Rassismus vor deutscher Heim-EM: Zu Gast bei Hatern
Welches Deutschland wird die Welt nach rassistischen Angriffen auf Moukoko und Ngankam sowie der Pechstein-Rede bei der EM wohl sehen?
D ie Gegenwart ist gruselig. Am Umbau der Gesellschaft arbeiten neben Claudia Pechstein, der neuen Testläuferin auf rechtsaußen von CDU-Chef Friedrich Merz, die Hater auf Social Media, welche die deutschen U21-Fußballnationalspieler Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam wegen verschossener Elfmeter am Donnerstagabend mit Rassismus überzogen.
Also besser zurück ins Jahr 2006? Das ist derzeit nicht nur die sportliche Vision von Bundestrainer Hansi Flick, der trotz krass wachsender Spötterschar nächstes Jahr bei der Heim-EM Euphorie auslösen möchte. So wie es das damals ebenfalls schlecht beleumundete Team von Jürgen Klinsmann bei der Heim-WM gemacht hat. Zurück ins Jahr 2006 wollen auch diejenigen, die die Europameisterschaft 2024 möglichst breit in die deutsche Gesellschaft tragen wollen.
Turnierbotschafterin Célia Šašić sagte gerade, es sei wichtig, sich „als offener Gastgeber – so wie wir sind“ zu repräsentieren. „Wir dürfen auch ruhig ein Stück weit zeigen, wie weltoffen, gastfreundlich, divers und kommunikativ wir hier in Deutschland sind.“
Wer fühlte sich nach diesem Satz nicht an die WM 2006 erinnert, als Deutschland ein überwiegend gutes Bild abgab, von dem die eigene Bevölkerung letztlich noch mehr überrascht schien als die vielen Gäste. Der Eindruck „Wir sind ja gar nicht so, wie wir dachten“ machte sich mit einem gewissen Stolz breit. In der aktuellen Äußerung von Šašić scheint wiederum die Sorge mitzuschwingen, Deutschland könne sich anders zeigen, als man gern gesehen werden möchte.
Worüber Pechstein schweigt
Es lässt sich kaum ignorieren, dass eine Partei, für die Weltoffenheit und Diversität ein Graus ist, derzeit Rekord-Umfragewerte erzielt. Ein Glück, dürften sich die EM-Organisatoren denken, finden die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen erst nach dem Turnier statt.
In dieser Lage hilft es den Vertretern des Sports wenig, sich die Gesellschaft schönzureden. Gerade jetzt ist die Gelegenheit, offensiv die verbindende Kraft des Sports, die Grenzen zwischen Generationen, Religionen, Nationalitäten, Klassen und Andersdenkenden aufheben kann, voranzustellen und gesellschaftliche Impulse zu setzen.
Mit keiner Silbe wurde diese Kraft beim Impulsreferat der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein vergangene Woche beim CDU-Konvent erwähnt. Bei aller berechtigten Aufregung beim Pechstein-Auftritt um das Sichtbare (Bundespolizeiuniform) und das Hörbare (Ausgrenzung von nicht-traditionellen Familien und all denjenigen, die wie abgelehnte Asylbewerber aussehen könnten) lohnt es sich, auf das Nicht-Gesagte zu achten.
Bislang konnte es sich kein Lobbyist des Sports leisten, in einem Grundsatzvortrag dessen Integrationspotential zu verschweigen. Ein naheliegendes Beispiel war meist das diverse Erscheinungsbild deutscher Auswahlteams. Jetzt wird die Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft sogar von einer deutschen Goldmedaillengewinnerin vorangetrieben.
Sie befördert damit ein Klima, in dem es nichts Ungewöhnliches mehr ist, wenn deutsche Fußballprofis wie Moukoko und Ngankam, die vom Erscheinungsbild auch abgelehnte Asylbewerber sein könnten, am Rande des Auftakts der U21-EM mit rassistischen Bemerkungen überschüttet werden.
Es bedarf schon längst einer Debatte über die Werte des Sports, die nicht vom Wunschdenken getragen wird, sondern sich mit der Realität befasst. So hätte eine Claudia Pechstein, die schon 2016 skandalisierte, dass sie ihrem Eindruck nach rechtlich schlechter gestellt sei als Flüchtlinge, niemals zur deutschen Fahnenträgerin bei den Olympischen Winterspielen in Peking ernannt werden dürfen. Was für ein Armutszeugnis für den deutschen Sport.
Auch zu ihren jüngsten Äußerungen hätte man sich Stellungnahmen aus dem Sport gewünscht. EM-Botschafterin Šašić hätte etwa sagen können: „Claudia, du darfst ruhig auch ein Stück weit zeigen, wie weltoffen, gastfreundlich, divers und kommunikativ wir hier in Deutschland sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?