Radikalität von Klimaprotesten: Schocktherapie for future
Nur mit gemäßigten Aktionen könne man Mehrheiten gewinnen, wird den Klimaschützern gern vorgehalten. Aber so einfach ist das nicht.
![Aktivist:innen vor einem Gemälde im Museum. Aktivist:innen vor einem Gemälde im Museum.](https://taz.de/picture/5945003/14/31587547-1.jpeg)
W ann die „Gegenwartskunst“ begann, ist umstritten. Gerne wird der abstrakte Expressionismus als Endpunkt der klassischen Moderne markiert und der Beginn der „Gegenwartskunst“ mit dem Jahr 1954, als Jasper Johns mit „Flag“ einen Alltagsgegenstand umformte – die US-Flagge eben. Es war ein erstes Wetterleuchten dessen, was später „Pop Art“ genannt wurde. Manche würden wiederum als erste Ikonen der „Gegenwartskunst“ die Suppendosen-Bilder von Andy Warhol nennen, die einen Konsumgegenstand reproduzierten, den jeder kannte. Jüngst haben Klimaschützer ein Van-Gogh-Bild mit Suppe überschüttet, und der Liebhaber subversiver Selbstreferenzialität in mir hätte natürlich ersehnt, dass Campbell-Suppe über Warhols Campbell-Siebdrucke geschüttet worden wäre. Nun, man kann nicht alles haben.
Dass die radikalen Protestaktionen der Klimaaktivisten nicht nur auf Kunst abzielen, sondern auch Stilmittel avantgardistischer Provokation zitieren (vielleicht nicht mal bewusst), ist ja vielfach bemerkt worden, von der Anti-Kunst des Dadaismus bis über die Schüttbilder von Nitsch, die Übermalungen von Arnulf Rainer oder die Schockstrategien der Aktionskunst. „All art is propaganda“, bemerkte schon George Orwell, und so ist auch jede Zerstörung von Kunst zugleich Kunst und Propaganda. Oder so.
Natürlich kann man gegen die Attacken auf Kunstwerke einiges einwenden, obwohl bisher keine Kunstwerke zerstört werden, sondern vor allem Glasscheiben beschmutzt oder beschädigt wurden, hinter denen sich die Kunstwerke befanden. Ein Einwand wäre: Die Aktionen zwingen Museen, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen, was nicht nur Geld kostet, sondern Museen zu Hochsicherheitsinstitutionen machen kann, und das macht die Welt bestimmt nicht besser. Auch ist bei Protestaktionen zweifellos empfehlenswert, dass die konkrete Aktion des zivilen Ungehorsams in einem nachvollziehbaren Verhältnis zur Botschaft steht. Man besetzt, wenn man gegen Panzerlieferungen protestiert, ja auch eher Panzerfabriken und nicht die Wohnung von Herrn und Frau Maier. „Was kann ein Klimt-Bild für den Klimakollaps?“, die Frage drängt sich nicht nur Spießern auf, die sowieso keine Protestaktionen gut finden würden, also auch nicht, wenn man sich im Morgenverkehr an seinen SUV anklebt. Wenigstens die Spur einer kausalen Assoziationskette kann aber sicher nicht schaden.
Revolution ja, aber schmutzig soll nichts werden. „Extremisten“ und gar „Klimaterroristen“, werden die Aktivisten gescholten, was natürlich Unfug ist. Die Aktionen sind nicht extremistisch, aber sie sind, wie das ein Aktivist nannte, „drastisch“. Das Problem an drastischen Aktionen dieser Art ist, dass sie Mehrheiten abschrecken und womöglich sogar jene gegen die Anliegen der Engagierten aufbringen, die diesen eigentlich mit Sympathie gegenüberstehen.
Warmduscher verändern wenig
Aber die eigentlich interessante Streitfrage ist: Sollen Bewegungen, die eine Gesellschaft radikal verändern wollen, eher Aktionen setzen, die von Mehrheiten sofort unterstützt werden können? Oder ist es erfolgversprechender, auf drastische Weise vorzugehen, um einerseits Mehrheiten zu schockieren und andererseits entschlossene Minderheiten zu aktivieren? Auf diese Schlüsselfrage gibt es keine ganz leichte Antwort, gerade wenn man die Lehren der Geschichte berücksichtigt. Engagierte Minderheiten können Gesellschaften oft besser verändern als Warmduscher, die immer die Zustimmung von allen Seiten ersehnen.
Bringen wir etwas Systematik rein: Zunächst einmal kann man natürlich zu bedenken geben, dass die freundliche Art des Aktivismus, wie sie bisher „Fridays for Future“ setzte und etwa Greta Thunberg zu einer globalen Celebrity machte, viel freundlichen Zuspruch und Solidarität erntete, aber nicht die erwünschten Erfolge hatte, nämlich die entschlossene Öko-Wende. Nur ist mit dem Einwand noch nicht gesagt, dass ein radikaleres Vorgehen erfolgreicher gewesen wäre. Höchstwahrscheinlich wäre es noch „erfolgloser“ gewesen, wenn man unter „Erfolg“ klare, messbare Konsequenzen versteht.
Die Gefahr bei radikalen Aktionen ist nicht nur die der „Kriminalisierung“ des Protestes, sondern vor allem die gesellschaftliche Isolation der Engagierten. Die Gefahr beim moderaten Engagement ist allerdings, dass man wegen des Wunsches, anschlussfähig an Mehrheiten zu bleiben, die gesellschaftsverändernden Forderungen und Programmatiken so weich spült, dass am Ende kaum etwas davon übrig bleibt. Oder im schlimmsten Falle, dass man sich an eine imaginierte Mehrheit so anschmiegt, dass man unfähig wird, diese Mehrheit in die eigene Richtung zu verschieben.
Das ist nicht trivial, wie man andauernd vorgeführt bekommt. Quer über den Globus hat in den vergangenen Jahren eine harte Rechte Politik und Diskurse massiv verändert, und zwar nicht, indem sie „gemäßigt“ oder „vernünftig“ vorging, sondern durch den Extremismus und das tägliche Gift der Verrohung, mit dem sie ganze Gesellschaften kontaminiert hat. Trump, Meloni & Co haben ja nicht Erfolg, weil sie sich sanft und schmeichelweich geben, sondern indem sie rabiat und aggressiv agieren, während die Gegenseite eher defensiv und „vernünftig“ ist.
Diese Tatsache nährt den Verdacht, dass nicht nur „rabiates“ Vorgehen Gefahr läuft, in Isolation zu enden, sondern dass umgekehrt auch zu vernünftiges Vorgehen einer Gefahr ausgesetzt ist, der nämlich, defensiv und wirkungslos zu bleiben.
Fakt ist: Es waren in der Geschichte immer radikale Minderheiten, die Veränderungsprozesse in Gang brachten, indem sie ein Thema auf die Agenda setzten und Gruppen entschlossener Engagierter bildeten, die die Veränderungen in Gang brachten. Noch radikalere Teile dieser Engagierten haben immer „übertrieben“, also breite Teile der Gesellschaft geschockt. Und Moderate wiederum haben danach Mehrheiten gewonnen, die akzentuierten Forderungen in Kompromisse übersetzt, die die Welt im besten Falle weiterbrachten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben