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Queeres Berlin„Die Welt ist vielfältig“

Normalerweise ist der Sommer die Zeit für die Pride-Paraden. Nun findet in Berliner der erste Winter-CSD statt. Marcel Voges weiß, warum.

Bald auch über Schnee? Die Regenbohnenfahne in Berlin Foto: Anna Ross/dpa
Interview von Leonore Kogler

taz: Herr Voges, Sie sind Vorstand des CSD-Vereins. Wann wurde entschieden, dass es dieses Jahr einen Winter-CSD geben soll?

Marcel Voges: Dieses Jahr findet der erste Winter-CSD in der Historie der deutschen CSD-Bewegung statt. Der Hintergrund ist, dass wir eigentlich zur Bundestagswahl im Herbst 2025 eine bundesweite Kampagne machen wollten.Ursprünglich natürlich für die CSD-Saison im Sommer. Dann ist der Bruch der Koalition gekommen und der neue Wahltermin. Zum Glück waren wir mit der Planung schon so weit, dass wir die Kampagne früher an den Start bringen können. Deswegen machen wir jetzt bundesweite CSD-Demonstrationen im Winter.

taz: Warum der Bezug auf die Bundestagswahl?

Voges: Wir erleben gerade ein gesellschaftliches Rollback. Die Queerfeindlichkeit nimmt zu, trans* Menschen wird ihr Geschlecht abgesprochen, der Ton im Internet wird immer rauer. Wir haben festgestellt, dass wir uns gegen demokratiefeindliche Kräfte zur Wehr setzen wollen, denn wir wollen nicht in einer Welt leben, in der Hass und Spaltung regieren. Für uns ist Liebe die Alternative zu Hass.

taz: Ist das nicht ein bisschen kitschig?

Voges: Ja, es ist auf jeden Fall kitschig. Aber es ist auch eine Botschaft, mit der viele Menschen die queere Community verbinden! Es geht ja darum, dass queere Menschen einfach lieben wollen, wen sie wollen. Die Welt ist vielfältig und bunt. Der Spaltungstendenz in der Gesellschaft und dem hasserfüllten Ton, der zum Teil von Po­li­ti­ke­r:in­nen gesendet wird, wollen wir Liebe entgegensetzen.

taz: Es ist auch das erste Mal, dass ein CSD unter einem Motto steht, oder?

Voges: Ja, und es ist auch das erste Mal, dass wir so eine bundesweite Kampagne machen. Das ist einmalig, weil die Situation im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten einmalig ist. Wir merken, dass wir an einem Scheidepunkt stehen. In Amerika gibt es laut der Regierung nur noch zwei Geschlechter, und es wäre nicht überraschend, wenn solche Entwick­lungen auch in Europa ankommen. Deswegen müssen wir uns jetzt unterhaken und zusammenhalten.

taz: Auch in Golßen, wo die AfD bei den letzten Landtagswahlen fast 50 Prozent der Stimmen bekommen hat, gibt es am Samstag einen CSD. Wie sehen Sie dem entgegen?

Voges: Wir haben schon in der CSD-Saison im Sommer gemerkt, dass uns die Rechtsextremen stark in den Fokus nehmen und auch vermehrt gegen CSD-Demonstrationen mobilisieren. Aber die Unterstützung durch zivilgesellschaftliche Organisationen ist groß, und wir haben viele Bündnisse geschmiedet. Die Gefahr besteht leider immer, wir müssen uns alle darauf vorbereiten.

taz: Bei einer Umfrage unter Nutzern der Plaform GayRomeo haben 27 Prozent der teilnehmenden Personen angegeben, die AfD zu wählen. Auch wenn das keine repräsentative Umfrage ist, äußert sich trotzdem eine rechtsextreme Tendenz. Ist das im CSD-Verein gerade ein Thema?

Voges: Ja, auf jeden Fall. Es gibt uns allen Grund zur Sorge, dass es solche Tendenzen auch innerhalb der queeren Community gibt. Unser Fokus liegt vor allem auf überzeugen, überzeugen, überzeugen. Es sind nach aktueller Informationslage vorrangig schwule Männer, die dazu tendieren, die AfD zu wählen und das ist eine Form von Entsolidarisierung mit Teilen der Community. Es waren vor allem Transmenschen, die die Grundsteine der queeren Community gelegt haben und gegen die jetzt von rechten Kräften mobilisiert wird. Unsere Haltung als Verein ist klar: Es muss die gesamte Community geschützt werden. Wir lassen uns nicht spalten und wir halten zusammen. Trotzdem müssen wir uns damit auseinandersetzten, dass wir womöglich innerhalb der Community ein Problem mit der Wahl rechtsextremer Parteien haben, wofür wir neue Strategien brauchen.

taz: Was erhoffen Sie sich vom Winter-CSD in Berlin?

Voges: Einerseits erhoffe ich mir natürlich, dass wir besonders viele werden und wir zeigen, dass es wichtig ist, Minderheiten zu schützen. Ich wünsche mir, dass wir als queere Community nochmal enger zusammenrücken. Ich wünsche mir auch, dass wir trotz allem eine gute Zeit haben und alle gut durch den Tag kommen. Und dadurch auch einen kleinen Einfluss auf die Bundestagswahl haben.

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