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Radioaktivität nach FukushimaMehr Strahlenopfer als bekannt

Beim Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima und den Aufräumarbeiten sind zehnmal mehr Arbeiter verstrahlt worden als bislang bekannt.

Nach Angaben des Betreibers Tepco sind 1973 Arbeiter mit mehr als 100 mSv belastet: Ihre Gesundheit ist gefährdet. Bild: reuters

BERLIN taz | Beim Atomunfall im japanischen Fukushima Daichii und den folgenden Aufräumarbeiten sind weitaus mehr Arbeiter radioaktiv verstrahlt worden als bislang bekannt. Insgesamt wurden nach Angaben des Betreibers Tepco 1973 Arbeiter mit mehr als 100 MilliSievert (mSv) belastet.

Bisher hatte der Betreiber nur die Zahl von 178 Verstrahlten angegeben. Die aktuellen Daten gehen aus einem Zwischenbericht des Bundesumweltministeriums an den Umweltausschuss des Bundestages hervor, der der taz vorliegt.

Die neuen Informationen wurden laut Bericht bekannt, weil das japanische Gesundheitsministerium Tepco aufgefordert hatte, neue Zahlen zur Belastung der Schilddrüse der Arbeiter vorzulegen. Zum Stichtag Anfang Mai 2012 fand Tepco dann in seinen Unterlagen plötzlich mehr als zehnmal soviele hochverstrahlte Arbeiter als bis dato angegeben.

100 Millisievert gelten nicht als direkt gesundheitsgefährdend, liegen aber weit über dem in Deutschland für Atomarbeiter geltenden Grenzwert von 20 Millisievert pro Jahr. Die gesamte Dosis für das Arbeitsleben eines AKW-Beschäftigten beträgt nach Informationen des Bundesamts für Strahlenschutz in Deutschland 400 Millisievert.

Erst vor wenigen Wochen war in Fukushima wieder klar geworden, dass die Atomruine auch zweieinhalb Jahre nach dem SuperGAU vom 11.März 2011 bei weitem nicht unter Kontrolle ist. So hatte erst im Juli ein Arbeiter gemeldet, dass aus Block 3 der Anlage Dampf austrat. So etwas passiere „von Zeit zu Zeit“ und könne Regenwasser sein, dass im Inneren der Gebäude verdampft, hieß es.

Die Becken für verseuchtes Wasser beginnen zu rosten

Auch über den Verbleib von drei Kubikmetern Stickstoff pro Stunde gibt es bei Tepco nur Vermutungen. Das Gas wird in die Reaktorhülle eingeleitet, um den explosiven Wasserstoff zu verdrängen.

Der Betreiber Tepco hatte vorige Woche außerdem zugegeben, dass radioaktives Wasser ins Grundreich und ins angrenzende Meer geflossen ist. Das verstrahlte Wasser, das zur Kühlung der Reaktoren ins Werk gepumpt wird, hat inzwischen die Grenzen der Speicherkapazität fast erreicht. Daraufhin hatte die japanische Regierung erklärt, sie werde die Aufräumarbeiten nicht mehr Tepco allein überlassen, sondern müsse selbst aktiv werden.

Nun sind offenbar auch noch die Wassertanks undicht, in denen das verstrahlte Wasser wieder aufbereitet werden soll. Wegen „Leckagen, die durch Korrosion verursacht wurden“, soll die Aufbereitungsanlage für 90 Tage ab August außer Betrieb genommen werden, heißt es im Bericht des Umweltministeriums. Die Tanks sollen eine Innenschicht bekommen, die nicht rostet. Was in diesen drei Monaten mit dem Wasser geschehen soll – bisher sind insgesamt 700.000 Kubikmeter aufbereitet worden –, geht aus dem Bericht nicht hervor.

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22 Kommentare

 / 
  • N
    Nachdenklicher

    Wenn ich mich recht erinnere, meinte man 2011, es würden viele Arbeiter innerhalb von Wochen sterben. Wenn ich es richtig sehe, waren diese Einschätzungen glücklicherweise falsch, was Claudia R. aber nicht hinderte, von 19.000 Atomtoten zu sprechen.

  • Ich würde jetzt noch nicht zählen. Verlässliche Zahlen dauern noch lange.

  • S
    Sven

    Wieso pauschal negativ? Das sind Nachrichten. Ist halt gerade mal nich so rosig in Fukushima.

  • D
    derSchreiber

    @Heiko

     

    Weil Kerntechnik vielleicht pauschal gefährlich ist? Wenn es in einem Kohlekraftwerk zu einen Zwischenfall kommt, dann fällt die Energieleistung. Schlimmstenfalls werden bei einer Gasexplosion oder ähnlichem Menschen getötet. Aber dabei entstehen keine Stoffe die tödlich sind!

    Wer glaubt das Restrisiko bedeutet das nichts passiert, der glaubt auch das Babys nur pupen wenn sie Windeln tragen.

     

    Zum Thema Sicherheit, empfehle ich nur folgende Wikipedia Seite. Und wer Wikipedia nicht glaubt, kann sich ja die Seite des Bundesamtes für Strahlenschutz zu gemüe führen.

    http://www.bfs.de/bfs

  • HF
    Heikos Freund

    @Heiko:

    Weil wahrscheinlich auch 'pauschale' Kernkraftbefürworter wie Sie eine Strahlenbelastung von mehr als 100 mSi als negativ empfinden würden, zumindest wenn Sie die am eigenen Leib erfahren würden, oder?

  • NO
    N. Osushi

    Die Bedingungen für Technikeinsatz im Umgang mit den Reaktorruinen wurden durch den Strahlungsaustritt so sehr verändert, dass man die radioaktive Emission in Luft, Wasser, Boden jetzt nicht mehr beherrschen kann, ohne viele weitere Menschen zu verlieren.

    Genau diese komplexen Folgen hat man von kompetenter Seite, also von richtigen Physikern, der Atomtechnik bereits vor 40 Jahren vorhergesagt. Und sie sind eingetreten und treten weiter ein.

    Die Japaner bemühen sich sehr um Strahlungscontainment- und dilettieren letztlich doch nur am Detail.

    Radioaktiv verseuchtes Wasser fliesst in grossen Mengen ins Meer, radioaktiver Dampf entweicht. Im Grunde ist die Situation in Fukushima Daiichi seit 2 Jahren unverändert: die Emissionen konnten trotz aller Bemühungen nicht verhindert werden.

    Die Japaner sollten das bei der Neuausrichtung ihrer Energiepolitik berücksichtigen.

    Die mitgeteilten Strahlungswerte sollten mit grösster Skepsis aufgenommen werden, denn verbalrhetorisch funktioniert das Kleinreden der Spätfolgen noch immer am besten.

    Bei allen AKW-Katastrophen weltweit wurden die zugegebenen Strahlungswerte im Laufe der Zeit immer höher, wenn der Volksaufstandsvermeidungsdruck nachliess.

  • W
    Wolfgang

    Zu: @ "Heiko"

     

    Es geht nicht um "neutraler und ausgewogener", im Lobby-Interesse der Atomindustrie und deren Aktionäre, sondern, es geht um das Überleben der Menschheit, auch ohne Atomkrieg!

     

    Es gibt keine "friedliche Nutzung" der Atomenergie, ebensowenig, wie es keine Risikofreiheit bei der Anwendung der Atomenergie gibt. Ebenso, es gibt weltweit keine dauerhafte Entsorgungsmöglichkeit, vor der Freisetzung radioaktiver Partikel wie Cäsium-137 oder Jod-131, gibt.

     

    Ich gehe davon aus, Herr "Heiko", sie handeln und schreiben nicht, als bezahlter oder unbezahlter Lobbyist, für die Interessen der Atomindustrie und (deren) Bauwirtschaft.

     

    Auch Ihnen ist bekannt: die Lobbyisten (gutbezahlte Frauen und Männer)der Atomindustrie und Aktiengesellschaften der Energie-Wirtschaft, sind nicht nur in den bürgerlichen Parteien, in den Regierungen und Parlamentsmehrheiten, sondern auch in allen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien aktiv; beiläufig auch auf den Kommentar-Seiten ...

  • HS
    Hari Seldon

    @heiko:

     

    Es gib Atomhysterie AUSSCHLIESSLIECH in Deutschland. Die Qui bono? Frage sollte gestellt werden. Zum Beispiel, wäre es ein reiner Zufall, dass alle Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat ganz "zufälligerweise" Atommächte (und ohne Atomhysterie) sind? Aber es gibt andere, z.B., wirtschaftliche Aspekte auch.

  • W
    Wolfgang

    "Bisher hatte der Betreiber {...}"

     

    Es stellt sich die Frage: steht auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Dienst der Atomindustrie (bzw. Atommafia)?

     

    Am 28.02.2013 veröffentlichte die WHO ihre "Gesundheitsrisikobewertung" zur atomaren Katastrophe. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass "die prognostizierten Risiken für die allgemeine Bevölkerung ... niedrig sind ..." usw.

     

    Eine kritische Analyse der WHO-Bewertung kommt u.a. zum Fazit: Die "Bewertung" der WHO "liefert keine wissenschaftlich objektiven oder zuverlässigen Daten". Die tatsächlichen Gesundheitsrisiken müssen von unabhängigen Wissenschaftlern geprüft werden. (Vgl. IPPNW)

  • L
    Lausbub

    Frankreich hat eine strahlende Zukunft. Dort läuft die Berichterstattung dank der Fürsorge durch die Kernenergielobby wie geschmiert.

  • RR
    Rudi Radapp

    ...viele der Ersthelfe in Fukushima wurden zu keiner Zeit namentlich registriert. Viele kamen zum Helfen aus anderen Gebieten und gingen auch dorthin wieder zurück. Niemand wird, wenn sie in einiger Zeit erkranken, einen direkten Zusammenhang herstellen können (oder gar wollen) mit Fukushima.

    Alle "relativiernden" Kommentare diesbezüglich (@HEIKO) hängen mir eigentlich inzwischen ein bisschen zum Halse heraus.

    Gruß

    RUDI RADAPP

  • P
    Physiker

    @HEIKO, ganz einfach: Weil Kerntechnik negativ IST!!! Setze dich bitte mit diesem Thema mal ausführlich auseinander, dann kannst du nur darauf kommen, dass der Versuch, die Kernenergie zivil zu nutzen zwar in der Theorie funktioniert, in der Praxis jedoch nicht vollständig beherrschbar ist. Was auch in der Theorie auftaucht sind die radioaktiven Abfälle. Eine Theorie, wie mit diesen umzugehen ist, existiert allerdings nicht (nur Ideen).

     

    Wir haben jahrelang mit dieser Technik elektrischen Strom erzeugt, uns wurde anfangs versichert, dass diese Technik völlig sauber ist ("da kommt ja nur Wasserdampf raus") und dass der elektrische Strom dadurch so günstig wird, dass man ihn eigentlich verschenken sollte. Das alles war leider eine dreckige Lüge und daher ist es unser aller Pflicht, dies zu korrigieren!

  • Ich weiß nicht was diese Art der Berichterstattung soll. Wieso wird Kerntechnik pauschal als negativ dargestellt? Wieso? In Frankreich gibt es diese einseitige Berichterstattung nicht, da ist man neutraler und ausgewogener.

    • A
      Andi
      @Heiko:

      Heiko, das ist Realität und keine Tendenzberichterstattung. Was daran willst Du bitte ausgewogener darstellen?

    • G
      gast
      @Heiko:

      oder evtl. nicht ehrlich genug ? Außerdem ist es fast überall so, das nicht die ganze Wahrheit ans Tageslicht kommt, wo auch damals Tschernobyl

      siehe dazu die heute bekannt gegebene Wahreit. http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/tschernobyl-oh-gott-es-regnet-a-409013.html

       

      Von einem Bekannten, dessen Bruder zu der Zeit im Max Planck Institut in München arbeitete erzählte ihm sie dürften die Wahrheit nicht sagen, Anweisung von ganz oben, es sei viel schlimmer als berichtet würde.

    • @Heiko:

      Hallo Heiko,

       

      man muss im Falle von Frankreich auch sagen, dass die Atomwirtschaft dort staatlich ist, daher kann ich mir persönlich vorstellen, dass die Berichterstattung auch deswegen anders ausfallen könnte als in Deutschland.

       

      Diesen taz-Bericht empfinde ich nicht als negativ dargestellt, sondern es handelt sich hierbei um harte Fakten / Daten / Zahlen. Was soll der Autor also anders berichten. Fakten bleiben Fakten, wie man sie auch dreht und wendet.

    • M
      Mischka
      @Heiko:

      Was ist denn da einseitig? Es wird über Probleme berichtet, die offenbar vorhanden sind, mehr nicht!

    • G
      gerstenmeyer
      @Heiko:

      da gibts auch keine grünroten bessermenschen die anderen die welt erklären wollen und ihnen vorschriften machen wollen-solche gibts in keinem anderen land

    • P
      Paul
      @Heiko:

      Hm, denk mal nach Heiko...

    • C
      Christoph
      @Heiko:

      Ich denke dieser Artikel handelt hauptsächlich von der nach wie vor katastrophalen, aber nicht mehr in den Köpfen der Menschen präsenten Lage in einem havarierten Atomkraftwerk. Pro oder contra Atomkraft hat nicht viel damit zu tun. Hier geht es um den Istzustand. Dass man bei verstrahlten Arbeitern/Anwohnern, belasteten Abwassern und einer Verheimlichungspolitik des japanischen "Atomdorfes" nicht unbedingt positiv berichten kann, halte ich nur für allzu verständlich.

      3/11 und seine Folgen werden heutzutage nur noch spärlich in den japanischen Hauptmedien, geschweige denn in den ausländischen, behandelt. Man muss für jede Information dankbar sein, die zu diesem Thema bis in die heimischen Medien reicht.

  • W
    Wolfgang

    Auch das japanische Dividenden- und Profitsystem der Atomindustrie vernichtet Menschenleben - und kennt keine Grenzen, auch nicht bei der atomaren physischen Vernichtung der eigenen Bevölkerung!

  • H
    Horst

    Das Wort 'Grundreich' find ich irgendwie ziemlich sympathisch.