Rassismus in Brasilien: Was Lula nicht sieht
Der Protest schwarzer Frauen in Rio de Janeiro zeigt: Das Land tut viel zu wenig gegen den tiefsitzenden Rassismus in der Gesellschaft.
E inige hundert Schwarze Frauen zogen am Sonntag über die weltbekannte Promenade des Copacabana-Strandes. Mit dem Marsch in Rio de Janeiro wollten sie auf eine alte Wunde aufmerksam machen: den tiefsitzenden Rassismus.
Brasilien präsentiert sich gern als bunte Nation, als Land der Toleranz. Doch das Erbe der brutalen Sklavenzeit strukturiert weiterhin jeden Bereich der Gesellschaft. Schwarze haben eine geringere Lebenserwartung, schlechtere Bildungschancen, verdienen weniger. In den gut bewachten Vierteln der Mittel- und Oberschicht, auch asphalto genannt, leben fast nur Weiße.
Gerade die letzten Jahren waren für die schwarze und indigene Bevölkerung traumatisch. Denn unter der Ägide von Ex-Präsident Jair Bolsonaro erreichte die tödliche Polizeigewalt immer neue Höchstwerte, Neonazigruppen planten Anschläge und Bagger rollten durch Amazonien.
So war bei vielen die Hoffnung groß, als Luiz Inácio „Lula“ da Silva am 1. Januar 2023 zum Präsidenten vereidigt wurde. Und tatsächlich inszeniert sich der Sozialdemokrat als Staatschef aller Brasilianer*innen. Er legte ein ambitioniertes Regierungsprogramm vor, versprach den Regenwald zu retten und den Hunger auszurotten.
In der Lula-Regierung weht ein anderer Wind, es gibt tatsächlich auch einige schwarze Minister*innen und ein neugeschaffenes Indigenen-Ministerium. Um jedoch effektiv den Rassismus zu bekämpfen, muss man an die Wurzeln der Probleme.
Hier liegt die Krux: Für mehr als ein bisschen Sozialkosmetik fehlt es Lula wahrscheinlich an Mehrheiten. Seine Koalition ist fragil, die Rechte stark. Außerdem hat die Linke bereits vor vielen Jahren einen großen Fehler gemacht – sie hat den Sicherheitsdiskurs den Rechten überlassen.
In Regierungsverantwortung setzt sie nun auf alte Rezepte, wichtige Forderungen wie eine Abschaffung der Militärpolizei oder eine Entkriminalisierung von Drogen wurden hingegen der Bündnisfähigkeit geopfert. Das mag den Frieden der Regierungskoalition bewahren, verhindert aber einen nachhaltigen Kampf gegen den Rassismus.
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