piwik no script img

Rassismus aus der KurveZeit für ein Zeichen

Das Drittligaspiel zwischen 1860 München und Cottbus wird nach einem rassistischen Vorfall unterbrochen. Es ist dies nur einer von vielen Übergriffen.

Zutiefst getroffen: Justin Butler nach den verbalen Atacken eines Zuschauers Foto: osnapix/imago

Es war ein denkwürdiger Nachmittag im Stadion an der Grünwalder Straße. Der 3:0-Erfolg des TSV 1860 München im Drittligaspiel gegen die als Tabellenführer angereiste Mannschaft von Energie Cottbus wird schnell vergessen sein. In Erinnerung bleiben die Bilder des Cottbuser Stürmers Justin Butler, auf denen zu sehen war, wie er nach der rassistischen Beleidigung durch einen Münchner Fan mit gesenktem Kopf in Richtung Spielfeldrand ging. Schiedsrichter Konrad Oldhafer hatte das Spiel in der 71. Minute unterbrochen, nachdem er von Butler darüber informiert worden war, dass Affenlaute aus Block F der Westkurve in seine Richtung gebrüllt worden waren.

Ordner griffen sich den Täter und führten ihn ab, der Stadionsprecher verabschiedete ihn mit eindeutigen Worten und in der Westkurve wurde „Nazis raus!“ skandiert. Fast zehn Minuten war das Spiel unterbrochen. Es wurde schließlich zu Ende gespielt. Schiedsrichter Oldhafer meinte nach dem Spiel, er habe sich bei Butler erkundigt, ob dieser sich in der Lage fühle weiterzuspielen. Erst dann habe er die Partie fortsetzen lassen.

Das Thema war damit noch lange nicht erledigt. Die Diskussionen um den Umgang mit rassistischen Vorfällen fanden nach dem Abpfiff eine Fortsetzung. Energie-Trainer Claus-Dieter Wollitz meinte bei Magenta Sport, er habe dem Schiedsrichter angeboten, das Spiel zu beenden und gegen Cottbus zu werten. „Einfach mal ein Zeichen setzen, wir reden immer, aber keiner handelt.“ Der gastgebende Klub veröffentlichte derweil eine Mitteilung, in der es heißt: „Der TSV 1860 München entschuldigt sich bei Justin Butler und dem FC Energie Cottbus für diesen Vorfall.“

Der Fall Lok Leipzig

Es ist nicht der erste rassistische Vorfall in dieser Saison, der bundesweit für Aufsehen gesorgt hat. Im Erstrundenspiel des DFB-Pokals von Zweitligist Schalke 04 beim Regionalligisten Lok Leipzig war Gästestürmer Christopher Antwi-Adjei von einem Zuschauer rassistisch beleidigt worden. Auch hier unterbrach der Schiedsrichter die Partie und veranlasste eine Stadiondurchsage, so wie es die Regeln der Fifa vorsehen.

Auch wenn sich Lok Leipzig im Nachgang entschuldigt hat, bleiben die Pfiffe, die die ganze Partie dröhnten, wenn Antwi-Adjei an den Ball kam, in übler Erinnerung. Nach Leipziger Darstellung habe das Publikum wegen eines verweigerten Handschlags gepfiffen.

Augenzeugen des Vorfalls in Block F des Grünwalder Stadions am Samstag in München berichten, dass es unter den TSV-Fans Streit darüber gab, ob Affenrufe rassistisch seien. Das Fanportal sechzger.de berichtete gar von einem Hitlergruß, der in der Kurve gezeigt worden sei. Auch hier seien es Fans gewesen, die den Täter gestellt hätten. All das gilt es zu untersuchen. Der abgeführte Schreihals muss mit einem längeren Stadionverbot und einer Strafanzeige rechnen.

Das Problem mit Rassismus von den Rängen ist in beinahe allen großen Ligen Europas präsent. Erst in der vergangenen Woche ist ein Anhänger von Real Oviedo zu einer Zahlung von 4.000 Euro aufgefordert worden, nachdem er Marcus Rashford im Ligaspiel Ende September rassistisch beleidigt hatte. Und im Mai sind fünf Anhänger von Real Valladolid zu Bewährungsstrafen nach den Gesetzen gegen Hasskriminalität verurteilt worden, weil sie Vinicius Jr., den Angreifer von Real Madrid, rassistisch angegangen waren.

Rassismushölle Social Media

Ob all die zahlreichen Kampagnen der Verbände gegen Rassismus überhaupt Wirkung zeigen, diese Frage stellt man sich derzeit in England. Dort haben sich vor allem die sozialen Netzwerke zu einer wahren rassistischen Hölle für etliche Profis entwickelt.

Während der Frauen-EM in diesem Sommer sah sich etwa Englands Verteidigerin Jessica Carter gezwungen, ihre Aktivitäten auf Social Media einzustellen, nachdem die rassistischen Übergriffe gegen sie dort überhand genommen hatten. Das Team beschloss daraufhin, vor dem Anpfiff nicht mehr auf die Knie zu gehen. Diese Geste gegen den Rassismus sei zu einem leeren Ritual verkommen. Dass sich die Spielerinnen dann vor dem Anpfiff untergehakt an die Seitenlinie gestellt haben, um ihre Solidarität mit Carter zu zeigen, ist kaum wahrgenommen worden.

In der Premier League haben die Profis auch lange die Kniegeste vor jedem Spiel gezeigt. Doch 2022 war Schluss mit diesem Zeichen, das der US-Football-Profi Colin Kaepernick als Protestform gegen Rassismus in der NFL etabliert hatte. Im Oktober feierte sie an zwei Spieltagen anlässlich des Black History Month’ im Königreich ein Comeback in der Premier League. Dort war es gleich im Eröffnungsspiel der Saison zu einem rassistischen Vorfall gekommen. Antoine Semenyo, Stürmer des AFC Bournemouth, ist bei der Partie in Liverpool rassistisch beleidigt worden. Wie beim Vorfall an diesem Samstag in München wurde der Täter schnell identifiziert und abgeführt.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Und dabei brüstet sich Fußball doch immer so mit Völkerverständigung, hm? Was für eine Heuchelei, die sich über Infantinos Korruptionsverein bis in den Spitzensport hineinzieht.

    • @Minelle:

      Ein einziger Fan, der von Umstehenden identifiziert und abgeführt wurde? Das finde ich dann sogar eher positiv, ganz wird man solche Leute ja nicht los, aber das Umfeld hat richtig gehandelt und er kriegt ne Strafe.