Radfahren in Berlin: Radeln ohne Hirnschaden
Die Hufelandstraße wird zur Fahrradstraße. Das Kopfsteinpflaster wird abgefräst. Warum passiert das nicht auch anderswo?
Fast meditativ radelt ein älterer Herr durch die Hufelandstraße. Den Blick hat er nach unten, auf das Kopfsteinpflaster gerichtet. Anders als früher rumpeln die Reifen nicht über den Untergrund – sie gleiten fast. „Ich bin baff“, sagt der Mann, als er sein Rad zum Stehen bringt. „Einfach toll!“
Die Hufelandstraße ist eine von Platanen gesäumte Straße in Prenzlauer Berg mit kleinen Geschäften und Cafés. Trotz des trüben Himmels sitzen viele Menschen an diesem ersten Novembersonntag im Freien an den Tischen. An einer Ecke steht ein Schild von infravelo Grün Berlin mit dem Hinweis auf die aktuellen Baumaßnahmen: Die Hufelandstraße werde zur Fahrradstraße umgebaut. In zwei Bauphasen geschehe das. „Zuerst sanieren wir die Fahrbahndecke, das Kopfsteinpflaster wird geschliffen.“ Im November sollen die Schleifarbeiten abgeschlossen sein. Der Umbau zur Fahrradstraße mit Markierung und Beschilderung werde witterungsbedingt ab Frühjahr 2026 erfolgen.
An diesem Sonntag ruhen die Fräsearbeiten. Der erste Abschnitt der Hufelandstraße ist bereits abgeschliffen, Montag geht es weiter. Laut sei das, erzählt der Verkäufer des Kiosks, aber alle im Kiez seien begeistert. Wegen des Kopfsteinpflasters wichen die meisten Radfahrer auf die Bürgersteige aus. „Auf dem Pflaster bekommste doch einen Hirnschaden.“
Initiative aus dem Kiez
Träger der Baumaßnahmen, die laut einem Zeitungsbericht 600.000 Euro kosten, ist die Senatsverwaltung für Verkehr und Umwelt und das Bezirksamt Pankow. Die Initiative, aus der Hufelandstraße mitsamt des Kopfsteinpflasters eine Fahrradstraße zu machen, sei aus dem Kiez gekommen, heißt es in dem Bericht. Das Projekt sei ein Pilot.
Das stimmt so nicht. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat bereits im März in einem kurzen Teilstück des Priesterwegs das Kopfsteinpflaster abfräsen lassen. Wie die zuständige Bezirksstadträtin Saskia Ellenbeck seinerzeit bei einem Ortstermin sagte, wurde damit eine Lücke der beliebten Nord-Südradroute vom Südkreuz in den Südwesten geschlossen. Zuvor habe es massive Beschwerden über Radfahrer auf den Bürgersteigen gegeben. Die zunächst geplante Asphaltierung hätte eine zusätzliche Versiegelung bedeutet und wäre deutlich teurer geworden, weil dadurch neue Entwässerungsbauten erforderlich geworden wären, so Ellenbeck.
Die Kopfstein-Optik bleibe erhalten, es entstehe eine gleichmäßige Oberfläche zum Befahren. Fahrgeräusche würden gemindert und Regenwasser könne weiterhin versickern. Die Methode des Abfräsens biete die Möglichkeit, auch besonders denkmalgeschützte Kopfsteinpflasterflächen mit weniger Aufwand zu sanieren, so die Stadträtin.
Wenn das so möglich ist, stellt sich die Frage, warum nicht auch in anderen Teilen Berlins auf diese Weise Konflikte gelöst werden. Zum Beispiel in der Kurfürstenstraße in Mitte. Der von Radfahrern stark frequentierte Abschnitt zwischen Potsdamer Straße und Park am Gleisdreieck besteht aus großem, unebenem Kopfsteinpflaster. Zum Leidwesen der Anwohnerschaft und Fußgänger weichen auch dort fast alle Radfahrenden auf die Bürgersteige aus.
Es war im Mai, als die taz mit Blick auf den Erfolg im Priesterweg beim Bezirksamt Mitte wegen der Kurfürstenstraße nachgefragt hatte. Die Antwort: Erst durch eine „grundhafte Umplanung“ der Kurfürstenstraße ließen sich die bemängelten Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern beheben. „Bisher ist jedoch nicht bekannt, ob die Senatsverwaltung hierzu bereits Bemühungen angestellt hat.“
Keine weiteren Straßen identifiziert
Also Nachfrage bei der Senatsverwaltung für Verkehr und Umwelt. Konzeptionell beschäftige man sich mit der Frage, ob das Abfräsen von Kopfsteinpflasterstraßen analog Priesterweg ein adäquates Mittel zur Führung des Radverkehrs sei, so die Antwort. „Diese konzeptionellen Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen, sodass noch keine weiteren denkbaren Straßen identifiziert worden sind.“ Zudem gebe es unterschiedliche Pflaster- und Verlegearten, nicht jede Örtlichkeit sei geeignet. Relevant seien auch die Länge der Straße, die Lage im Radverkehrsnetz und die Kosten.
Das war im Mai. Die Hufelandstraße zeigt nun: Wo ein Wille, da ein Weg.
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