piwik no script img

Pushbacks an deutsch-polnischer GrenzeKeine Chance auf Asyl

An der deutsch-polnischen Grenze werden Flüchtlinge ohne Asylverfahren abgewiesen. Hilfsorganisationen halten das für rechtswidrig.

Die Bundespolizei kontrolliert einen Reisebus mit Ukrainerinnen am Grenzübergang Görlitz/Zgorzelec Foto: Andre Lenthe/imago

Berlin taz | Die Zurückweisung von Asylsuchenden ist gängige Praxis an der deutsch-polnischen Grenze. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger hervor. Demnach wurden von Januar bis Juli insgesamt 46 Geflüchtete nach Überqueren der deutschen Grenze von der Bundespolizei ohne Asylverfahren zurück nach Polen geschickt.

Für Bünger, Bundestagssprecherin der Linken für Flucht- und Rechtspolitik, „nähren die Zahlen den Verdacht, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt“. Die Zahl der Zurückweisungen hat sich laut Innenministerium in der ersten Jahreshälfte im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt: 2021 zählten die Behörden 22 Fälle. Bünger fordert von SPD-Innenministerin Nancy Faeser, diese „potentiell rechtswidrige Praxis“ zu stoppen.

In der EU regelt die Dublin-Verordnung, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. „Wenn Personen an der deutsch-polnischen Grenze ein Asylgesuch äußern, müssten sie demnach zunächst registriert werden“, heißt es in der Anfrage der Linken-Politikerin. Das Innenministerium dagegen schreibt, die „bundespolizeiliche Praxis steht mit der Rechtslage in Übereinstimmung“. Flüchtlingsräte und Ak­tivs­t:in­nen bezeichnen dieses Vor­gehen als „legalisierte Pushbacks“.

Hintergrund der Anfrage war ein im August erschienener Artikel der taz über zwei Männer aus dem Jemen, die kurz hinter der Grenze im sächsischen Görlitz von der Bundespolizei aufgegriffen wurden. Die Bundespolizei nahm sie auf die Wache und befragte sie mit einer Dolmetscherin nach den Gründen ihrer Einreise. Die zwei Männer betonten mehrfach, in Deutschland Asyl beantragen zu wollen. Trotzdem habe die Bundespolizei sie unter Druck gesetzt, mehrere Dokumente zu unterschreiben, die sie nicht lesen konnten.

46 Zurückweisungen bis Juli

Später teilte die Bundespolizei der taz mit: „in den beschriebenen Fällen lag kein Schutzersuchen nach vorliegender Definition vor.“ Und weiter: „Somit wurde die Zurückweisung nach Polen angeordnet.“Betroffen von den 46 Zurückweisungen bis Juli waren unter anderem 27 Staatsangehörige aus Georgien, Moldau, Afghanistan, Syrien und aus dem Jemen. Die Länder zählen zu den häufigsten Herkunftsstaaten von Geflüchteten, die in Deutschland Asyl beantragen.

Julian Pahlke, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Experte für Migration, nennt die Zurückweisungen an Schengen-Binnengrenzen „rechtlich bedenklich“. Er „erwarte, dass die Bundespolizei diese Vorfälle ernst nimmt und Überprüfungen durchführt“.

Dave Schmidtke vom Flüchtlingsrat Sachsen kennt Geschichten wie die der jemenitischen Männer in Görlitz. Die offizielle Bestätigung der Bundesregierung, dass dies kein Einzelfall ist, überrascht ihn nicht. Genauso wenig ist Schmidkte über die steigende Zahl der Zurückweisungen erstaunt. Derzeit kämen mehr Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien als in den Vormonaten in Sachsen an. „Wir haben Hinweise erhalten, dass ähnliche Vorfälle auch im deutsch-tschechischen Grenzgebiet stattgefunden haben“, sagt Schmidtke.

Auch Europarat ist alarmiert

Es sei jedoch schwierig, einzelne Zurückweisungen konkret zu belegen. Auch Henrike Koch vom Flüchtlingsrat in Brandenburg nennt die Zahlen der Zurückweisungen „besorgniserregend“. Sie sagt, die erste Hürde sei es, überhaupt davon zu erfahren. Koch hofft, dass sich Zurückweisungen an deutschen Grenzen nicht weiter etablieren, „wie es an den Außengrenzen anderer EU-Länder schon der Fall ist“. Bereits im vorigen Herbst hatte die Menschenrechtskommissarin des ­Europarats, Dunja Mijatović, gewarnt: „Die Verweigerung des Zugangs zu Asyl und Rückführungen ohne Wahrung der inviduellen Schutzrechte“ breite sich auf „alarmierende Weise“ in Europa aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Polen ist auch EU. Da kann man sich auch registrieren lassen. Und dann braucht man Freunde oder Familie in Deutschland um weiter zu reisen. Viel Bürokratie und Geduld sowieso.

  • @VANESSA M.

    Sehe ich auch so. Wenn der Staat sich nicht an Recht hält, wer denn sonst?

  • Ich kann wirklich nur noch kotzen,

    jeder dieser Menschen hat das Menschrecht auf Asyl und diese Menschen wollen nach Deutschland, weil sie hier Verwandte haben und in Städten wie Berlin besser integriert werden können. Und was die Regierung? Sie bricht systematisch Recht und geht gewaltsam gegen hilfsbedürftige Menschen vor. Das macht keinen Sinn, der jede einzelne Geflüchtete (viele minderjährig) reisen zu einem späteren Zeitpunkt problemlos ein. Wenn Du es in den Schengenraum geschafft hast, dann kannst du problemlos nach Berlin weiterreisen. Die Zurückweisungen sind nur illegale Schikante.

    • @V M:

      Soweit ich weiß -bitte korrigieren falls ich im Irrtum bin- lautet die korrekte Version :Wenn du es bis zum Schengenraum geschafft hast ,dann kannst du problemlos einen Asylantrag an an der Grenze des jeweiligen Landes stellen.



      In diesen Fällen ist also Polen zuständig. Es mag ja sein das die Menschen lieber nach Deutschland wollen,nur ist das rechtlich erstmal völlig unerheblich. Man kann die gesetzliche Regelung an sich anzweifeln.Doch solange sie gültig ist ,stellt die Anwendung derselben keinen Rechtsbruch dar. Sorry,aber so ist die Realität.

    • @V M:

      Geflüchtete sind in Polen und Tschechien bereits im Schengenraum und in der EU und somit auch in Sicherheit. Ein Pushback liegt deshalb eher nicht vor. Unsere polnischen und tschechischen Nachbarn wollen auch gar nicht dass wir da eine neue Route durch ihre Länder aufmachen. Nicht das uns das jemals interessiert hätte. Deutschland sollte sich ehrlich machen und wenn dann direkte Flugverbindungen einrichten.