: RAF-Aussteigerprogramm kippelt
Nachdem Christoph Seidler zurückgekehrt ist, fürchtet Bonn weitere „unangenehme Wahrheiten“. Verfassungsschützer „Benz“ wehrt sich gegen falsche Darstellung seiner Rolle ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) – Der nach der Aufhebung des Haftbefehls gegen Christoph Seidler entflammte Streit um das sogenannte „RAF- Aussteigerprogramm“ des Bundesamts für Verfassungsschutz steht offenbar vor der Entscheidung. Die Bild-Zeitung hatte gemeldet, Verfassungsschutzchef Peter Frisch sei für morgen ins Bundeskanzleramt einbestellt, um sich die Direktive zur Einstellung des Programms zur Relegalisierung mutmaßlicher oder ehemaliger Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) abzuholen.
Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) dementierte umgehend. Die Fortführung der Bemühungen des Verfassungsschützer mit dem Decknamen „Hans Benz“ müsse „im Lichte der Gefährdungslage geprüft und entschieden“ werden. Zuständig sind Innen- und Justizministerium. Tatsächlich steht die Frage morgen auf der Tagesordnung, aber nicht im Kanzleramt, sondern bei der „Lage“ im Innenministerium, wo auch der Kölner Amtschef Frisch anwesend sein wird.
Auf Nachfrage der taz reagierte Verfassungsschützer „Benz“ mit einer Stellungnahme zu dem Bild- Bericht, der seine Rolle in weiten Teilen falsch widergebe. So habe er dem als Herrhausen-Attentäter und RAF-Mitglied gesuchten Christoph Seidler niemals „Strafmilderung in Aussicht gestellt, sondern zwischen ihm und dem Generalbundesanwalt vermittelt“. Seidlers erklärtes Ziel sei „von Beginn an der Kontakte gewesen, sich zu stellen“. Er habe ihn, „Benz“, in die Lage versetzt, das Alibi bezüglich des Herrhausen-Anschlags im November 1989 zu überprüfen. Das Ergebnis sei bekannt. Und wörtlich: „Unter anderem die Offenlegung meiner Recherchen eröffnete Seidler die Chance, seine Unschuld zu beweisen. Diese Wahrheit scheint nicht angenehm zu sein.“
Das Aussteigerprogramm war vor rund zehn Jahren vom damaligen Verfassungsschutzchef Gerhard Boeden initiiert worden. Es soll im Untergrund lebenden Linksradikalen die Rückkehr in die Legalität erleichtern. Die „Hilfe“ des Verfassungsschutzes besteht zum einen darin, den Betroffenen über Kontaktpersonen die Möglichkeit zu eröffnen, sich über die ihnen zur Last gelegten Vorwürfe zu informieren. Zum andern sollen sie zu den Tatvorwürfen aus ihrer Sicht Stellung nehmen können. Im Fall Christoph Seidlers hat „Benz“ das von dem Gesuchten angegebene Alibi – Seidler lebte danach zwischen 1987 und 1992 durchgehend im Libanon – überprüft. Das führte schließlich zur Aufhebung des Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, nur Stunden nachdem sich Seidler am vorletzten Freitag gestellt hatte.
Brisant wäre die Beendigung des Aussteigerprogramms vor allem deshalb, weil Seidler vermutlich nicht die einzige Person war, die zu unrecht auf den RAF-Fahndungsplakaten des Bundeskriminalamts abgelichtet ist. Darauf hat nicht nur die RAF-Gefangene Eva Haule bei Vernehmungen im Zusammenhang mit dem Seidler- Verfahren hingewiesen. Auch in Sicherheitskreisen verdichten sich entsprechende Hinweise. Mindestens zwei der sechs angeblichen RAF-Mitglieder, nach denen noch gefahndet wird, waren nach taz-Informationen nie Mitglied der Gruppe. Sollten die Betroffenen sich entschließen, Seidler in die Legalität zu folgen, würde sich die Blamage für die Sicherheitsbehörden potenzieren.
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