Ramona Pop über Abschiebe-Skandal: „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“
Die Grünen wollen einen neuen Untersuchungsausschuss. Fraktionschefin Ramona Pop erhofft sich Aufklärung - und eine andere Kultur in der Ausländerbehörde.
taz: Frau Pop, Untersuchungsausschüsse gab es bislang eher zu Mega-Themen wie aktuell dem BER. Sie wollen nun einen einem einzigen Fall unrechtmäßiger Abschiebung widmen. Ist das wirklich angemessen?
Ramona Pop: Wir befürchten, dass es sich hier nur um die Spitze eines Eisbergs handelt. Der Gutachter in diesem rechtswidrigen Abschiebungsfall war seit Jahren für die Ausländerbehörder tätig, hatte offenbar keine Approbation mehr, was aber niemand hinterfragte. Wie steht es also grundsätzzlich um den Rechtsschutz bei Abschiebungen, ist nun die Frage.
„Nur die Spitze des Eisbergs“ – was vermuten Sie denn unter der Oberfläche?
Es steht zu befürchten, dass dies kein Einzelfall ist, sondern System hat. Die Abschiebepraxis der Ausländerbeördrde steht jetzt im Fokus. Wenn der Staat so stark in die Rechte Einzelner wie bei Abschiebungen eingreift, dann darf kein Schatten eines Verdachtes entstehen, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Mit dem Untersuchungsausschuss wollen wir Klarheit über die in Verruf geratene Abschiebepraxis gewinnen.
Die Polizei hat sich inzwischen offenbar von dem Gutachter getrennt, das Verwaltungsgericht zudem die Art und Weise der Abschiebung als unrechtmäßig bezeichnet. Was soll der U-Ausschuss mehr erreichen?
Wir wollen keinen großen Untersuchungsausschuss, der das Parlament jahrelang beschäftigt, sondern sehr klar und zugespitzt ermitteln, was in der Behörde systematisch falsch läuft und geändert werden muss. Die Frage ist doch: War wirklich nur diese eine Abschiebung unrechtmäßig? Insgesamt sind rund 80 Gutachter für die Behörde im Einsatz, für ihre Tätigkeit scheint es keine klaren Richtlinien zu geben. Der Verdacht von Gefälligkeitsgutachten steht im Raum und muss überprüft werden.
Schon länger arbeitet der BER-Untersuchungsausschuss, im Mai startet ein zweiter zur Staatsoper. Sind drei Untersuchungsausschüsse gleichzeitig zu leisten für das Parlament?
Wir können es uns nicht aussuchen, wann wir als Parlament aktiv werden müssen. Sollen wir etwa sagen, etwas ginge uns nichts an, nur weil es schon zwei andere Untersuchungsausschüsse gibt? Grundsätzlich handelt es sich hier um drei sehr unterschiedliche Themenfelder. Das verteilt sich auf mehrere Schultern.
Trotzdem könnte man zugespitzt vom inflationären Umgang mit dem Instrument sprechen, das das „schärfste Schwert der Opposition“ sein soll. Stumpft dieses Schwert dadurch nicht ab?
Wenn es das berechtigte Anliegen gibt, Dinge in einer Tiefe zu untersuchen, wie das normale Ausschüsse nicht können, dann ist das nicht inflationär.
Sie könnten ja auch eine Anzeige gegen die Ausländerbehörde stellen und Staatsanwälte die Arbeit machen lassen.
Zum einen halte ich nichts davon, Arbeit abzuwälzen. Zum anderen sind wir als Parlamentarier auch die Kontrollinstanz von Landesbehörden. So eine Behörde hat ja auch eine politische Spitze, und die ist natürlich auch Adressat…
… in diesem Fall Frank Henkel.
Der Innensenator, genau. Es ist eine politische Frage, wie man eine Ausländerbehörde führt, und diese kann die Staatsanwaltschaft nicht beantworten. Abgesehen davon: Uns geht es nicht ums Anprangern, sondern um konstruktive Arbeit. Wir haben ein Interesse daran, etwa eine andere Kultur in der Ausländerbehörde voranzubringen. Aus dem Untersuchungsausschuss Spreedreieck etwa folgten neue Richtlinien für die Landeshaushaltsordnung.
Die CDU dürfte Ihnen mit Blick auf das nächste Jahr reines Wahlkampfgetösee vorwerfen und dass es Ihnen nur darum geht, Henkel vorzuführen.
Dass Regierungsfraktionen von Untersuchungsausschüssen nicht begeistert sind, liegt in der Natur der Sache.
Bei der SPD-Fraktion könnte das dieses Mal anders sein. Die wollte Henkel ja schon im Januar die Zuständigkeit für die Ausländerbehörde wegnehmen.
Bislang habe ich weder aus der SPD noch aus der CDU große Sympathien für den Untersuchungsausschuss erkennen können. Wir sind mit der Linkspartei und den Piraten im Gespräch.