Psychologin über Rassismus im Sport: „Es gibt weiße Seilschaften“
Die Osnabrücker Sozialpsychologin Julia Becker forscht zu Rassismus im Sport. Sie empfiehlt ein Umdenken ab dem Kindergarten.
taz: Frau Becker, in der Fußball-Bundesliga gibt es zwei dunkelhäutige und einen asiatischen Kapitän. Sind diese Gruppen damit unterrepräsentiert?
Julia Becker: Ja, dem Anteil Schwarzer Spieler in der Bundesliga entsprächen mindestens sieben Schwarze Kapitäne. Das neue Forschungsprojekt ist eine Erweiterung des Projektes von Tina Nobis und Felicia Lazaridou aus Berlin. Sie fanden heraus, dass es circa 20 Prozent Schwarze, circa zehn Prozent People of Color und circa 70 Prozent weiße Fußballspieler in der 1. und 2. Bundesliga gibt. Die Spielpositionen sind jedoch so besetzt, dass überproportional viele weiße Spieler Torhüter sind, 97 Prozent. Torhüter ist eine Position, die mit Spielüberblick und Führung verknüpft wird.
Und wo spielen Schwarze vorwiegend?
Schwarze Spieler spielen überproportional häufig als offensive Außenspieler mit 37 Prozent und etwas mehr im Sturm mit 24,3 Prozent. Das sind Spielpositionen, die weniger mit Intelligenz verknüpft werden, dafür stärker mit Athletik, Körperlichkeit und Aggressivität.
Es gibt nur weiße Trainer in der Ersten Bundesliga. In der Zweiten Liga, derzeit bei Fortuna Düsseldorf, trainiert immerhin der Osnabrücker Daniel Thioune. Warum ist das so?
Es hat sich über Jahrhunderte struktureller Rassismus etabliert. Die Weißen üben Macht aus, da ist es nicht verwunderlich, dass man nur wenige Schwarze in Führungspositionen oder als Trainer findet. Es gibt weiße Seilschaften. Schwarze im Spitzensport haben keine starke Lobby, weniger Unterstützung, kaum Rollenmodelle.
43, ist Professorin für Sozialpsychologie am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Uni Osnabrück. Derzeit untersucht sie, ob rassistische Zuschreibungen eine Rolle bei der Besetzung von Spielpositionen und Führungsrollen im Fußball und Basketball spielen.
Welche Rolle spielen die Entscheidungsstrukturen?
Die Vorstände der Fußballclubs sind nahezu ausschließlich weiß. Auch das könnte ein Grund dafür sein, dass es Schwarze wesentlich schwerer haben, einen Trainerposten zu bekommen. Mehr Trainerposten an Schwarze zu geben, bedeutet auch, dass Weiße Privilegien und Macht abgeben müssen. Und wir wissen, dass Menschen in privilegierten Positionen Macht nur ungern abgeben.
Der DFB betreibt eine Antirassismus-Kampagne. Aber außer Steffi Jones und dem ehemaligen Integrationsbeauftragten Cacau gab es kaum People of Color in Führungspositionen. Ist diese Kampagne in Ihren Augen glaubwürdig?
Es ist zumindest ein Anfang. Um diese Frage verlässlich beantworten zu können, müssten solche Kampagnen allerdings evaluiert werden. Das ist meines Wissens bislang nicht geschehen. Es wäre gut, sich langfristig mit dem Thema auseinanderzusetzen und eventuell über Quoten nachzudenken.
Was für Quoten?
Bei gleicher Qualifikation einer Schwarzen und weißen Person bekommt die Schwarze Person den Trainer*innenposten. Alternative Optionen wären quotenähnliche Maßnahmen. Die us-amerikanische Football-Liga NFL hat als erster Verband die sogenannte „Rooney-Rule“ eingeführt. Diese Regelung verpflichtet die Clubs, bei der Neubesetzung von Trainerposten mindestens einen beziehungsweise eine Angehörige einer ethnischen Minderheit zum Jobinterview einzuladen. Diese Regel könnte auch für Sportkontexte in Deutschland interessant sein.
Im Dezember 2021 wurde zum ersten Mal ein Fußballspiel in Deutschland wegen mutmaßlich rassistischer Pöbeleien abgebrochen. Ist das ein probates Mittel, um Rassismus zu begegnen?
Auf jeden Fall – zum einen weil dadurch Fans gezeigt wird, dass ihr rassistisches Verhalten nicht mehr toleriert wird; zum anderen weil es ein enormer Kraftakt ist, einen rassistischen Angriff auszuhalten. Da kann man nicht einfach weiterspielen.
Wie kann Rassismus im Sport überwunden werden?
Ich denke, da muss an ganz verschiedenen Punkten angesetzt werden. Sofort ansetzen kann man bei einer konsequenten Sanktionierung von rassistischem Fan-Verhalten, der Etablierung von Rollenmodellen, einer Quote für Vorstände und Trainerposten.
Und strukturell? Wo müsste man da ansetzen?
Langfristig wäre es aus meiner Sicht aber auch wichtig, schon in Kindergärten und Schulen gegen Rassismus vorzugehen – denn das ist das Alter, in dem sich bereits Stereotype formen und Kinder beginnen, sich für Sportarten zu interessieren, vor allem natürlich für solche Sportarten, für die Vorbilder für ihre Gruppe existieren. Und gerade Amateursportvereine werden oft als Integrationsmotoren ausgewiesen – in der öffentlichen Diskussion, aber zum Beispiel auch in der Forschung. Hier wird bisweilen übersehen, dass sich auch hier Rassismus manifestieren kann.
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