Rassistische Brandstiftung in Solingen: Wenn Beamte das Motiv vertuschen
Die Polizei stufte den Brandanschlag in Solingen von März 2024 erst als „rechtsmotiviert“ ein. Nun kommt heraus: Ein Mitarbeiter löschte den Vermerk.

Am Montag erklärte der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Wuppertal, dass ein Vermerk der Polizei aufgetaucht sei, wonach der Brandanschlag bereits im April 2024 als „rechts“ motivierte Tat eingestuft wurde. Dieses entscheidende Dokument sei dem Gericht bisher nicht bekannt gewesen – es sei erst jetzt in die Akten aufgenommen worden. Brisant dabei: Die ursprüngliche politische Einordnung des Brandanschlags sei nachträglich handschriftlich von einem Beamten gestrichen worden, woraufhin der Vermerk aus der Akte verschwand.
„Für uns ist es ein Skandal, wie dieses Verfahren von den Ermittlungsbehörden bislang geführt wurde und dem Gericht und unseren Mandanten wichtige Informationen und Aktenbestandteile vorenthalten wurden“, erklären die Anwält*innen Seda Başay-Yıldız, Simon Rampp, Athanasios Antonakis, Radoslav Radoslavov und Fatih Zingal. Denn während des Verfahrens kam es schon zu ähnlichen Fällen.
So waren mehr als ein Dutzend NS- und Hitler-Bücher, die bei der Hausdurchsuchung im Wohnhaus des Angeklagten gefunden wurden, den Akten vorenthalten worden. Ermittler*innen meinten, die Bücher seien dem Vater zuzuordnen und hatten sie deswegen als „nicht verfahrensrelevant“ eingestuft. Ein rassistisches Gedicht an der Garagenwand des Angeklagten wurde laut Aussage von Ermittlern im Prozess bei der Hausdurchsuchung übersehen und deshalb nicht gesondert dokumentiert.
Staatsanwaltschaft will nicht ermitteln
Weil Beweismaterial vorenthalten wurde, hatte Başay-Yıldız bereits Anfang April eine Anzeige gegen den Polizeipräsidenten von Wuppertal, Markus Röhrl, sowie ermittelnde Polizeibeamt*innen erstattet. Nach kurzer Zeit lehnte die Staatsanwaltschaft Wuppertal Ermittlungen ab. Es gebe keinen Anfangsverdacht für strafbares Handeln. Auf Fragen der taz zu den Vorgängen hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht geantwortet.
Während des Verfahrens waren auf Druck der Anwältin Başay-Yıldız auch Festplatten ausgewertet worden, die in der Wohnung des Täters gefunden worden waren. Darauf befanden sich 166 NS-verharmlosende und Hitler-Bilder, die bislang der Lebensgefährtin des Angeklagten zugeordnet wurden. Später untersuchte die Anwältin die Festplatten selbst erneut und entdeckte weitere Bilder. Im laufenden Gerichtsverfahren erfolgt nun eine umfangreiche Datenauswertung.
Die Nebenklage fordert nun, sämtliche relevanten Informationen unverzüglich und vollständig dem Gericht und den Opfern zur Verfügung zu stellen. Nur so könne eine umfassende Bewertung der Tatmotive erfolgen. Die bisherige Salamitaktik der Ermittlungsbehörden erwecke den fatalen Eindruck, dass eine vollständige Aufklärung nicht gewollt sei. „Das wird weder den Opfern und ihren Angehörigen gerecht, noch allen Solingerinnen und Solingern, die ein Recht darauf haben, die Hintergründe der Tat wahrheitsgemäß zu erfahren“, heißt es in der Erklärung.
Der Prozess um den Brandanschlag in Solingen wird am 2. Juni am Landgericht Wuppertal fortgesetzt.
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