Rassistische Kontrollen in Hamburg: Berufung wegen Racial Profiling
Die Hamburger Innenbehörde geht gegen ein Urteil wegen rassistischer Kontrollen vor. Der ursprüngliche Kläger erzielt einen Teilerfolg.
H. hatte vier Vorfälle angezeigt, in denen er in seinem Wohnviertel St. Pauli anlasslos von der Polizei kontrolliert worden war – wie es Schwarzen Menschen nahezu jeden Tag auf St. Pauli passiert. Das Gericht befand, dass in zwei der Situationen die Kontrollen rechtswidrig waren. Bei der dritten Situation hatte die Polizei das bereits selbst zugegeben, bei der vierten zog H. die Anzeige zurück.
Der Richter hielt in seinem Urteil fest, dass die Polizei auch an einem so klassifizierten „gefährlichen Ort“ nicht einfach so Passant*innen kontrollieren dürfe, es müssten zumindest gewisse Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr im Zusammenhang mit der kontrollierten Person vorliegen. Weil die Entscheidung mit dieser Begründung über den Einzelfall hinaus weise, große Bedeutung für die Hamburger Polizeipraxis hätte und das Polizeigesetz dementsprechend zukünftig anders, also viel enger, ausgelegt werden müsste, ließ das Gericht eine Berufung überhaupt zu. Dass Polizei und Innenbehörde die Gelegenheit wahrnehmen würden, kam wiederum nicht überraschend. Sie sind nicht gerade für eine aktive Fehlerkultur bekannt.
Die diskriminierende Praxis hat sich nicht verändert
Der Richter eröffnete das Verfahren, ohne den Sachverhalt erneut darzustellen – er ist ja allen Beteiligten bekannt, neue Beweise oder Umstände haben sich in der Zwischenzeit nicht ergeben. H. sagte gegenüber dem Richter, dass sich an der diskriminierenden Praxis noch immer nichts geändert habe. „Immer wieder kommt es vor, dass ich auf dem Weg nach Hause, zum Sport, vom Deutschkurs oder sogar vom Garten zum Haus kontrolliert werde“, sagte er. „Dabei habe ich nichts getan, sondern wohne einfach dort. Wie kann das sein?“, fragte er.
Die Vertreter*innen der Polizei hatten schon in der ersten Instanz argumentiert, H. habe sich vor den Kontrollsituationen auffällig verhalten, als er die Beamten sah, indem er etwa seinen Schritt beschleunigt, sich ängstlich umgeguckt und an seiner Tasche herumgezippelt habe. Außerdem seien er und sein Freund, mit dem er auf dem Rückweg vom Sport und vom Supermarkt war, konspirativ eng aneinander gelaufen.
„Wir haben uns ganz normal unterhalten, während wir nebeneinander her liefen“, sagten dagegen H. und sein Freund Rasmus R. übereinstimmend aus. Dafür, den Schritt zu beschleunigen oder angesichts der Polizisten in Panik zu verfallen, habe es überhaupt keinen Grund gegeben, sagte R. Den Anblick der Polizei sei man auf St. Pauli schließlich gewohnt. H. habe lediglich die Schulter gewechselt, auf der er seine Tasche trug, als ihm die Supermarkteinkäufe und Sportsache auf der einen Seite zu schwer wurden.
Bis Redaktionsschluss war das Oberverwaltungsgericht noch nicht zu einem Urteil gekommen. Am späten Nachmittag erzielte H. aber einen weiteren Teilerfolg: Die Innenbehörde zog die Berufung bezüglich einer Kontrolle im April 2018 zurück. Damit ist jetzt offiziell anerkannt, dass die Kontrolle rechtswidrig war. Verhandelt wurde anschließend noch über die Situation, bei der H. mit R. auf dem Rückweg vom Sport gewesen war. H.s Anwalt, Carsten Gericke, sagte gegenüber der taz: „Ich erwarte, dass die Berufung auch in diesem Fall verworfen wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW