piwik no script img

Rassistische Ausschreitungen in SpanienRechtes Werk und konservativer Beitrag

In Murcia jagt ein rassistischer Mob Migrantinnen durch einen kleinen Ort. Aufgehetzt von der rechten Vox, aber auch die Konservativen machen mit.

Randalierende und Polizisten im spanischen Torre-Pacheco am 13. Juli Foto: Olmo Blanco/Getty Images

Madrid taz | Torre-Pacheco kommt nicht zur Ruhe. Seit vergangenen Freitag erlebt der 40.000 Einwohner zählende Ort nahe der spanischen Mittelmeerstadt Murcia, gewalttätige Übergriffe auf Immigranten aus Nordafrika und deren Nachfahren. In sozialen Netzwerken wird zur regelrechten Jagd auf Einwanderer aufgerufen.

Fast ein Drittel der Bevölkerung von Torre-Pacheco ist ausländischer Abstammung, etwa doppelt so viele wie im landesweiten Durchschnitt. Viele arbeiten in der Landwirtschaft und gehören zur zweiten oder gar dritten Generation und haben damit längst die spanische Staatsangehörigkeit.

Mehrere durch Schläge und Steinwürfe Verletze und acht Verhaftete lautet die bisherige Bilanz. Neben 75 Beamten der Lokalpolizei hat die Regierung in Madrid mittlerweile mehrere Dutzende Beamte von Sondereinsatzeinheiten der Nationalpolizei in den Ort geschickt.

Wir wollen solche Leute nicht auf unseren Straßen und in unserem Land. Wir werden sie alle abschieben: Keiner wird bleiben

José Ángel Antelo, VOX-Chef von Murcia

Alles begann am vergangenen Mittwoch. Domingo, ein 68-jähriger Bewohner von Torre-Pacheco, wurde von einer Gruppe Jugendlicher verprügelt. Das Foto, das den Mann mit blutverschmiertem und entstelltem Gesicht zeigt, ging schnell viral. Während die Ermittlungsbehörden noch immer untersuchen, wer die Täter sind, war für viele im Ort klar, es können nur Immigranten gewesen sein.

Die sogenannte Einwanderer-Kriminalität

Eine Handvoll marokkanischer Jugendlicher hätten Domingo verprügelt, um das Video davon online zu stellen. Ein 25-sekündiges Video machte die Runde. Es zeigte, wie ein weißhaarigen Mann von jemandem geschlagen wird, der einen ausländischen Akzent hat. Es handle sich um den Überfall auf Domingo, hieß es, obwohl der selbst erklärt hatte, dass das Video nicht ihn zeige.

Viel Polizei, wenig Plan: In Torre-Pacheco werden seit Freitagabend Menschen mit Migrationsgeschichte gejagt Foto: Martín C./Europa Press via ap

Rechtsextreme Jugendbanden – meist von außerhalb – riefen per Messengerdienst Telegram dazu auf, sich einer von der Gemeindeverwaltung für Freitag angesetzten Solidaritätskundgebung mit dem Verprügelten anzuschließen. Es kam zur ersten Nacht mit gewalttätigen Ausschreitungen und Jagd auf Immigranten. Die Polizei war völlig überfordert. Seither wiederholen sich die Gewaltszenen Abend für Abend. Auch ein Polizeiaufgebot, wie ihn der Ort nie gesehen hat, konnte die Lage bisher nicht beruhigen.

Sowohl der Bürgermeister von Torre-Pacheco, Pedro Ángel Roca, als auch der Präsident der Regionalregierung in Murcia, Fernando López Miras – beide von der konservativen Partido Popular (PP) – rufen zu „Ruhe“ und „Besonnenheit“ auf, ohne sich allerdings klar hinter die Einwanderer zu stellen.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Auch PP-Chef Alberto Nuñez Feijóo versucht sich an Ausgewogenheit. Ebenfalls ohne die rechtsextremen Gruppen zu verurteilen, fordert er die spanische Regierung auf, die Polizeikräfte in Torre Pacheco weiter zu verstärken, um „die Spirale der Gewalt sofort zu stoppen“. „Zuerst muss die öffentliche Sicherheit gewährleistet werden und jeder muss rechtlich zur Verantwortung gezogen werden, angefangen bei den Angreifern wehrloser Bürger“, sagte er in einer Nachricht im sozialen Netzwerk X. Feijóos PP regiert in der Region Murcia dank der parlamentarischen Unterstützung der rechtsextremen Partei VOX.

Rechts-rechtes Bündnis führt in Umfragen

Spaniens Innenminister, der parteilose Fernando Grande-Marlaska, sieht „organisierte Banden“ hinter den rassistischen Ausschreitungen. Die Gewalt sei „die Schuld von VOX und ihrem Diskurs“. Anders als die Rechte behauptet, gebe es „keinen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kriminalität“, beteuert der Ex-Richter.

Währenddessen gießt VOX weiter Öl ins Feuer. Der Chef des regionalen Verbands, José Ángel Antelo, nahm am Samstag an einer Veranstaltung mit dem Motto „Wehrt euch gegen Unsicherheit“ teil. Dabei konstruierte er erneut eine Verbindung zwischen Einwanderung und Kriminalität. „Wir wollen solche Leute nicht auf unseren Straßen und in unserem Land. Wir werden sie alle abschieben: Keiner wird bleiben“, erklärte er.

Der landesweite VOX-Parteichef Santiago Abascal geht noch einen Schritt weiter. Er redet davon, dass – sollte er erst einmal in der spanischen Regierung sitzen – acht Millionen Immigranten, auch solche, die mittlerweile den spanischen Pass haben, deportieren lassen werde. Wahlumfragen geben einem Bündnis aus PP und VOX derzeit eine klare Mehrheit.

Eigentlich wählt Spanien erst 2027 ein neues Parlament. Doch die Rechte bereitet sich auf vorgezogenen Neuwahlen vor. Denn die derzeit regierende Linkskoalition unter dem Sozialisten Pedro Sánchez ist durch Korruptionsvorwürfe schwer angeschlagen. Keiner weiß zu sagen, wie lange sie durchhält.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Und, ist es hier anders? Ach ich vergaß, es hat ja, von höchster Stelle bescheinigt, keine Hetzjagden auf Ausländer gegeben.

  • Die PP als Nachfolgepartei der Franquisten und Mutterpartei der politischen Korruption hat mehrfach betont, dass für sie keine Brandmauer gegenüber den Extremisten von Vox besteht. In mehreren Comunidades (ähnlich der Bundesländer) regieren sie zusammen, und Konsequenzen sind jetzt schon absehbar: Wiederkehr politischer Zensur in Kunst und Theater, Einmischung in die Bildung, Bücherverbote in Bibliotheken...fällt die sozialistische Minderheitsregierung unter Pedro Sanchez, fällt mit Spanien eines der wichtigen progressiven Länder innerhalb der EU.

  • Das wird weiter zunehmen, weil die Rechtsextremen auch mit AI generierte Videos erstellen werden.

    • @datensenke:

      Das wird weiter zunehmen, weil Konservative ihre schützende Hand über diesen rechtsextremen Abschaum halten.

  • Der - man kann schon fast sagen, weltweit - zu beobachtende Rechtsruck ist meines Erachtens das Ergebnis der skrupellosen Ausbeutung von Menschen und Ressourcen. Angesichts der Erkenntnis, dass wir viel mehr verbrauchen als uns zur Verfügung steht, beginnt der Run der Vielen auf die Krümel, die von den Tischen einer kleinen privilegierten Minderheit fallen, der es dabei mit erstaunlichem Geschick gelingt, den Zorn der Habenichtse von sich selbst ab- und auf die Schwächsten zu lenken.



    Hinzu kommt ein erhebliches Nord-Süd-Gefälle, was die Verteilung des Reichtums angeht, den wir, die Bewohner des Nordens, mit allen Mitteln zu erhalten suchen.



    Ich fürchte, diese Verteilungskämpfe werden weiter eskalieren, wenn wir nicht bald den Weg zu einer gerechteren und vor allem ressourcenschonenderen Welt einschlagen. Im Moment sieht es leider düster aus, da die vorhandenen Lösungen konsequent ignoriert werden.

  • Na dann werden Obst und Gemüse aus Spanien demnächst sehr teuer, wenn nur noch reinrassige Spanier als Erntehelfer tätig werden dürfen.



    Als mir jetzt ein Kollege der öfter beruflich in Spanien war mitteilte, dass er dort viele Spanier getroffen hat, die rassistisch seien und sich aufgrund der Kolonialgeschichte für ziemlich überlegen halten, wollte ich ihm nicht glauben. Jetzt ahne ich etwas.



    Es ist bei denen nur halb so lange her, dass sie den Faschismus abgelegt haben.

  • Ohne die genauen Begleitumstände zu kennen, fällt es natürlich schwer, eine wirklich fundierte Einschätzung abzugeben.



    Es sollte bedenklich stimmen, wie schnell offenbar einige Gruppen bereit sind, gewalttätige Ausschreitungen zu beginnen. Der Schluss liegt nicht so fern, dass es auch in Spanien eine tiefsitzende Unzufriedenheit mit der Asyl- und Migrationspolitik gibt, aber das rechtfertigt natürlich gar nichts.