Psychologin über Beratung via E-Mail: „Keine Angst ist falsch“
Empathie zeigen in Emails, geht das? Ja, sagt Lisa Marie Tammena, Beraterin bei jugendnotmail.de. Manchmal geht das sogar besser als mündlich.
taz am wochenende: Frau Tammena, es gibt Halbjahreszeugnisse. Viele SchülerInnen haben Angst davor. Manche müssen getröstet werden. Wie machen Sie das?
Lisa Marie Tammena: Indem ich ganz viel Verständnis für die Situation zeige. Es gilt: Keine Angst ist falsch, gemeinsam finden wir eine Lösung. Die Frage kann lauten: „Was gibt es, was dich unterstützen kann, weniger Angst zu haben? Was kann dir helfen, besser mit dieser Situation umzugehen?“
Worauf zielen Sie damit ab?
Wir versuchen, den Jugendlichen zu helfen, ihren Fokus von dieser beängstigenden Situation wegzulenken, zu weiten, um eine neue Perspektive zu bekommen. Vielleicht muss derjenige gar nicht so viel Angst davor haben oder kann eine neue Chance sehen.
Bei schriftlicher Kommunikation fallen viele zwischenmenschliche Signale weg. Wie trifft man da den richtigen Ton?
Lisa Marie Tammena, 26, ist seit 2017 ehrenamtliche Online-Beraterin und Coach bei Jugendnotmail. Darüber hinaus hat sie vor einem Jahr ihr eigenes Coaching Business gegründet.
Auch per E-Mail kann man viel Empathie zeigen, etwa durch klassisches Paraphrasieren. Dann kann man konkret sagen: „Ich habe Verständnis für deine Situation. So wie du es beschreibst, kann ich mir wirklich vorstellen, dass das eine schwierige Situation ist.“
Welche Vorteile hat die rein schriftliche Kommunikation?
Der Jugendliche ist dadurch angehalten, sich wirklich verständlich über den Schriftverkehr auszudrücken. Manchmal regt das an, nachzudenken, was das konkrete Problem ist. So setzt er sich vielleicht mehr damit auseinander. Und wir Berater müssen ebenfalls sehr klar kommunizieren.
Erinnern Sie manche Anfragen an Ihre eigene Schulzeit?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Bei Sorgen um Noten denke ich manchmal: Ja, das habe ich auch ein bisschen gehabt. Trotzdem beziehe ich das nicht in meine Tätigkeit ein, da ziehe ich klare Grenzen. In der Beratung ist es wichtig, nicht von eigenen Erfahrungen oder Problemen zu sprechen. Wir geben generell keine Ratschläge. Stattdessen suchen wir gemeinsam mit dem Jugendlichen nach Lösungen, die in seine Lebenswelt passen. Entwickelt der Jugendliche eine Lösung selber, erfährt er Selbstbestimmung und die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung ist größer.
Erreichen Sie gerade jetzt besonders viele Anfragen?
Ja, in der Zeit der Zeugnisvergabe bekommen wir viele E-Mails zu dem Thema, aber auch vor Weihnachten ist das Aufkommen höher. Viele haben auch vor dem neuen Schuljahr und den damit verbundenen Situationen Angst. Die häufigsten Themen in Anfragen sind übers Jahr Depression, Selbstverletzung und Familie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!