Rassismus im Stadion: Zwischen Pest und Corona

Endlich wieder ins Weserstadion und sich mit den anderen Fans über Werders Tore in die Arme fallen! Aber welche Gesänge muss man sich da anhören?

Spieler und Fans im Weserstadion, auf einer Anzeigetafe steht: "Stand with Ukraine"

Nein, diese Menschen können gar keine Rassisten sein Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Nach zwei Jahren Coronapause darf ich endlich wieder ins Weserstadion. Ich nehme meine schicke Pudelmütze, meine FFP2-Maske, meine grün-weiße Fahne und mache mich auf den Weg.

Während ich im Weser-Stadion meinen Platz suche, werde ich von den Fans fast erdrückt. Wegen der zwei Meter großen Gorillas direkt vor mir bekomme ich vom Spiel überhaupt nichts mit. Aber das ist zweitrangig, dabei sein ist alles. Man gönnt sich ja während der Pandemie sonst nichts.

Plötzlich: ein Erdbeben, dass das Stadion erzittern lässt. Ein Tor für Werder! Alle Menschen um mich herum umarmen und küssen sich. Ob alt oder jung, ob Mann oder Frau, ob mit oder ohne Mundschutz, ja, selbst ob Deutscher oder Ausländer! Nach all den Jahren der Einsamkeit umarmt mich wieder jemand! Es ist sogar ein Deutscher. Mit blonden Haaren, blauen Augen, Bierbauch und einer Dose Bier in der Hand. Oh, wie gut das tut! Oh, Allah, ich danke dir, dass du mir einen Deutschen geschickt hast, um mich zu umarmen!

Ich habe immer gesagt: Man soll sich als Ausländer nicht abkapseln. Im Überschwang der Gefühle umklammere ich den Dicken, der mich vorhin herzhaft umarmt hat, und brülle ihm ins Ohr: „Wööööördaa, Wöööööördaa!“

„Lass mich los, du Blödmann! Siehst du nicht, was unsere Abwehr plötzlich für ’nen Mist spielt?“

Beim Sport gibt es keine Vorurteile

Ich verschweige ihm, dass mich das Spiel nicht mehr interessiert. Ich bin überglücklich, dass ich nach all den Jahren endlich vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft bin! Bei uns in der Türkei beten die Menschen, damit es regnet. Hier bete ich, dass ein Tor fällt, damit ich meine deutschen Kumpels umarmen kann. Vielleicht liegt es daran, dass ich im Freien bete, Allah jedenfalls erhört mich sofort.

Tor für Werder. Voller Freude küsse ich den Glatzkopf neben mir.

„Wööördaa, Wööördaaa! So ein Tag, so wunderschöön wie heuuutee!“

Gleich morgen melde ich mich als Mitglied bei einem Sportverein an. Beim Sport gibt es keine Vorurteile. Da zählt nur die Leistung. Und lauter als ich kann keiner „Wööööördaaa“ schreien. Die deutschen Zuschauer um mich herum klatschen rhythmisch in die Hände, stampfen mit den Stiefeln und brüllen:

„Aus-Länder Raaaauusss!“

Nein, das sind keine Rassisten

Aber warum? Ist sicherlich Ausrutscher gewesen. Also, nicht, dass man jetzt denkt, diese jungen Männer seien Ausländerfeinde. Geht gar nicht. Schließlich haben sie mich gerade noch herzlich umarmt und geküsst.

„Aus-Länder Raaaauuss!“

Das sind gute Menschen. Das sehe ich sofort. Alles Sportler, die haben keine Vorurteile. Nein, das sind keine Rassisten.

„Aus-Länder Raaaauuss!“

Na, und wenn schon. Ich werde nie vergessen, wie diese Menschen mich eben umarmt und geküsst haben.

„Aus-Länder Raaaauusss! Aus-Länder Raaaauusss!“

Ich hätte wohl lieber zu Hause bleiben sollen! Bei Allah, habe ich nur die Wahl zwischen Pest und Corona?!

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