander“, sagte de Maizière. „Das wollen wir ändern.“
„Dieses Pack gehört gesteinigt und an die Wand gestellt. Allen voran diese erbärmliche Drecksau OB Jung, dieser Voll-Assi.“1.380 Euro Strafe
„Ich bin dafür, dass wir die Gaskammern wieder öffnen und die ganze Brut da reinstecken.“4.800 Euro Strafe
„So gesehen haben die Juden am Holocaust des 2. Weltkrieges auch selber Schuld. Vor allem die im Warschauer Ghetto ...“5.000 Euro Strafe
„Merkel muss öffentlich gesteinigt werden.“2.000 Euro Strafe(Quelle: Stiftung Warentest)
Vor allem aber gibt es mehr Geld. Schon in diesem Jahr wurde das maßgebliche Programm, „Demokratie leben“, um 10 Millionen auf 50,5 Millionen Euro aufgestockt. Für den kommenden Haushalt ist gar eine Verdoppelung auf 104,5 Millionen Euro vorgesehen.
Bundesweit 700 Träger widmen sich derzeit in Deutschland der Extremismusprävention – laut Schwesig eine europäisch einmalige Zahl. So gehören 218 Städte zum Netzwerk „Partnerschaften für Demokratie“, 750 DemokratietrainerInnen wurden ausgebildet, 104 Modellprojekte initiiert. Sie sollen Jugendliche sensibilisieren, Vereine aufklären oder Szeneausstiege ermöglichen.
Opferberatung soll gestärkt werden
„Die Lage hat sich verschärft“, sagte Schwesig. Vor allem Beratungsstellen von Opfern rechter Gewalt hatten zuletzt geklagt, ihre Arbeit sei nicht mehr zu schaffen. Vor allem viele Flüchtlinge kämen neu in die Beratungen, möglich sei „nur noch eine Minimalversorgung“.
Hier will die Bundesregierung nun Abhilfe schaffen. Die Opferberatungen sollen „gestärkt und erweitert“ werden, heißt es im Regierungskonzept. Gegen Diskriminierung von Flüchtlingen soll „verstärkt“ vorgegangen werden. Zudem sollen ab August Toleranzprojekte bereits für Vorschulkinder starten.
Und noch ein Novum kündigte Schwesig an: Noch in dieser Legislaturperiode will sie ein Gesetz verabschieden, das die Förderung von Engagement gegen Extremismus erstmals auch rechtlich langfristig absichert. „Wir wollen den Initiativen Planungssicherheit bieten, statt sie von Projektitis abhängig zu machen“, so die Ministerin. Ein Gutachten habe bereits grünes Licht gegeben. Schon der erste NSU-Ausschuss im Bundestag hatte ein solches Gesetz gefordert, um Demokratiestrukturen dauerhaft fördern zu können.
Deradikalisierung in Gefängnissen
Im Kampf gegen Islamismus will die Bundesregierung ein flächendeckenderes Netzwerk von Beratungsstellen aufbauen, wie es bereits bei der Antirechtsextremismusarbeit existiert. Verstärkt soll mit Moscheen zusammengearbeitet werden. Neu sollen Deradikalisierungsprojekte in Gefängnissen an den Start gehen – bisher eine Leerstelle. Die Länder bereiten dafür bereits Konzepte vor.
Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung sagte, die Strategie der Bundesregierung sei „außerordentlich zu begrüßen“. Auffällig sei allerdings, „wie wenig sich andere Ministerien engagieren“, etwa das Justiz- oder Landwirtschaftsministerium. Hier herrsche „hoher Weiterentwicklungsbedarf“.
„Viel Neues bietet das Konzept nicht“, sagte Sabine Seyb vom Verband der Opferberatungsstellen. „Neu wäre es etwa gewesen, wenn die Regierung endlich institutionellen Rassismus in den Behörden angehen würde.“
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