Raketenangriff auf Odessa: Angst und Trauer zu Ostern
Durch russische Raketenangriffe wurde am Ostersamstag ein Wohnhaus in Odessa zerstört. Unter den Toten ist auch ein drei Monate altes Baby.
I n eben dem Augenblick, in dem in Jerusalem das heilige Feuer herab kam, hörte man in Odessa Explosionen. Eine russische Rakete war auf ein mehrstöckiges Wohnhaus gefallen. Aus einem Telefongespräch eines russischen Soldaten mit seiner Frau, das vom ukrainischen Sicherheitsdienst veröffentlicht worden war, wusste man, dass russische Truppen den orthodoxen Ostergruß „Christus ist auferstanden“ zynisch auf ihre Raketen schreiben.
Am Abend des Ostersamstag starben in Folge des Beschusses in Odessa acht Menschen, darunter ein drei Monate altes Kind. Solche Ostergrüße bekamen wir von unserem einstigen „Brudervolk“.
Ich habe mir Fotos angesehen, die ich vor noch gar nicht langer Zeit gemacht habe. Ich war mit meinen Kindern in genau diesem Haus, bei einer Geburtstagsfeier ihres Freundes. Der kleine Dima war sieben Jahre alt geworden. Seine Mama hatte eine große Torte gebacken. Der Kleine pustete die Kerzen aus und konnte sich dabei etwas wünschen. Hätten wir uns damals vorstellen können, dass nur ein paar Wochen später Dima kein Haus mehr haben würde? Dima selber war vor den Feiertagen mit seiner Mutter zur Oma aufs Dorf gefahren. Das hat sie gerettet.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
In den zwei Monaten seit Kriegsbeginn wurde Odessa regelmäßig beschossen, aber vor allem am Stadtrand. Viele dachten, unsere Stadt hätte einen Sonderstatus und deshalb werde man uns nicht bombardieren. Die Menschen gingen zur Arbeit, zum Einkaufen. Wenn es nicht gerade Luftalarm gab, unterschied sich das Leben der Odessiten in Kriegszeiten nicht sehr vom gewöhnlichen Leben davor.
Jetzt aber haben alle begriffen, dass es keinerlei Sonderstatus gibt. Dass russische Raketen überall und zu jeder beliebigen Zeit herunter kommen können. Sogar zu Ostern, sogar in ein Wohnhaus, sogar auf ein drei Monate altes Kind.
ist Chefredakteurin des ukrainischen Nachrichtendienstes USI.online. Sie ist Mutter von zwei Kinder (9 und 12).
Russische Provokateure werfen den Odessiten regelmäßig die Tragödie vor, die sich in Odessa am 2. Mai 2014 abspielte, und versprechen, die Verstorbenen zu rächen. Und es ist wahrscheinlich, dass der Beschuss der Stadt bereits bis zum 2. Mai zunehmen wird.
(In Folge der Maidan-Bewegung in Kiew war es 2014 in Odessa zu einer Art „Anti-Maidan“ mit einem Zeltlager pro-russischer Aktivisten vor dem Gewerkschaftshaus gekommen. Anlässlich eines Fußballspiels zwischen Odessa und dem ostukrainischen Charkiw gab es eine Demonstration, den „Marsch der Einheit“. Als die pro-russische Seite den Marsch angriff und dabei ein Pro-Ukrainer starb, kam es zu Straßenschlachten, es flogen Brandsätze in beide Richtungen. Am Ende griffen Menschen der pro-ukrainischen Seite das Gewerkschaftshaus an, in dem sich pro-russische Aktivisten verschanzt hatten. Diese verbrannten. Anm. d. Übersetzerin)
Ich erinnere mich an diesen Tag. Ich arbeitete damals als Nachrichtenjournalistin. Mich hatte der Anruf erreicht, dringend zu kommen. Und so fuhr ich mit einem Fliederstrauß, den ich von der Datscha mitgebracht hatte, direkt zum Ort der Schießerei.
Es kam zu Zusammenstößen zwischen den beiden Lagern – den pro-russisch Gesinnten und den patriotisch-Ukrainischen. Als Erster wurde ausgerechnet ein ukrainischer Aktivist erschossen. Es passierte nur wenige Meter von mir entfernt. Mir schien, dass so etwas nicht sein dürfe, so, als sei das alles irgendein Film. An diesem Tag starben 48 Menschen beider Lager. Ich kann nicht sagen, dass jemand Bestimmtes daran schuld war. Es war Irrsinn. Aber die russische Propaganda braucht einen Vorwand, um den Hass zu verstärken und ihre Verbrechen zu rechtfertigen. Deshalb haben sie sich einen Termin ausgesucht, an dem sie mit ihrer Rache beginnen. Angeblich, um ihre Toten zu rächen.
Jetzt ist Odessa erstarrt und in Trauer verfallen. Wenn ich auf die Ereignisse von 2014 zurückblicke und sehe, was jetzt passiert, kann ich sagen, dass es kein Szenario mehr gibt. Nur noch Wahnsinn, der Trauer und Tod bringt.
Das von einer russischen Rakete zerstörte Haus fällt weiter in sich zusammen. Es gab die Nachricht, dass ein Kater lebend unter den Trümmern gefunden wurde, er wurde zwischen Kissen zusammengequetscht, aber hat überlebt.
Der Frühling ist in vollem Gange, überall blühen die Kirschbäume, die Vögel singen, man möchte so gern leben. Und die Osterfeiertage sind doch der Sieg des Lebens über den Tod. Möge es so sein.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken