Queere portugiesische Komödie „Irrlicht“: Wo man alle Wünsche ausleben kann
Der Regisseur João Pedro Rodrigues wechselt in seiner Komödie „Irrlicht“ vom Grotesken zum Queeren und zum Musical. Einen Prinzen gibt es auch.
Der König liegt im Sterben, klein und karg ist das Zimmer, an seinem Bett spielt ein Junge mit einem kleinen Feuerwehrauto. An der Wand ein Historiengemälde, darauf kleinwüchsige schwarze Menschen. Wir schreiben das Jahr 2069, genauer gesagt schreibt der Film es, knallrot, in großen Buchstaben, mitten ins Bild. Kurz vorher flog draußen ein Raumschiff vorbei. Aus diesem Raum der Zukunft geht es bald zurück, sodass wir in der Nähe unserer Gegenwart, nämlich 2011, wenn auch nie so ganz in unserer Wirklichkeit sind.
Der König ist hier noch jung, ist noch Prinz (Mauro Costa), ein schmächtiger Mann mit Locken und krissligem Bart. Er sitzt mit Mutter Königin und Vater König am prächtigen Tisch, ein Gemälde im Hintergrund, im Vordergrund eine Tür, verstohlene Blicke gelten uns oder der Kamera, oder dem gewöhnlichen Volk, mit dem die Königsfamilie rechnet.
Der Prinz, Alfredo sein Name, verkündet, er möchte Feuerwehrmann werden. Es geht ihm nicht zuletzt um den Wald, er liebt die Bäume, er fürchtet ihr Verschwinden durch Raubbau und Umweltzerstörung. Die Eltern nehmen ihn nicht richtig ernst, so ganz passt das nicht zu einem König, aber bald darauf sehen wir ihn auf dem Revier, dann bei einer Übung und auch bei Tanz und Gesang. Alfredo entbrennt in Liebe zu seinem schönen schwarzen Ausbilder namens Afonso (André Cabral). Der rettet ihn aus dem Qualm, Alfredo probt an Afonso die Wiederbelebung mit kiss of life und Druck auf die Brust.
Klingt alles normaler, als es im Film ist. Schließlich war da bereits das Ballett der Feuerwehrleute im Hof, Frauen und Männer, angeführt von der Kommandantin (Cláudia Jardim), deren Körperfülle hinreißend ist.
„Irrlicht“ (Portugal 2022, Regie: João Pedro Rodrigues). Die DVD ist im Handel ab rund 15 Euro erhältlich.
Zwischendurch wird Greta Thunbergs große UN-Rede deklamiert, weil ja ohnehin schon große Themen anwesend sind. Wenn auch in einer Form, die nach konventionellem Verständnis nicht passt. In einem Film, der zwischendurch mit viel Schwung und voller Überzeugung zum Musical wird. Um dann eine scharfe Kurve zu nehmen in Richtung Pornografie: Alfredo holt Afonso und Afonso Alfredo einen runter, die Kamera bewegt sich schmiegsam um die nackten Körper am Boden herum. Die erigierten Schwänze sind allerdings sichtlich Attrappen.
Kolonialgeschichte mit Genre-Hopping
Zum verbalen Liebesspiel, beim Sex, aber auch nach dem Sex, am Steuer des Feuerwehrautos, hauen sich die beiden Rassistisches um die Ohren. Um Kolonialgeschichte geht es, aber vor allem als Teaser. Das Ernste wird immer sogleich in etwas Groteskes, das Groteske ins Musical, das Musical ins Queere, das Queere in die Komödie überführt. Es ist ein Genre-Hopping in kristallklaren Kompositionen des großen Kameramanns Rui Poças, der auch die Bilder zu Lucrecia Martels „Zama“ oder Miguel Gomes’ „Tabu“ gemacht hat.
João Pedro Rodrigues hat noch nie Filme gedreht, die sich irgendetwas Herkömmlichem fügen. Mit Latexsex und Müllabfuhr (sein Debüt „O Fantasma“). Mit Geschlechtsumwandlung und Katholizismus („To Die Like a Man“). Mit Schwarzstörchen und chinesischen Pilgerinnen (zuletzt: „Der Ornithologe“). Als Melodram, mit Gesang.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Irrlicht“
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Mit Leichtigkeit treibt er es, wie heikel der Gegenstand auch sein mag, freudig sehr weit. Nichts Menschliches, keine Perversion ist ihm fremd, vielmehr geht es genau darum: Welten zu schaffen, in denen alle Triebe, alle Wünsche sich ungeniert ausleben können, solange es keinen Schaden verursacht.
Auch diesmal bringt er in einer guten Stunde so einiges unter. Genreangabe: „Eine musikalische Fantasie“. Eine Komödie, wenn man so will, weil sie die Form ist, die so ziemlich alles erlaubt. Auch den Stillstand, den Blick in die Bäume, recht licht ist der Wald. Dazu Gesang.
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