Rapper Drillminister: Recycling Brexit
Ein Rapper singt über den Brexit: Drillminister aus London singt Politiker-Zitate und vergleicht die britische Regierung mit Drogendealern .
Die braunen Augen hinter der charakteristischen schwarzen Sturmhaube blicken ernst durch den Schlitz über die Londoner Themse. „Ein Mädchen nahm sich an dieser Stelle vor Kurzem das Leben, nachdem ihr Bruder erstochen wurde.“ Der Vermummte mit dem Künstlernamen Drillminister, oder auch Yung Drilly, kannte nicht nur den Bruder, sondern hat mit Ganggewalt selbst schmerzhafte Erfahrungen gemacht: Einen Angriff, bei dem er durch mehrere Messerstiche verletzt wurde, überlebte er knapp.
Jetzt treibt ihn aber etwas anderes um: Das traurige Bild, das britische Politik gerade abgibt. Die Austeritätspolitik der Konservativen investiere in alles mögliche, „aber für uns junge Menschen gibt es keinen Platz“, erklärt der junge Mann, dessen bürgerlicher Name unbekannt ist. „Anstatt sich mit hohen Studiengebühren zu verschulden, verdienen viele junge Leute lieber ihr Geld mit Drogendealen“, schiebt Drilly hinterher.
Dann spricht er über die Ausschreitungen im Zentrum des Südlondoner Stadtteils Woolwich 2011, die er als damals 16-jähriger Teenager aus nächster Nähe erlebte. Schon da hätte die Gegend in einem starken Gentrifizierungsprozess gesteckt. 2013 wurde dann auch noch der Soldat Lee Rigby auf offener Straße von Islamisten ermordet, im Anschluss wütete ein Mob Rechtsradikaler durch Woolwich. Trotzdem sei dieses Viertel heute ein Beispiel für Toleranz, glaubt Drilly.
Londons Polizeichefin Cressida Dick glaubt hingegen, dass der von Drillminister favorisierte Rapstil Drill mitverantwortlich für die offene Gewalt auf den Straßen der Hauptstadt ist. Die Texte und Szenen in den Videos verherrlichten Brutalität. Drill ist ein HipHop-Subgenre, ursprünglich entstanden in der US-Metropole Chicago, aber inzwischen auch in London populär. Und Yung Drilly ist von Anfang an Teil dieser Szene. Seit den Zehnerjahren mischt er für Crews wie SL, Zone 2 und Harlem Spartans.
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Orginalzitate britischer Politiker*innen
So erklärt sich auch seine Balaklava-Sturmhaube. „Die sieht schlimmer aus, als sie ist“, relativiert Drillminister. Meist wollen die KünstlerInnen mit Drill nur Frust ablassen.“ Diane Abbott, erste schwarze britische Parlamentsabgeordnete, widersprach energisch jenen „altbekannten Schuldzuweisungen“. Drill sei nur Symptom der Lebensumstände, erklärte Abbott, und zeige die Realitäten junger Menschen, aber die Musik sei keineswegs der Auslöser von Strafhandlungen.
„Was mich viel mehr stört als die gewalttätigen Vorstellungswelten, ist der Mangel an gesellschaftlicher Relevanz. Viele Reime sind ausschließlich selbstbezogen“, sagt Drilly. Deshalb begann er mit seinen Texten herumzuexperimentieren. Ein Demotape von ihm landete durch Vermittlung eines Bekannten auf dem Redaktionstisch des TV-Senders Channel 4. Dass Drillministers Track „Political Drillin’“ dann tagelang in britischen Medien kursieren würde, damit hatte er nicht gerechnet. Es könnte daran liegen, dass er in dem Song die unterschwellige Gewalt in seinen Lyrics mit einem cleveren Twist versieht. Drillminister verwendet Orginalzitate britischer Politiker. „Ich werde nicht ruhen bis sie zerhackt in der Tiefkühltruhe liegt“, zitierte Drillminister, was Ex-Finanzminister George Osborn über Theresa May gesagt hat. Und die Labourpolitikerin Jess Phillips wollte ihren Parteichef Jeremy Corbyn „nur von vorne abstechen“, was Drillminister neben vielen anderen Zitaten verwendete.
„Die Zitate beweisen doch nur, dass Politiker*innen nicht bessere Menschen sind als alle anderen.“ Danach sei die Zensur von Drillvideos in britischen Medien zurückgegangen, behauptet Drillminister.
In weiteren Tracks wie „Brexit“ und „N.I. Backstop“ kritisiert er nun Politiker*innen und ihr Gebaren in der aktuellen britischen Politik. In den Texten verweist er auf leere Versprechungen, rassistische Floskeln und spricht von der gestohlenen Zukunft. Die konservative Regierung beschreibt er als eine Ansammlung von Drogendealern, die um eine bessere Marktposition kämpfe, weil der Handel mit dem Hauptlieferanten, der EU, ungewiss sei. „Das ist doch die Sprache, die junge Leute verstehen“, erklärt Drillminister. Seine erste EP wird „House of Skengs“ heißen – das ist Patois für Haus der Messer, „das britische Parlament“, verbessert Drilly.
Beim Social-Media-Dienst Instagram finden sich unter dem Stichwort #Brexitchallenge inzwischen viele andere Versionen von Drillministers Brexittrack. Junge Leute rappen dort eigene Texte zur Musik und lassen sich zum Brexit aus. „Die Brexit-Befürworter konnten ihre Propaganda ungehindert streuen. Für uns heißt das, wir müssen uns dem entgegenstellen und wieder anfangen, unabhängig zu denken“, fordert Drilly.
Er hat sogar noch größere Pläne und will bei den bevorstehenden Londoner Bürgermeisterwahlen als Kandidat mitmischen: „Sollte es klappen, werde ich Leute anstellen, die mir im Amt helfen, können – Menschen wie meinen Onkel, ein hervorragender politischer Beobachter.“ Nur beiläufig erwähnt er, dass sein Onkel wegen schweren Verbrennungen so entstellt sei, dass deswegen kaum unter Menschen gehe. „Eine glaubwürdige Person mit Gesichtsmaske ist immer noch besser als ein Lügner, der sein Gesicht zeigt“, sagt Drilly.
Drillminister ist nicht der einzige in der Musikszene, der sich derzeit mit dem Brexit befasst. Am Mittwoch, dem Tag nach der parlamentarischen Abstimmung über den Auszugsdeal veröffentlichte Captain Ska, ein Interpret der stark dem anti-Brexitlager zuzuschreiben ist, ein Lied und Video namens „Before the Colour is Gone“, vorgetragen von Steven Alker, dass sich klar für ein zweiten Referendum ausspricht.
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