Rassistisches Klima in Berlin: Rechte Gewalt nimmt zu
Rechte und antisemitische Gewalttaten in Berlin und Brandenburg sind angewachsen. Beratungsstellen machen den Rechtsruck verantwortlich.
![Zwei Personen halten ein Banner mit Todesopfern rechter Gewalt hoch Zwei Personen halten ein Banner mit Todesopfern rechter Gewalt hoch](https://taz.de/picture/3288980/14/53598357.jpeg)
Die Hälfte der Gewalttaten und schweren Bedrohungen sei rassistisch motiviert gewesen, ebenso gebe es einen deutlichen Anstieg von antisemitischen Gewalttaten von 13 auf 44. Die LGBTIQ*-feindlichen Gewalttaten lägen auf hohen Niveau mit 63 Taten (Vorjahr: 67). Weniger Angriffe habe es auf „politische Gegner*innen“ gegeben – 23 gegenüber 40 in 2017. Zudem seien acht Angriffe auf Obdachlose bekannt geworden.
ReachOut erfasst dabei einen Teil des Dunkelfeldes in dem Deliktbereich. Auch Taten werden registriert, die nicht in der polizeilichen Kriminalstatistik auftauchen, weil sie durch ihre Beratungen etwa auch von Betroffenen erfahren, die keine Anzeige erstatten. Die Polizei sprach von 125 rechtsextremen Gewalttaten in Berlin.
Verantwortlich für den Anstieg sieht Sabine Seyb von ReachOut insbesondere das gesellschaftliche Klima: „Ganz offensichtlich fühlen sich Täter durch rassistische geprägte Diskurse von Politikern rechtspopulistischer, aber auch anderer Parteien ermutigt zuzuschlagen.“ Man beobachtete eine Enttabuisierung von Gewalt gegenüber diskriminierten Bevölkerungsgruppen. Gewaltvorfälle geschehen am häufigsten im Alltag. Tatorte seien überwiegend Bahnhöfe, Bushaltestellen, aber auch Spielplätze. Auffällig sei der Anstieg von Angriffen auf Minderjährige. Auch 2019 habe es bereits 9 davon gegeben.
Entsetzen, Todesangst und Hilflosigkeit
Welche schwerwiegenden Folgen rassistische Gewalterfahrungen für Kinder und Jugendliche haben, beschrieb die Diplom-Psychologin Stephanie Cuff-Schöttle: „Besonders kleine Kinder sind sehr beeindruckt, wenn Erwachsene zu Tätern werden.“ Das gelte auch für Übergriffe auf die Eltern, bei denen Kinder Zeug*innen würden. Nach einem gewalttätigen Angriff litten Minderjährige häufig unter Entsetzen, Todesangst und Hilflosigkeit.
Sie nennt das eine „Nichts-Geht-Mehr-Situation“, die sich auch in traumatischen Folgeerscheinungen manifestieren kann. Kinder würden ängstlich, seien nicht mehr in der Lage sich zu konzentrieren und reagierten mit Rückzug oder Aggressionen. Hinzu kämen Scham und Schuldgefühle nach Übergriffen, weil Erwachsene normalerweise Kindern Orientierung bieten sollten. Auch komme es zu Depressionen und Angststörungen. Die größten Probleme in ihrem Arbeitsbereich seien rassistische Gewalt im Alltag und antisemitisches Mobbing an Schulen.
Helfen dagegen könnten am Besten die engsten Bezugspersonen, sprich: die Eltern. Sie müssten Nähe zum Kind herstellen und das Sicherheitsgefühl erneuern. Unterstützen könnten dies Vereine wie die Kreuzberger Beratungsstelle Kids für Kinder unter acht Jahren sowie Empowerment-Workshops. Wichtig sei, dass Eltern dabei ihre eigenen negativen Erfahrungen mit Diskriminierungen und Traumatisierungen reflektierten. An Schulen wünschte sich Cuff-Schöttle mehr Sensibilisierung sowohl von Lehrer*innen als auch Institutionen.
Auch in Brandenburg, wo die Opferperspektive ebenfalls Zahlen vorstellte, stieg die rechte Gewalt an – auf 174 Übergriffe. Hochburgen von rassistischen Gewalttaten seien Cottbus und die Uckermark, wo der Verein vor der Etablierung von rechten Strukturen warnte.
Noch detailliertere Zahlen stellte das zivilgesellschaftliche Register Berlin vor, das neben Gewalt auch Diskriminierungen und Beleidigungen zählte: 3.405 solcher Vorfälle gab es 2018, ein Anstieg um 22 Prozent. Im Schnitt ereigneten sich in Berlin täglich neun Vorfälle zwischen antisemitischer Morddrohung, rassistischen Pöbeleien und schwerer Gewalt.
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