Ramadan in Ägypten: Wächter der Scharia
In Ägypten ist der Widerstand gegen das muslimische Fastengebot gewachsen. Selbsternannte Sittenwächter aus der Exekutive strafen die ab, die tagsüber rauchen, essen oder trinken.
Wir nehmen das Recht im Namen von Islam und Tradition in die eigene Hand, dachten wohl einige ägyptische Polizeioffiziere und Provinzgouverneure. Wohlgemerkt nicht das Zivil- oder Strafrecht, sondern das islamische Recht. Denn sie verliehen dem Fastenmonat Ramadan, der dieser Tage am Nil zu Ende geht, eine ganz besondere Note. Allein in der südägyptischen Stadt Assuan ließen sie 150 Menschen festnehmen und nach ein paar Stunden auf der Polizeistation zu umgerechnet 60 Euro Strafe verdonnern. Sie hatten es gewagt, sich mitten im Fastenmonat auf offener Straße eine Zigarette anzustecken, etwas zu trinken oder zu essen. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich laut der arabischen Tageszeitung Al-Quds al-Arabi auch im touristischen Rotmeer-Badeort Hurgada und in einigen Nildeltaprovinzen.
Nun wären derartige Bestrafungen etwa in Saudi-Arabien nichts Ungewöhnliches. Dort ist es normal, dass die mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Religionspolizei jeden terrorisiert, der nicht mit den konservativen islamischen Regeln konform geht. Aber in Saudi-Arabien gilt der Koran als Verfassung und richten die Kadis mit Hilfe der Scharia.
Ägypten ist dagegen stolz auf seine lange Rechtstradition, seine Verfassung, sein Zivil- und Strafrecht. Und dort findet sich kein Strafbestand des illegalen Fastenbrechens im Ramadan. Also handelt es sich hier um ein paar übereifrige Wächter des Islam in der Exekutive.
So blieb die Reaktion nicht aus. Zwar dankten einige konservative ägyptische Scheichs der Polizei dafür, nun endlich die Scharia durchzusetzen. Aber Menschenrechtsgruppen stellten schnell die Frage, ob Ägypten nun von einer Art Taliban regiert würde. Für Gamal Eid vom Arabischen Netzwerk für Menschenrechte ist das Ganze ein weiterer Beweis dafür, dass sich der religiöse Radikalismus inzwischen in den Rängen der Polizei verbreitet habe.
Ein Kolumnist spricht von "religiöser Hysterie", die über die Gesellschaft geschwappt sei. "Nur Gott kann die Menschen für ihr Verhalten im Ramadan verurteilen, aber in unserem Fall spielt die Gesellschaft Gott", schreibt Wael Nawara. Die höhere Regierungsebene scheint sich übrigens zum Ramadan ganz vom Regierungsgeschäft verabschiedet zu haben. Vom Innenminister bis zum Präsidenten herrscht zu den Festnahmen das große Schweigen am Nil.
Noch aus einem anderen Grund sind die Vorfälle bemerkenswert. Nicht weil Menschen für ihr Missachten des Fastens verhaftet wurden, sondern weil es überhaupt Ägypter gibt, die in der Öffentlichkeit im Ramadan rauchen, trinken oder essen. Das wäre noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen - zu groß war der soziale Druck, so dass Nichtfaster ihren Genüssen nur heimlich zu Hause hinter zugezogener Gardine nachgingen.
Gegen dieses nicht geschriebene gesellschaftliche Gesetz begehrt aber in den letzten Jahren eine kleine Minderheit zunehmend auf. Immer öfter sind jetzt jene auf Kairos Straßen zu sehen, die rauchender- oder trinkenderweise dem Druck trotzen. Auch in den wenigen Cafés, die tagsüber offen sind, herrscht Betrieb. Dort hat sich in den letzten Jahren eine kleine aber aktive Fasten-Widerstandsfront gebildet.
Die ist einigen in der Exekutive ein Dorn im Auge und hat sie veranlasst, als eine Art vorauseilendes göttliches Strafkommando auf den Straßen wieder für religiöse Ordnung zu sorgen. Reicht der gesellschaftliche Druck nicht mehr, müssen halt selbst ernannte Religionspolizisten Scharia-Selbstjustiz üben.
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