Psychostress auf dem Bauernhof: Von wegen Landidyll!
Bauern erkranken häufiger an Depression als früher. Die Arbeitsbelastung durch den globalen Handel hat extrem zugenommen.
Das Leben auf dem Bauernhof stellt man sich eigentlich sehr idyllisch vor: Ob Kühe melken oder Traktor fahren, ein Bauer ist stets in engem Kontakt mit der Natur. Da passen die aktuellen, wütenden und verzweifelten Demonstrationen von Milchbauern nicht ins Bild. Sie zeugen jedoch von einem tiefgreifenden Strukturwandel in der Landwirtschaft – nur die Großen überleben, viele kleinere Betriebe werfen das Handtuch. Jährlich geben knapp zwei Prozent der Hofbesitzer auf. So gab es 1971 in Deutschland über 1 Million Höfe, heute sind es nur noch 285.000. Das Bauernsterben ist in vollem Gange.
Denn: Die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse sinken tendenziell, während die Pachtpreise für Ackerland steigen. So sind die Erzeugerkosten etwa für ein Schwein 165 Euro, der Handel zahlt aber nur 130 Euro. Die Kosten für Tierfutter sind je nach Konjunktur mal hoch, mal niedrig. Verlässliche Kalkulationen sind so kaum möglich.
Dazu kommt der Druck, immer größere Maschinen und Anlagen zu kaufen, Schulden zu machen. Viele Bauern gehen zusätzlich auch Nebentätigkeiten nach, um über die Runden zu kommen.
Auf Bauernhöfen brodelt in den letzten Jahren ein zermürbende Mischung aus harter Arbeit und finanziellem Druck. Parallel dazu steigen Tierschutz- und Umweltauflagen, das gesellschaftliche Image der Bauern ist schlecht. Auf vielen Höfen gestaltet sich auch die Hofübergabe schwierig, oft gibt es Konflikte zwischen den Generationen, die Partnersuche (siehe „Bauer sucht Frau“) ist heikel. Bei 70 Prozent der Höfe mit einem Inhaber älter als 45 Jahren ist nicht klar, wer den Hof einmal übernehmen wird.
All dies trifft die Bauern hart. Wer nicht aufgibt, braucht ein starkes Nervenkostüm. Doch das hat nicht jeder. So leiden 17 Prozent aller deutschen Landwirte, die sich krank melden, an einer Depression oder einem Burnout. 10 Jahre vorher waren es nur 10 Prozent, laut Zahlen der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVFLG) aus dem Jahr 2015.
Erhöhtes Suizid-Risiko
Auch eine aktuelle norwegische Studie unter der Leitung von Arbeitsmedizinerin Magnhild Oust Torske mit mehr als 25.000 Teilnehmern bescheinigt Landwirten eine erhöhte psychische Morbidität im Vergleich zu ähnlich autonomen Berufen. Landwirte haben neben Depressionen und Angststörungen auch ein erhöhtes Risiko für Suizide, verglichen mit anderen Berufsgruppen.
Laut der Doktorarbeit von Annemarie Rieger, heute Arbeitsmedizinerin an der Universität Tübingen, resultiert die psychische Belastung vor allem aus dem Zeitdruck und der hohen Wochenarbeitszeit von über 60 Stunden pro Woche. Zudem hatten vor allem diejenigen Bauern mentale Probleme, für die Eigenständigkeit und Zusammengehörigkeit wichtig war. Auch hat Christian Hetzel, Wissenschaftler an der Sporthochschule Köln, in seiner Doktorarbeit im Jahr 2012 zeigen können, dass psychische Belastungen auch von zunehmend monotonen Tätigkeiten und schlechter Zusammenarbeit mit Kollegen herrühren. Aber auch, dass die Betriebsübergabe ein emotional stark belastetes Thema ist.
„Chronische Arbeitsbelastung ohne geeignete präventive Gegenmaßnahmen erhöht in jedem Beruf das Risiko für Depressionen“, sagt Anne Maria Möller-Leimkühler, Sozialwissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Zwar gelten der Kontakt zur Natur und auch körperliche Arbeit, wie es bei ländlichen Betrieben der Fall ist, als Schutzfaktoren, allerdings werden diese mittlerweile von den ökonomischen Anforderungen überlagert.
Regelmäßige Pausen
Erschwerend kommen extreme arbeitsbezogene Wertvorstellungen in einer Branche hinzu, die kaum zwischen Arbeit und Freizeit trennt. „Der Selbstwert und der soziale Status sind absolut abhängig vom Arbeitseinsatz, von der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit“, so Möller-Leimkühler. Work-Life-Balance halten Landwirte für neumodisches Geschwafel. Regelmäßig Pausen einzulegen etwa ist für viele Bauern undenkbar, wie eine kanadische Studie im vergangenen Jahr belegte.
Das führt dazu, dass Warnsignale wie ständige Kopfschmerzen oder Schlafstörungen lange nicht wahrgenommen werden. Das Gefühl der Überforderung wird verdrängt. Die Münchner Wissenschaftlerin glaubt, dass dies besonders für die Männer unter den Bauern gelte. „Hier herrschen noch die traditionellen Männlichkeitsvorstellungen, darum sind im bäuerlichen Milieu Depressionen für Männer noch stärker tabuisiert.“ Schließlich gilt die Depression immer noch als „Frauenkrankheit“. Ein Bauer gilt als starker Mann, dem nichts etwas anhaben kann. „Weil die Männer nicht zum Arzt gehen, dürfte die Dunkelziffer sehr hoch sein“, schätzt Möller-Leimkühler.
Zudem zeigt sich die männliche Depression häufig in anderer Weise als bei Frauen und wird darum oft nicht erkannt. Männer sind nämlich eher aggressiv, reizbar, neigen zu Wutanfällen, Alkoholmissbrauch, beleidigendem Verhalten oder starken Stimmungsschwankungen. Oft ziehen sich die Betroffenen zurück, was die gesamte Familie belastet. Mit einer Depression steigt auch das Risiko für Verletzungen bei der Arbeit. Und auch die Tiere leiden, wenn der Bauer am Rande seiner Kräfte arbeitet: Oft stecken etwa hinter Tierschutzverstößen Depressionen, so hat Edgar Schallenberger, Vertrauensmann für Tierschutz in der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein 2015 in einem Bericht aufgedeckt.
Rat und Hilfe
Laut der norwegischen Wissenschaftlerin Torske leiden Bäuerinnen aber sogar noch stärker unter den Lebensbedingungen auf dem Hof. Sie pflegen neben der körperlichen Arbeit oft noch die (Schwieger-)Eltern, nicht selten müssen sie auch zwischen den Generationen vermitteln. „Frauen achten jedoch eher auf ihre Grenzen und suchen sich Rat und Hilfe“, so Torske.
Doch in letzter Zeit scheint das Thema Stressbewältigung auch unter Männern nicht mehr ganz so stark tabuisiert zu sein. Laut der Sozialkasse sind Stressmanagement-Seminare derzeit immer ausgebucht, während sie bis vor rund fünf Jahren nicht gut besucht waren.
Christian Hetzel sieht gemäß seiner Studie das Potenzial, Depressionen vorzubeugen, vor allem bei der Betriebsübergabe. Auch hier bietet die Sozialversicherung Seminare an. „Dabei geht es vor allem darum, die Kompetenzen des jeweils anderen wahrzunehmen“, sagt Margret Hospach, Sozialpädagogin in Weilheim. Ein Lebenswerk zu übergeben will eben auch gelernt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz