Queens-Club für heterasexuelle Frauen: Erotik ohne Patriarchat
Für drei Wochen eröffnet auf Hamburg-St. Pauli ein Kunst-Club mit Performern, die sich den weiblichen Besucher*innen persönlich widmen.
Eidglas übergibt die kleine Liste, von der er einige Punkte vorgelesen hat. Hinter dem Vorhang wird man also zur Queen. Eine Symbolik, die markieren soll, dass man sich hier keinen männlichen Wünschen fügen muss, manche Queens setzen Goldkronen auf, die sie von Eidglas bekommen haben. Neue Queens werden mit Applaus begrüßt.
Der Heteraclub ist gelb und rot beleuchtet, es ist wahnsinnig warm und riecht leicht nach Schweiß und Parfum. Auf einer Art Futon sitzt ein Mann und spielt auf einem Hang, einem Blechklanginstrument, das wie eine Wokpfanne mit Deckel aussieht und beim Schlagen dunkle Melodien erzeugt. Zu diesen Tönen trainieren oberkörperfreie Männer und eine Frau auf Yogamatten ihre Bauchmuskeln.
Die Frau heißt Sibylle Peters und steht hinter dem Konzept des Heteraclubs. Sie hat kurze Haare und trägt eine schwarze Leggins, darüber eine rote Unterhose, obenrum ein tief ausgeschnittenes schwarzes Top und einen roten BH. Um den Hals eine dicke Goldkette mit den Buchstaben „Pimp“, dem englischen Begriff für Zuhälter. „Das ist meine Selbstbezeichnung hier im Club“, sagt sie. „Was immer die Queens von den Performern wollen, klären sie erst mit mir. Ich teile sie dann entsprechend zu für Eins-und-Eins-Performances im Separée. Von daher bin ich hier vielleicht wirklich so etwas wie ein Zuhälter“, sagt sie und grinst.
Do, 20. 2., bis So, 23. 2., ab 16 Uhr, Hamburg, Angelklub, St. Pauli Fischmarkt 18; queens-hamburg.com
„Ich lebe seit 25 Jahren auf Sankt Pauli und hatte langsam die Schnauze voll“, sagt sie. Vom Rotlichtviertel, das komplett auf hetero-männliche Begierde abgestimmt sei. „Die Annahme, dass Heterosexualität etwas Gleichberechtigtes sein soll, ist einfach falsch“, sagt sie. „Wir Frauen performen nur in heterosexuellen Szenarien und sollen Reize setzen. Single zu sein, bedeutet Druck. Stimmt mein Gewicht, meine Körperbehaarung, mein Alter? Es geht kaum um die Lust der Frau, die Heterasexualität.“
So hat die Performance-Künstlerin einen Raum geschaffen, der es sich zur Aufgabe macht, das Patriarchat für ein paar Stunden auszuhebeln, drei Wochen lang von Donnerstag bis Samstag, bis zum 23. Februar. Das Queens ist eine Koproduktion mit Kampnagel, der Elbkulturfonds fördert das Projekt. 20 Euro kostet der Eintritt, ermäßigt neun. Mit im Preis ist eine Eins-und-eins-Performance von einer halben Stunde.
Der Abend beginnt aber in der Lounge. Dort hat Charlotte, Sibylles „Co-Pimp“ in einem goldenen Negligé, sich gerade ein Mikrofon geschnappt. „Wir spielen jetzt Entweder-Oder“, sagt sie zu den Performern und den fünf Queens, die sich mittlerweile eingefunden haben. Sie macht elektronische Musik an und tanzt auf der Stelle. „Sanft“, sagt sie und zeigt rechts neben sich auf eine kleine Bühne „oder heftig“. Sie deutet nach links. „Oben oder unten“, sagt Charlotte. Bei „Dirty Talk oder Mund halten“ lächelt sie. „Habt ihr vielleicht ein paar Beispiele für mich?“, fragt sie und hält das Mikro in die Runde. Die meisten ducken sich weg.
Es folgen Wahrheitsspiele, wo die Queens einander Geschichten aus ihrem Leben erzählen können. Es geht nicht nur um Sex, sondern auch um Herzschmerz und Einsamkeit. Auch für Emotionen ist Platz. „Queens unterstützen sich gegenseitig“, sagt Sibylle,. „Es ist in Ordnung, verwundbar zu sein.“ Dann ruft sie alle Queens zu einem Sitzkreis auf dem Futon zusammen. Es geht um die Einzelperformances.
Sibylle deutet auf die Performer, die noch arbeitslos an der Bar sitzen und quatschen und erklärt die Schwerpunkte der jeweiligen Darbietung. Die variieren von einer Feuerperformance mit Wachs bis hin zu einer Aggressionsveranstaltung, in der ein Mann im Ganzkörperschutz den Queens anbietet, an ihm Rache zu üben für alles, was Männer ihnen je angetan haben. Eine feingliedrige Queen in den Sechzigern ist erschrocken: „Ehrlich?“ „Er hat gesagt, er sei hier, um um Verzeihung zu bitten“, sagt Sibylle und nickt. Dann habe sie Lust darauf, sagt die Queen.
Sich Männern auf diese Art und Weise zuzuteilen, ohne dass sie das mitbestimmen dürfen, wirkt seltsam. Aber an diesem Ort ist es das nicht. Die Queens wählen keinen Mann, sondern eine Show, die dieser Mann gestaltet hat und mit der er sich wohlfühlt. Die Performer verschwinden nun durch einen weiteren Vorhang, um sich vorzubereiten. Dann geht es los.
Die Eins-und-eins-Performances finden im ersten Stock statt. Es geht aus der brütenden Hitze des Clubs am Notausgang vorbei durch ein unbeheiztes Treppenhaus in einen warmen Gang mit Kronleuchter an der Decke. An den Seiten sind kleine Kabinen aufgebaut und Eidglas ist wieder da. Er hat sein Jackett ausgezogen und trägt jetzt ein schwarzes Bustier und dunkelroten Lippenstift. „Einfach klopfen“, sagt er aufmunternd und deutet auf eine der Kabinen, in der eine Performance namens „Geschäftsreise“ bei Viktor stattfinden soll. Niemand antwortet auf das Klopfen. „Geh einfach trotzdem rein.“ Im Raum scheint niemand zu sein. Da steht eine Wand mit einem Guckloch, davor ein Stuhl.
Gesteuerte Berührungen
Durch das Loch spähend sieht man Viktor nun doch, der sich nackt durch den Raum bewegt, sich langsam setzt, aufsteht, seine Muskeln an- und entspannt und einem dabei den Rücken zuwendet. Schließlich dreht er sich um, kommt zum Guckloch zurück und späht hindurch. „Hi“, sagt er. „Willst du auf Geschäftsreise gehen?“ Er schiebt ein paar Zettel unter der Stellwand hindurch, es ist eine erotische Geschichte, die man vorlesen soll. Dabei berührt er einen sanft oder heftiger, je nachdem, wie schnell man liest.
Das ist der Moment, in dem Grenzüberschreitung wahrscheinlich am leichtesten passieren kann, aber es fühlt sich alles sicher an. Man muss hier zu nichts nein sagen, es reicht völlig, dass man nicht ja sagt. Es passiert nichts, wenn man nicht selbst den Anstoß gibt. Sibylle wird später erzählen, dass sie für diese Art der Sensibilisierung monatelang mit Sexualbegleiter*innen und Trainer*innen zusammengearbeitet hätten.
Es ist eine ganz neue Art der Selbstverantwortung. Eine, von der viele glauben, es gäbe sie bereits für alle, aber hier merkt man, dass das nicht stimmt. Es ist ein Gefühl, das es erschwert, den Club später wieder zu verlassen und auf die kalte Straße zu treten. Das „Queens“ wird sich noch Stunden danach realer anfühlen als die schweigenden Menschen in der U-Bahn. Überall schwingt noch eine Weile die Trauer mit, zurückgekehrt zu sein aus einer Welt ohne Patriarchat.
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