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Quartiersmanagerin über 1. Mai„Eine klare Win-win-Situation“

Die hedonistische MyGruni-Demo im Villenkiez Grunewald setzt in diesem Jahr auf eine neue Strategie: Superreiche sollen ins All geschossen werden.

Vielleicht finden sich im Villenviertel ja Freiwillige für den One-Way-Trip zum Mars Foto: IMAGO / A. Friedrichs
Timm Kühn
Interview von Timm Kühn

taz: Frau Frauke Geldher, der Weltraum mit seinen unendlichen Weiten war früher ein Sehnsuchtsort für Zukunftsutopien, heute ist er eine Spielwiese für den Größenwahn einiger Superreicher. Was will die Grunewald Space Agency dem entgegensetzen?

Frauke Geldher: Das Weltall ist immer noch ein Sehnsuchtsort – nur sind die Sehnsüchte sehr unterschiedlich. Gerade sehen wir, wie reiche Oligarchen den Planeten mit seinen Be­woh­ne­r:in­nen kaputt machen, wie sie in ihren Zielen total abgehoben sind. Sie wollen kein funktionierendes Gesundheitssystem mehr, sondern individuelle Unsterblichkeit, keinen Wohnraum für alle, sondern Luxusbunker. Und da sagen wir: Dann lasst uns doch trennen. Ihr bekommt das unsterbliche, künstliche Leben auf dem Mars, wir die Ressourcen, unsere terrestrischen Probleme zu lösen – eine klare Win-win-Situation.

Im Interview: 

Frauke Geldher (Name ist Programm) ist 42 Jahre alt und Pressesprecherin der „Grunewald Space Agency“ vom Quartiersmanagement Grunewald

taz: Wird es für die Superreichen die Möglichkeit geben, zur Erde zurückzukommen?

Geldher: Wir bieten One-Way-Tickets an. Wir gehen davon aus, dass sie sich da oben sehr wohlfühlen werden. An mehr haben wir ehrlicherweise auch nicht gedacht. Aber das sind ja alles innovative Köpfe, wir sind sicher, die werden sich was einfallen lassen, falls sie zurückwollen.

taz: Dürfen auch Po­li­ti­ke­r:in­nen auf den Mars umsiedeln?

Geldher: Also zunächst wollen wir Mil­li­ar­dä­r:in­nen den Weg ebnen. Aber wir alle wissen: Ökonomische Macht geht mit politischem Einfluss einher. Wir gehen davon aus, dass es da einen Pullfaktor geben wird – und manche Po­li­ti­ke­r:in­nen mitfliegen. Wir sagen: Musk, Milei und Merz first!

taz: Ihr Raumschiff ist das „Antinationale Space Shuttle MyAss“. Klingt, als haben Sie es nicht so mit Grenzen. Ist Superreiche ins All zu schießen aber nicht auch eine Form der Abschiebung?

Geldher: Nein, das basiert ja alles auf Freiwilligkeit. Wir sehen klare Anzeichen, dass die Superreichen dieser Menschheit und ihrer Probleme überdrüssig sind. Also gehen wir davon aus, dass sie dieses Angebot mit Freuden annehmen werden.

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Die Demo MyGruni betreut den Problemkiez Grunewald nun schon seit 2018. Jedes Jahr am 1. Mai machen Sie auf die vielen Missstände vor Ort aufmerksam, zum Beispiel auf die verbreitete Steuerkriminalität. Ist Ihr neuer Ansatz nicht auch eine Form der Resignation? Man schießt die Reichen ins All – statt langfristig Sozialarbeit zu leisten?

Geldher: Ja, das ist natürlich auch eine Reaktion auf die Sparpolitik in Berlin und überall. Wer hat schon noch Geld für langjährige Sozialarbeit? Wir haben einfach nicht mehr die Mittel, die Reichen zu betreuen, deshalb jetzt dieses Angebot.

taz: Wir interessieren uns natürlich auch für die Umweltfolgen Ihres Vorhabens. Ist denn damit zu rechnen, dass die Villengegend im Grunewald Schaden nimmt?

Geldher: Es wird zu keinen Umweltschäden kommen. Unsere Autonomen Space Worker sind seit Jahren in der Gegend aktiv, uns liegt das dortige Ökosystem aus Zuchtorchideen und Rassehunden am Herzen. Unser Space Shuttle ist natürlich nicht emissionsfrei – aber da extremer Reichtum die größte Klimasauerei überhaupt ist, sind wir zuversichtlich, dass die CO₂-Bilanz unseres Vorhabens schon jetzt positiv ist.

taz: Was planen Sie am 1. Mai konkret?

Geldher: Das Areal rund um den ehemaligen Johannaplatz wird ab 13 Uhr zum Cape Gruneval umgestaltet. Um diesen zentralen Raumfahrtcampus gibt es fünf verschiedene Kundgebungen, die durch eine Orbiterdemo ab 12 Uhr beständig verknüpft werden, sodass wir diesen gesamten Bereich als autonome Space Force fluten können. Auf jeder dieser Kundgebungen können sich Interessierte über verschiedene Aspekte des „MilliardeXit“, wie wir unser Raumfahrtprogramm nennen, informieren.

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1 Kommentar

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  • Die Betreuung der Superreichen ist inzwischen zu einer echten Zumutung geworden. Wir stehen am Rand unserer Kräfte, psychisch wie infrastrukturell. Es handelt sich hier um einen hochkomplexen Langzeitfall – man könnte sagen: austherapiert. Jede Hoffnung auf eine nachhaltige Besserung, geschweige denn eine vollständige Rückführung in ein funktionierendes Sozial- und Umweltgefüge, wurde mittlerweile ad acta gelegt.

    Die Symptome? Schwerste Störungen im Bereich Empathie und Realitätswahrnehmung, begleitet von chronischem Besitzdrang, Größenwahn und dem unerschütterlichen Glauben, die Welt sei bloß eine große Bühne für ihr Ego. Die Diagnose: akuter Omnipotenzkomplex mit zwanghaftem Macht- und Renditetrieb.

    Die Kommunen stöhnen unter der Last. Ob Steuervermeidung, Ressourcenverschwendung oder soziale Spaltung – es bleibt am Ende immer an der Allgemeinheit hängen, das Chaos aufzuräumen. Von der Mülltrennung in ihren Privatjets bis zur CO₂-Kompensation für Yachten mit Helikopterlandeplatz – es sind Aufgaben, die eigentlich ganze Ministerien bräuchten. Stattdessen müssen Ehrenamtliche in Landratsämtern erklären, warum der Hubschrauberlandeplatz im Naturschutzgebiet keine gute Idee ist.