: Familie fordert Gerechtigkeit
Nach einem rassistischen Polizeieinsatz wagt die syrische Familie bei einer Pressekonferenz den Schritt in die Öffentlichkeit
Von Jonas Wahmkow
„Wir wünschen uns, dass der Polizist zur Rechenschafft gezogen wird“, übersetzt ein Dolmetscher. Die Anspannung in den Gesichtern des Ehepaars H. lässt nur erahnen, wie viel Überwindung es sie gekostet haben muss, am Samstag vor die Öffentlichkeit zu treten.
Mit der Pressekonferenz, die im Neuköllner Wahlkreisbüro der Linkspartei stattfand, will das Ehepaar weiter Druck auf die Berliner Polizei aufbauen. Sie werfen zwei Beamten vor, sie bei einem unangekündigten Besuch in ihrer Wohnung verletzt und rassistisch beleidigt zu haben.
Die bei der Pressekonferenz anwesenden Abgeordneten der Linksfraktion, Ferat Koçak, Niklas Schrader und Elif Eralp, forderten neben disziplinar- oder strafrechtlichen Folgen für die Beamten auch politische Konsequenzen, um in Zukunft ähnliche Fälle besser verfolgen zu können.
Am Dienstag ging ein Videodes Polizeieinsatzes, der am 9. September stattgefunden haben soll, in den sozialen Medien viral. In dem fünfminütigen Video, von dem vor allem ein einminütiger Ausschnitt kursiert, ist zu sehen, wie zwei Polizist:innen Herrn H. vor den Augen seiner Frau und drei Kindern bedrängen und zu Boden werfen. Einer der Polizisten, der später als Jörg K. identifiziert wurde, fällt durch rassistische und beleidigende Aussagen auf: „Das ist mein Land und du bist hier Gast“, droht der Beamte dem Mann in dem Video. „Halt die Fresse“, sagt er an die Frau gewandt und: „Ich bringe dich ins Gefängnis.“
Grund für den Polizeibesuch war unter anderem eine ausstehende Geldstrafe für mehrmaliges Fahren ohne Fahrschein in Höhe von 750 Euro. „Ich habe die Strafe nicht ignoriert und war in Kontakt mit den Behörden“, behauptet H. Er habe sich bei der Polizei gemeldet, um eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Erst im Nachhinein will er erfahren haben, dass die Staatsanwalt eigentlich die korrekte Ansprechstelle gewesen wäre.
„Wir waren überrascht und stehen immer noch unter Schock“, berichtet das Ehepaar. Seit dem Vorfall vermeide sie es, allein in der Wohnung zu bleiben, übersetzt der Dolmetscher für Frau H. Besonders die drei Kinder der Familie hätten immer noch Angst, wenn die Klingel der Wohnungstür läute.
Der Fall zeige einmal mehr, dass die Polizei ein strukturelles Rassismusproblem habe, sagt Elif Eralp, Sprecherin für Antidiskriminierung der Linksfraktion. „Offensichtlich haben die Polizisten nicht einmal darüber nachgedacht, ob sie für ihr Verhalten belangt werden können.“ Ebenso müsse Schwarzfahren entkriminalisiert werden, fordert Eralp. Eine Geldbuße dürfe nicht dazu führen, dass die Polizei in Wohnungen eindringt. Nach der Entscheidung, den Vorfall zur Anzeige zu bringen, sieht sich das Ehepaar nun mit einer Gegenanzeige der Beamten konfrontiert. Die Vorwürfe lauten Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlicher Angriff und versuchte Gefangenenbefreiung.
„Gegenanzeigen sind ein häufiges Phänomen“, kommentiert der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader. Das sei auch einer der Hauptgründe, warum viele Vorkommnisse von den Opfern gar nicht zur Anzeige gebracht würden. Auf Nachfrage der taz berichtet die Familie, dass sie zunächst Bedenken gehabt habe, eine Anzeige würde sich negativ auf ihren Aufenthaltsstatus auswirken.
„Polizei braucht mehr, nicht weniger Kontrolle von außen“, folgert Schrader. Wie der Fall zeige, sei das Filmen mit Smartphones ein geeignetes Mittel. „Die Polizei muss das Filmen von Polizeieinsätzen durch Dritte akzeptieren.“ Es komme immer wieder vor, dass Polizist:innen das Filmen mit rechtlich fragwürdigen Argumenten unterbinden würden.
Weiteren Handlungsbedarf sieht Schrader im Diziplinarrecht. Für Jörg K., der nach dem Vorfall in den Innendienst versetzt wurde, ist es das zweite Verfahren. Damals wurde der Beamte in den Streifendienst versetzt.
Obwohl der Grund für das erste Verfahren noch nicht bekannt ist, fordert Schrader, rassistische und antisemitische Motive besonders zu berücksichtigen, um aufällige Beamt:innen schneller aus dem Dienst entfernen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen