piwik no script img

Querverlag feiert 25-jähriges Jubiläum„Lieber ins Wespennest stechen“

Ilona Bubeck und Jim Baker gründeten 1995 in Berlin den lesbisch-schwulen Querverlag. Ein Gespräch über die Anfänge und das Heute.

Hatten und haben Spaß als VerlergerInnen: Jim Baker und Ilona Bubeck; ein Bild von 2005 Foto: Querverlag
Stefan Hunglinger
Interview von Stefan Hunglinger

taz: Frau Bubeck, vor 25 Jahren haben Sie zusammen mit Jim Baker den Querverlag gegründet. Wie erinnern Sie sich an das Jahr 1995 in Berlin?

Ilona Bubeck: Ich war nach der Wende auf unglaublich vielen Demos mit meiner gemischten Frauengruppe. Da waren schwarze, weiße, jüdische Frauen dabei, und wir hatten große Sorge, auch damals, vor dem Rechtsruck. Auf der einen Seite also Euphorie und auf der anderen Seite dieser zunehmende Nationalismus. Das hat mich in dieser Zeit sehr mitgenommen und geprägt. Das andere war, dass ich damals beim Orlanda-Frauenverlag aufgehört habe. Jim Baker, der in einem Schwulenkollektiv gearbeitet hat, kannte ich schon lange. Wir haben uns viel getroffen und schließlich entschieden, zusammen einen professionellen Verlag zu machen.

Im Interview: Ilona Bubeck

geboren 1951 auf der Schwäbischen Alb. Seit 1995 leitet sie mit Jim Baker den Querverlag, wo sie u.a. für die Finanzen zuständig ist. Zuvor war sie Teil des Orlanda-Frauenverlages. Sie engagiert sich bei Lesben gegen Rechts und ist Teil des Regenbogencafés Falkensee.

War die schwul-lesbische Zusammenarbeit damals etwas Ungewöhnliches?

Für Jim war es nicht ungewöhnlich, weil er in den USA lange in einem lesbisch-schwulen Buchladenkollektiv gearbeitet hatte. Hier wollte er nicht mehr in einem rein schwulen Kollektiv arbeiten. Für ihn war klar, wenn er einen eigenen Verlag macht, dann nur mit einer Lesbe zusammen. Für mich war es ungewöhnlich, weil ich aus sehr starken feministischen Zusammenhängen komme. Aber ich bin schon immer sehr bündnisorientiert und war nie Separatistin. Arbeitstechnisch haben wir uns wunderbar ergänzt, bis heute. Wir haben gelernt, über alles zu reden, weil es natürlich viele Unterschiede gab und gibt zwischen Lesben und Schwulen und auch zwischen trans und inter und allem, was dazukommt. Es waren schon auch Gegensätze, die aufeinanderprallten, aber wir haben das eher mit Neugierde aufeinander und mit Diskussionsfreude gemeistert.

War und ist der Querverlag ein linkes Unternehmen?

Die Definition ist sicher für viele unterschiedlich – aber für mich ganz klar: Ja. Das könnte ich nicht infrage stellen. Falls die Frage auf unsere „Kreischreihe“ zielt: Für mich gehört zu einem linken Projekt, dass man miteinander streiten kann, dass man eine Meinung bildet, Zweifel zulässt, und das Infragestellen. Mir fehlt das sehr stark.

Darauf zielte diese Frage noch nicht. Aber ja, 2017 sorgte der in Ihrer „Kreischreihe“ erschienene Band „Beißreflexe“ für heftige Diskus­sio­nen und kürzlich der nicht weniger polemische Titel „Irrwege“. Kritiker*innen sprechen von „unsolidarischer Kritik“.

Ich sehe das nicht so. Umgekehrt sind die Angriffe auf linke Kritiker*innen des queeren Aktivismus auch nicht solidarisch. Auslöser dafür, dass die Idee der Reihe bei mir auf offene Ohren stieß, war eine persönliche Erfahrung. Im SchwuZ gab es 2016 die Veranstaltung „Dyke Out!“. Schon im Vorfeld wurde Sookee (eine daran teilnehmende Rapperin – Anm. d. Red.) als transfeindlich bezeichnet, und Monika Herrmann wurde als Bürgermeisterin Rassismus vorgeworfen. Ich kenne beide Frauen sehr gut, und mit beiden kann man sich inhaltlich auseinandersetzen und streiten. Aber das war nur noch eine Verleumdungskampagne. Ich habe damals versucht zu argumentieren und wurde übel beschimpft und als TERF (trans ausschließende, radikale Feministin – Anm. d. Red.) abgetan. Ich wusste damals noch gar nicht, was das heißt. Die Auseinandersetzungen sind also selten solidarisch. Klar kann man darüber streiten, ob Polemik das richtige Mittel ist. Ich glaube, um etwas aufzuzeigen, schon. Das macht ein guter Kabarettist, eine gute Kabarettistin auch.

Der Querverlag

Deutschlands erster lesbisch-schwuler Verlag feiert im August 25-jähriges Jubiläum. Am 14. August 1995 wurde der GmbH-Vertrag für den Querverlag ausgehandelt und beschlossen; einen Monat später erfolgte die Aufnahme in die IHK.

Der Querverlag verlegt Romane und Sachbücher. Ein Schwerpunkt liegt auf erotischer Literatur. Annamarie Jagoses Standardwerk „Queer Theory – Eine Einführung“ erschien hier erstmals auf Deutsch.

Im Herbstprogramm zum 25-jährigen Jubiläum des Verlags findet sich u. a. Aimée Ducs „Sind es Frauen? Ein Roman über das dritte Geschlecht“, der 1901 zuerst erschien, und „Erinnern in Auschwitz. Auch an sexuelle Minderheiten“, herausgegeben von Joanna Ostrowska, Joanna Talewicz-Kwiatkowska und Lutz van Dijk. (sah)

Das klingt ein bisschen nach „Die anderen haben angefangen“.

Ich würde mir schon wünschen, dass wir zurückgehen zur inhaltlichen Diskussion. Aber ich bin auch eine, die lieber mal in ein Wespennest sticht, als diese falsche Harmonie mitzumachen, die nicht stimmt und uns politisch nicht weiterbringt. Andere empfinden das als unsolidarisch. Ich würde sagen, es ist der einzige Weg, eine freiheitsliebende, demokratische Bewegung zu sein. Der Name Querverlag stand für mich immer für das Querdenken, auch wenn das mittlerweile von rechts vereinnahmt wird.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 25 Jahre des Querverlages?

Dass wir weiterhin mit so klugen, streitbaren, innovativen und kreativen Autor*innen zusammenarbeiten dürfen und dass unsere Bücher LGBTTIQ*-Menschen sowie anderen Interessierten auch weiter Lesevergnügen und geistige Anregung bieten. Wir wollen uns weiter politisch einmischen, die Bewegungsgeschichte dokumentieren, literarische Talente und junge Autor*innen entdecken und fördern und immer mal wieder außergewöhnliche Buchprojekte verwirklichen. Und da wir nicht mehr die Jüngsten sind, würden wir uns natürlich freuen, eines Tages den Verlag an jüngere Idealist*innen weiterzugeben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!