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Putins verlängerte PräsidentschaftRusslands postmoderne Verwirrung

Kommentar von Inna Hartwich

Wladimir Putin hat den politischen Wettbewerb schon vor Jahren ausgerottet. Der Präsident steht über allem und das System feiert nur noch sich selbst.

Mittagszeit in Moskau, 17. März 2024: Warteschlange vor einem Wahllokal Foto: ap

D ie Endergebnisse sind noch nicht verkündet. Doch wer will auch auf sie warten bei einer „Wahl“, die nur Schein ist, und bei der der Kreml bereits vor Monaten die Formel 80/80 ausgegeben hatte: bei 80 Prozent Wahlbeteiligung 80 Prozent Zustimmung für Wladimir Putin. Das Regime hat für dieses Resultat keine Kosten und Mühen gescheut. Wie viele es tatsächlich tragen, zeigen diese Zahlen nicht.

Ohnehin sagen sie wenig darüber aus, wie der Zuspruch zu den bestehenden Verhältnissen ist, wenn eine Wahl keine Wahl ist, sondern ein Plebiszit zur Legitimation des allgegenwärtigen Präsidenten. Wer überhaupt gegen ihn antreten durfte, ist eine blasse Figur. Andere haben gar nicht die Chance gehabt, auf den Wahlzettel zu kommen.

Was den Menschen in einem System bleibt, das ihnen mit immer drastischeren Mitteln den Mund verbietet? Ein System, das ihnen das Menschsein abspricht, weil sie womöglich einer anderen Meinung sind als die groß ausgelobte Mehrheit? Sie wandern aus, ziehen sich zurück in einen politischen Winterschlaf oder nutzen die noch so kleinen, leisen Möglichkeiten, ihre Unzufriedenheit doch kundzutun.

Einige Tausend von ihnen haben das bei der Beerdigung von Alexei Nawalny vor zwei Wochen getan, als sie den Abschied vom Oppositionspolitiker zur politischen Kundgebung ausweiteten. Einige Tausend taten es auch jetzt, als sie sich mittags zu Hunderten in die Schlangen vor die Wahllokale stellten, damit der Kreml und alle Welt sieht, dass es sie gibt. Tausende waren es so im Land, Zehntausende außerhalb des Landes.

Kinder kommen im Sarg zurück, Eltern sitzen auf dem Sofa

Der Rest sitzt auf dem Sofa und besingt den Präsidenten, seine „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine und redet sich die Zustände schön, auch wenn das eigene Haus bröckelt, der eigene Sohn im Zinksarg aus der Ukraine zurückkommt, die eigenen Rechte nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Diejenigen, die das System verachten, haben denjenigen nichts zu sagen, die das System tragen und umgekehrt. Es ist kein Gespräch mehr möglich, ebenso wie kaum noch Kommunikation möglich scheint zwischen dem alt-neuen Herrscher im Kreml und dem Westen.

Friedensverhandlungen? Auf welcher Basis denn? Erst vor wenigen Tagen erklärte der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew, einst der Liebling liberaler Stimmen, seine maximalistische „Friedensformel“: In sieben Punkten legte er dar, wie die Ukraine ihrer Eigenständigkeit zu berauben sei. Auch Putin spricht immer wieder von „Realitäten am Boden“ und sieht die Ukraine bereits seit 2021 offiziell nicht mehr als einen souveränen Staat an.

Den Menschen in Russland trichtern die Pro­pa­gan­dis­t*in­nen von allem Möglichen die verschiedensten Versionen ein. Übrig bleibt nichts als postmoderne Verwirrung: Es gibt keine Wahrheit, alles ist möglich. In diesem Brei aus hanebüchenen Auslegungen kann sich Putin bestens als der Retter aus all dem Bösen verkaufen. Die meisten Menschen in Russland finden – aus unterschiedlichen Gründen – diese Version am besten. Der Westen muss bei dem Schauspiel nicht mitmachen. Im Westen müssen jetzt endlich alle die Augen öffnen für die Gefahren, die von der russischen Diktatur ausgehen.

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6 Kommentare

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  • Gefahren gehen anscheinend immer nur von anderen (Diktatoren) aus.

  • Die Methoden der Wahlfälschung sind ja immer dieselben, und unabhängige Beobachter haben über die Jhare ziemlich gute Instrumentarien entwickelt, um sie zu erfassen. Das ist diesmal nicht anders.



    Die Novaya Gazeta hat heute schon eine erste überschlägige Rechnung veröffentlicht, die auf einer Methode des Wahlforschers Sergej Schpilkin beruht. Die Methode macht sich zunutze, das in jedem gegebenen Wahllokal das Ausmaß der Wahlfälschung mit der Höhe der gemessenen Wahlbeteiligung korreliert: Wo gefälscht wird, steigt durch die zusätzlichen Fake-Stimmen die Wahlbeteiligung (scheinbar) an, und zugleich verschiebt sich die Stimmenverhältnis zugunsten des von der Fälschung begünstigten Kandidaten.



    Man sortiert die Ergebnisse aller (rund 90.000 Wahllokale) ausschließlich nach Höhe der Wahlbeteiligung (diese Daten sind nach wie vor öffentlich zugänglich). Im niedrigen Bereich finden sich tendenziell die „ehrlichen“ Zählungen (die es immer noch, wenn auch immer weniger gibt), welche die tatsächliche Verteilung der Stimmen auf die einzelnen Kandidaten zeigt. Aber je höher die (scheinbare) Wahlbeteiligung wird, desto höher wird der Stimmenanteil von Putin. Diese atypischen Stimmen werden dann aufsummiert.



    Nach dieser überschlägigen Berechnung waren etwa 31,3 Mio der angeblich 64,7 Mio für Putin abgegebenen Stimmen gefälscht. Das betrifft nur die Urnenwahl, in Moskau und einigen Regionen haben alternativ (angeblich) rund 13 Mio Wähler digital (per Log-In im Bürgerportal) gewählt. Hier wird, das hat z.B. die letzte Dumawahl gezeigt, völlig hemmungslos manipuliert.



    Schätzungen zur tatsächlichen Wahlbeteiligung gibt es noch nicht.



    Wahlberechtigte gibt es etwa 112 Mio.



    novayagazeta.eu/ar...yli-vbrosheny-news

  • In dem Artikel wird der Zustand Russlands, besonders der russischen Bevölkerung, plausibel geschildert. Auch wenn vieles davon schon bekannt sein dürfte. Aber an dem Punkt, wo es interessant wird, endet der Beitrag leider mit der Bemerkung

    "Im Westen müssen jetzt endlich alle die Augen öffnen für die Gefahren, die von der russischen Diktatur ausgehen."

    Es wäre interessant zu erfahren, welche Konsequenzen denn aus den "Augen öffnen" resultieren sollten, zumal sofern ich es richtig verstanden habe, die Autorin Friedensverhandlungen in absehbarer Zeit keine großen Chancen einräumt. Was bleibt also?

  • 6G
    691349 (Profil gelöscht)

    Putin hat also die Opposition vollständig vernichtet, oder wie im Artikel gemeint: den Wettbewerb ausgerottet. Wie immer bei einer Namensnennung für einen Verantwortlichen stellt sich mir die Frage: Alleine? Und als Beispiel für die Wendefähigkeit der Gesellschaft und insbesondere des Rechtssystems und damit verantwortlich für Verurteilungen, möchte ich Fritz Bauer zitieren: „ … Nach einem berühmten Satz von Kant soll jedem Juristen jede jetzt vorhandene Verfassung und, wenn diese höheren Ortes abgeändert werde, die nun folgende immer die beste sein. Mit dieser Philosophie wurde der deutsche Beamte zu einem auswechselbaren Funktionär, einem Rechtshandwerker ohne Überzeugung und Gewissen herabgewürdigt, der, wenn er nur lange genug lebte, in seinem bescheidenen Erdenwallen bis 1918 seinem Kaiser und König, weiter bis 1933 einer formalen Republik, sodann bis 1945 einem Gangsterregime und nach seinem Zusammenbruch einem an den Menschenrechten orientierten demokratischen und sozialen Rechtsstaat jeweils nach Eidesleistung gewissenhaft dienen konnte.“ Ja, wer lange genug lebt kann u. U. für vieles verantwortlich gemacht werden. Wir sollten dazu übergehen, dass die Verantwortlichen und Erfüllungsgehilfen zumindest erwähnt werden und wir sollten darauf Wert legen, dass es zwar ein System geben kann (Putin), dass auf eine Person „zurechtgestutzt“ wird, dass dieses System aber nur mit unzähligen überzeugten Helfern funktioniert, die ohne gesellschaftliche und rechtliche Zwänge und Erziehungsmaßnahmen wesentlich anders handeln würden. Könnten wir dann mal eine Selbstreflektion starten?

  • Teile der SPD und auch Sarah Wagenknecht haben das noch nicht verstanden. Die Sowjets waren vergleichsweise rationale und zuverlässige Partner - kein Vergleich zur aktuellen Narretei in in Russland. Es gäbe viel zu verhandeln, aber keine Verhandlungspartner.

  • Mich erstaunt diese Nostalgie, als es 5 Jahre einmal anders war! In einer Kontinuität von 500 Jahren Brutalität des russischen Imperiums. Russland wird sich nicht durch ein bisschen Friedenstauben+99 Luftballons, verändern, dazu sind diese Imperiumsstrukturen viel zu tief in die russische Psyche eingebrannt!